Der Großstadt-Cowboy

Medien

Wenn es stimmt, was Kollegen erzählt haben, ist der Chef des Berliner “Stern”-Büros einer von der lässigen Sorte; einer, der unverbogen geblieben ist, sich extravagant kleidet – eine Art Großstadt-Cowboy. Das Treffen findet in seinem Büro im sechsten Stock des Spree-Palais am Dom statt. Der Stehtisch zeugt von Arbeit und einem gut organisierten Besitzer. Doch König ist nicht da.

Auf dem Gang kommt man an lauter Büros vorbei, in denen Redakteure sitzen, die das Hauptstadt-Büro auch schon einmal geleitet haben: Werner Mathes, Hans-Ulrich Jörges, Andreas Hoidn-Borchers, bis Juli war es Axel Vornbäumen. Von der anderen Seite kommt König angeschlendert. Der ehemalige Leistungsturner geht mit federndem Schritt, Hose und Hemd sind sehr körperbetont geschnitten, am rechten Handgelenk ein Lederband. Die halbhohen Stiefel sind über und über mit Nieten besetzt.

Als König im Sommer zum Leiter des Hauptstadtbüros berufen wurde, hieß der Chefredakteur noch Dominik Wichmann. Inzwischen hat Christian Krug, zuvor Chefredakteur der “Gala”, Wichmanns Nachfolge angetreten. Jetzt ist es an ihm, Antworten zu finden, wie der “Stern” aussehen muss, damit sich die Hefte verkaufen und Werbekunden ihn attraktiv finden; was zu tun ist, um im Digitalen erfolgreich zu sein; wie die Redaktion besetzt und organisiert sein muss. Vor ein paar Wochen wurden beim “Stern” erstmals in der Geschichte des Magazins betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen. Gruner + Jahr ist auf Schrumpfkurs, der “Stern” ist davon nicht ausgenommen.

König plant integriertes Büro

Zu Wichmanns Rauswurf hat neben seinem Führungsstil unter anderem beigetragen, dass er im Berliner Büro behauptet hat, er habe es vor der Schließung gerettet. Dabei stand eine Schließung nie zur Debatte. Beim Vorstand des Verlags kam das gar nicht gut an, auch nicht die Liste mit namhaften Autoren, die er loswerden wollte.

Der Blick auf das Vergangene ist müßig, König will darüber nicht reden, auch nicht über die rüde Entmachtung seines Vorgängers. Lieber spricht er vom “integrierten Berlin-Büro”, in dem Geschichten künftig crossmedial gedacht werden sollen. Dabei helfen wird ihm sein Stellvertreter Lutz Kinkel, der von Stern.de kommt.

Gleich nach seinem Antritt hat König, der unter dem Namen kingsize66 twittert, mit “Schlag 12” einen täglichen Online-Kommentar eingeführt. Demnächst verstärken zwei Online-Kollegen und Johannes Röhrig, der aus dem Deutschland-Ressort des “Stern” von Hamburg nach Berlin wechselt, das Büro, das längst nicht mehr nur auf politische Berichterstattung ausgerichtet ist.

Aufgewachsen ist König im Berliner Bezirk Friedrichshain. Sein Vater war SED-Funktionär. Er hat im Zentralkomitee gearbeitet, war zum Ende der DDR stellvertretender Minister für Glas- und Keramikindustrie. Als Sohn systemkonformer Eltern war es für Jens König selbstverständlich, in die SED einzutreten. Der typische sozialistische Werdegang. Er war regimetreu, bis zuletzt. In Zeiten von Glasnost wurde König Gorbatschow-Anhänger, allerdings ohne das System der DDR an sich infrage zu stellen. Er studierte am “Roten Kloster”, wie die DDR-Kaderschmiede für Journalisten, die “Sektion Journalismus” der damaligen Karl-Marx-Universität Leipzig, spöttisch genannt wurde. In seiner Diplomarbeit setzte er sich mit der westlichen “Feindpresse” auseinander, konkret: mit den FAZ-Kommentaren zur Abschaffung des Streikparagrafen.

Danach arbeitete König bei der “Jungen Welt”, Zentralorgan der FDJ. Im September 1989 begann seine Aspirantur; er wurde für drei Monate freigestellt, um an seiner Dissertation zu arbeiten. Doch nutzte er sie lieber, um seine erste eigene Wohnung zu renovieren. In dieser Zeit fiel die Mauer. Zwei Wochen später setzte die Redaktionsversammlung der “Jungen Welt” ihren Chefredakteur ab. Die FDJ schlug König als Nachfolger vor. “Ich bestand darauf, dass ich von der Redaktion gewählt werde”, erzählt er. So wurde König im November 1989 Chefredakteur, mit 25 Jahren.

