Der Schröder-Effekt

Ein Tipp vorweg: Wer nach seiner politischen Karriere auf eine zweite als gutbezahlter Redner hinarbeitet, sollte sich Karlsruhe auf der Landkarte rot anstreichen. Ein graues Bürogebäude in der Weststadt ist eine der Top-Adressen des deutschen Rednermarkts. Hier sitzt das „London Speaker Bureau“ – prominente Klienten: Joschka Fischer, Richard von Weizsäcker, Helmut Schmidt. Ob einer dieser ergrauten Polit-Altstars dem kargen Agentursitz je einen Besuch abgestattet hat, ist nicht verbrieft. Hier in der Schaltzentrale koordinieren sieben Mitarbeiter die Auftritte von mehr als 700 Rednern.
Die Karlsruher Adresse ist ein Ableger der traditionsreichen Mutteragentur in London, die seit 1994 das Geschäft mit den gewichtigen Worten auf fast alle Erdteile ausgedehnt hat. Der deutsche Standortleiter Roland Vestring legt viel Wert auf Verschwiegenheit, das sei das Wichtigste in seinem Geschäft, sagt er. Wortkarg gibt sich der Blondschopf dann auch auf Fragen nach der Gagenhöhe, die die Politikrentner pro Auftritt bekommen. Er wolle keine Neiddebatte auslösen. „Die Honorare spenden die Redner zum Teil sogar“, preist er an.

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Mit wenig Arbeit viel Geld verdienen, so lautet das Klischee über eine Branche mit Spitzengagen von bis zu 20.000 Euro pro Auftritt. Dass der Markt sich für einige zu einer wahren Goldgrube entwickelt hat, ist kein Geheimnis. Es ist der Schröder-Effekt, der die Branche lukrativ gemacht hat. Doch was brauchen noch unbekannte Redetalente, um erfolgreich zu sein? Und mit welchen Themen lässt sich Geld verdienen?
Hermann Scherer ist Marketingberater und selbst professioneller Redner. Mal spricht er über Unternehmenserfolg, mal übers Glücklichsein, er ist ein Motivator, der polarisiert und neue Lebensenergie versprüht. Wie man es Scherer am besten gleichtut, beschreibt der gebürtige Oberbayer in seinem 2012 erschienenen Buch „Der Weg zum Topspeaker“. Seiner Meinung nach muss man als Redner vor allem übersetzen können, also in der Lage sein, komplizierte Dinge einfach auszudrücken. Dies gelte vor allem in den Bereichen Politik und Wirtschaft. Der Amtsbonus ist im Übrigen schnell wieder verflogen. Auf „zwei bis vier Jahre“, beziffert ihn Scherer im p&k-Interview. Er sagt, bis 8000 Euro Honorar lasse sich eine Speaker-Karriere gut planen. „Jenseits davon spielt auch Glück eine große Rolle.“ Ganz oben angekommen seien diejenigen, die gleich bei mehreren Redneragenturen gelistet sind. Oberste Prämisse für ehemalige Politiker, sie müssen in der öffentlichen Wahrnehmung einen guten Job gemacht haben. Pech also für Christian Wulff, der so schnell wohl nicht auf ein Rednerengagement hoffen kann. Zu groß das Risiko eines Skandals.
Wulffs Nachfolger im Amt blickt dagegen bereits auf eine erfolgreiche Rednerkarriere zurück. Bevor Joachim Gauck als Bundespräsident ins Schloss Bellevue einzog, war er mit seinem Lebensthema „Freiheit“ bei Ramsauer-Rednermanagement einer der meist gebuchten Redner. Die Namensgeberin, Ulrike Ramsauer, eine freundlich lächelnde Dame, hat das Unternehmen vor sechs Jahren gegründet – im Rednergeschäft ist sie jedoch schon seit Anfang der 1990er Jahre. Ramsauer gehört damit zu den Branchen-Pionieren. Ihr Geschäftsmodell ist schnell erklärt. Die Agentur vermittelt ihre Kunden an Unternehmen für Konferenzen, Dinner oder Mitarbeiterveranstaltungen. Aktuell sind 1700 Personen in Ramsauers Kartei gelistet – ein Mix aus fernsehbekannten Persönlichkeiten und eher unbekannten Gesichtern, der Schwerpunkt liegt auf Politik und Wirtschaft. Die Neuen müssen erst vor einer Jury bestehen, bei der das Thema und die Kraft der Präsentation beurteilt werden. Die Nachfrage ist groß, und die Qualität? „Arbeiten können wir nur mit zehn Prozent der Bewerber“, berichtet Ramsauer. Als Redner keiner breiten Öffentlichkeit bekannt zu sein, ist nach Ansicht der Geschäftsfrau kein Nachteil. Der Markt habe seine eigene Öffentlichkeit. „Die Zuschauer tragen wie Botschafter die Begeisterung weiter“. Auch Parteien griffen hin und wieder auf professionelle Redner zurück, wenn sie mal wieder von jemandem erklärt haben wollen, wie der Bürger so tickt.
Lange Zeit schauten deutsche Politiker neidisch auf ihre amerikanischen Kollegen. Und nach wie vor ist der US-Rednermarkt eine Liga für sich. Ex-Präsident Bill Clinton soll laut Insidern bis zu 500.000 Dollar pro Auftritt bekommen. Olaf Kramer ist akademischer Rat für angewandte Rhetorik an der Universität in Tübingen. Nur hier, quasi in der schwäbischen Provinz, wird Rhetorik als eigenständiger Studiengang angeboten. Kramer konstatiert: „Die rhetorische Kultur in den USA ist unserer um einiges voraus.“ Die Unterschiede fangen schon bei kleinen Dingen an, wie dem „small talk“, einer Paradedisziplin der Amerikaner. Und wer dort drüben in die Politik will, muss den Wähler vor allem emotional von sich überzeugen können. Bei uns hingegen sei die große pathetische Rede aufgrund der Nazi-Zeit noch immer negativ besetzt. Siegfried Haider drückt es gar noch provokanter aus: „Die US-Redner haben primär das Ziel, die Menschen hungrig auf ein Thema zu machen. Die Vermittlung von Wissen ist häufig sekundär“, meint der Mitbegründer der German Speaker Association (GSA). Der Verband vertritt rund 760 Mitglieder, wobei viele neben Vorträgen auch noch Trainings, Coachings und Beratungen anbieten, um insgesamt erfolgreich zu sein.
Tobias Schrödel hat es dagegen geschafft. Der IT-Sicherheitsexperte aus München hat seinen gut bezahlten Job bei der Telekom gekündigt, um 40 bis 50 Mal im Jahr Leuten in einem Raum auf lustige Art zu erklären, wie sie ihr Handy vor Hackerangriffen sichern oder was Facebook so alles über sie sammelt. Allein im vergangenen halben Jahr brachte es der 41-Jährige auf mehr als 100 Flüge. Auch das gehört zur Realität in der Branche. Die Anreise ist oft zeitraubender als der Vortrag samt Vorbereitungszeit. Tobias Schrödel hat den Sprung trotzdem gewagt und das „mit zwei Kindern und einer abzuzahlenden Münchner Wohnung. Das Publikum motiviert mich“, sagt er schlicht. Anfangs habe er für einen Auftritt 1500 Euro bekommen, mittlerweile ist es das Dreifache. Schrödel hat dabei zunächst ein Zukunftsthema geschickt besetzt. Allein das reicht aber nicht. Der Münchner ist vor allem ein schräger Typ, der sich als erster Hacker-Comedian ein Branding verpasst hat.