Er wollte aus dem Blatt eine Art “taz” für den Osten machen, was ihm zumindest bei der Auflage mehr als gelungen ist. “ch bin der Chefredakteur mit dem wahrscheinlich höchsten Auflagenverlust ever”, kommentiert er den Absturz von 1,6 Millionen auf 20.000 Exemplare. 1994 ging er zur “taz”.

Legendäre Interviews

Noch bevor er kam, war Michael Sontheimer als Chefredakteur abgesetzt. Damit er wenigstens seinen Arbeitsvertrag unterschrieb, suchte König Sontheimer abends in der Kneipe auf. In den folgenden 15 Jahren war er Reporter, Inlandschef, Parlamentschef, hatte zweimal das Angebot, in die Chefredaktion aufzurücken, war für den Henri-Nannen-Preis nominiert. Und er fiel auf mit der Veröffentlichung eines bis zur Unkenntlichkeit autorisierten Interviews mit Olaf Scholz und dem drei Seiten langen Gespräch, in dem sich Joschka Fischer mit dem bleibenden Satz aus der Politik verabschiedete, er sei “einer der letzten Live-Rock ’n’ Roller der deutschen Politik” gewesen. “Ich kannte alles in- und auswendig, ich hatte alles erreicht, da war es dann auch mal gut”, begründet König seinen Wechsel zum “Stern”.

Als Wichmann ihm das Angebot machte, Chef des Berliner Büros zu werden, antwortete König: “Wenn ich diesen Job machen sollte, mache ich ihn nicht, weil ich ihn will, sondern weil ich ihn kann.” Das zeugt von Selbstbewusstsein. Der Satz bestätigt aber auch, was einer seiner Weggefährten sagt: “Jens verwechselt Position nicht mit Person. Er gehört nicht zu denen, die sich vom Chef-Sein benebeln lassen.” König formuliert das auf seine Weise: “Chef sein? Ick brauch dit nich.”

Er fühle eine große innere Unabhängigkeit, sagt er. Woher sie rührt? Wie nach jeder Frage verstummt König für einen Moment, um nachzudenken. Ein Lautsprecher, der durch Talkshows tingelt, ist er nicht. Eher der Kontrollierte, der genau kalkuliert, wie er kriegt, was er will. Woher also rührt die Unabhängigkeit?

Es hat damit zu tun, dass er seinem Land beim Untergehen zugesehen hat: “Wenn ich mich an die DDR erinnere, dann denke ich, Gott, was waren diese Autoritäten, vor denen ich so viel Respekt hatte, für Idioten. Und ich frage mich: Warum hast Du sie nicht in Frage gestellt? Warum hast Du das hingenommen? Warum hast Du Dir das bieten lassen?” Aus heutiger Sicht denke er: “Nee, dit hättste Dir nich bieten lassen dürfen.” Überhaupt: “Ick lass mir sowieso ungern was bieten.”

Aufs falsche Pferd gesetzt

Die Klappe habe er auch damals aufgemacht, sagt König, zum Beispiel auf der Parteiversammlung 1988, als in der DDR sowjetische Filme verboten wurden. “Auch sonst habe ich gesagt, wenn ich etwas scheiße fand, natürlich nur in dem beschränkten Rahmen, in dem ich damals dachte.” Es sei ja nicht so, dass man die Klappe nicht habe aufmachen können. “Umgekehrt war auch nicht jeder, der sich weigerte, in die SED einzutreten, deshalb gleich mutig.”

Welcher Ideologie er aufgesessen war, dass er aufs falsche Pferd gesetzt hatte, hat er erst spät begriffen. “Ich habe einen Lernprozess durchgemacht, und ich habe mir gesagt: Das passiert mir nicht noch mal”, sagt er.
So jemand schaut anders auf Gregor Gysi, über den er ein Buch geschrieben hat, oder auf Joachim Gauck, den er für Christian Irrgangs gerade erschienenen Fotoband “Bürger Gauck: Unterwegs mit einem unbequemen Präsidenten” porträtiert hat. Beim Überreichen des Buches soll der Bundespräsident gesagt haben, einer mit Königs Werdegang, obgleich einem gänzlich anderen sozialen Milieu entstammend, verstehe ihn eben besser als andere.

Nur eine Sache treibt den dreifachen Vater, der mit der Journalistin und Buchautorin Nadja Klinger verheiratet ist, um: das Manko, nie für längere Zeit im Ausland gewesen zu sein. “Würde mir der ‚Stern‘ in fünf Jahren anbieten, als Korrespondent nach New York zu gehen: Überlegen müsste ich keinen Moment. In einer Stunde wäre ich bereit zum Abflug.” Kann ja noch kommen, er ist erst 50.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Die andere Perspektive. Das Heft können Sie hier bestellen.