Frauen haben es schwerer

Regina Mehler will hingegen gar nicht so sein wie die Anderen. Die 46-jährige Marketing-Managerin war oftmals bei öffentlichen Auftritten die einzige Frau auf der Bühne. „Ich habe mich immer gefragt, warum?“, sagt die Powerfrau. Die Antwort, dass es schlichtweg zu wenige Frauen gibt, hatte sie irgendwann satt und gründete eine eigene Agentur, um mehr Frauen offensiv als Rednerinnen zu vermarkten. Zwei Jahre ist das jetzt her, in denen Mehler die „Woman Speaker Foundation“ nebenbei führte. Seit Februar kümmert sie sich nun rund um die Uhr um ihr ehrgeiziges Projekt, dass erst dann beendet ist, wenn sich die Agentur selbst überflüssig gemacht hat. Zehn Jahre gibt sie sich dafür Zeit. Über ihre Arbeit sagt sie: „Ich muss eine Frau wesentlich härter pitchen als einen Mann“. Das Problem sei, dass viele Leute immer noch denken, es sei ein größeres Risiko, eine Frau zu buchen. Ihre sieben Mitarbeiter versuchen deshalb, für jede Rednerin ein Alleinstellungsmerkmal zu positionieren. Rund 300 Rednerinnen betreut die Agentur momentan. Jeder kann sich im Internet registrieren – vorausgesetzt, man hat etwas zu sagen. Gezielte Coachings sollen den Frauen helfen, in dem männerdominierten Business zu bestehen. Andrea Kunwald weiß bereits, wie man das macht. Seit vier Jahren ist sie Projektleiterin der Naturwissenschafts-Initiative „MINT Zukunft schaffen“, nebenbei hat sie fast zwanzig Jahre lang als Stadträtin in Würzburg und schulpolitische Sprecherin für eine bessere Jugendpolitik gestritten. Jetzt will die selbstbewusste Sozialdemokratin auch als Rednerin für mehr Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern werben. Ums Geld verdienen geht es dir dabei nicht. Typisch Frau, würde man denken, doch Kunwald ist da die Ausnahme. Bei 2000 Euro starten die Honorare der Rednerinnen, die von Regina Mehler vermittelt werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Minilobbyisten – Kleinstverbände im Porträt. Das Heft können Sie hier bestellen.