Das waren noch Zeiten!

Rezension

“Die beiden sind der ambulante Schlachthof” – so lautete 1976 das Verdikt Gerd Bachers, des ehemaligen ORF-Intendanten und damaligen Wahlkampfberaters des CDU-Kanzlerkandidaten Helmut Kohl, über die beiden Bonner “Spiegel”-Korrespondenten Dirk Koch und Klaus Wirtgen, die in der Bundeshauptstadt am Rhein meist zu zweit auftauchten. Der Rezensent erinnert sich noch der diebischen Freude Bachers, als ihm diese Formulierung eingefallen war.

Das waren noch Zeiten. Einer der beiden, Dirk Koch, hat jetzt – auch im Andenken an seinen 2010 verstorbenen Freund und Kollegen Klaus Wirtgen – unter dem Titel “Der ambulante Schlachthof” – ein kleines Buch vorgelegt, das jene Zeiten in Erinnerung ruft, als Journalisten noch Skandale aufdeckten und als Politiker noch zurücktraten, weil – wie in der Partei­spendenaffäre – ihre tatsächlichen Gesetzesverstöße und ihre Vergehen enthüllt wurden. Anders als heute, wo Zeitungen und sogenannte “sozia­­le” Medien zur Hatz auf einen Bundespräsidenten blasen, wegen einer Oktoberfesteinladung für etwas mehr als 700 Euro und eines Bobbycars.

Meister der Recherche

Wirtgen und Koch bildeten ein auch äußerlich eindrucksvolles, mitunter wuchtig erscheinendes journalistisches Gespann (Rudolf Augstein befand einmal, man könne “von diesen beiden guten Gewissens auch einen Geldschrank bewachen” lassen). Sie waren Meister der Recherche, die sich in persönlichen Kontakten und in vertrauensbildenden Gesprächen an ihre Geschichten heranarbeiteten. Zu Franz-Josef Strauß, zu Willy Brandt, zu Hans-Dietrich Genscher, zu vielen anderen. Nur nicht zu Helmut Kohl. Dieser verweigerte sich nach dem ersten und einzigen Interview im Jahr 1976 allen Kontakten zum “Spiegel”. Er wusste aber immer, was in dem Blatt stand, das er nicht las. Er ließ es sich nämlich aus den Vorab-Exemplaren vorlesen, von seinem getreuen Eduard Ackermann.

So singt Koch denn auch in seinem Buch das hohe Lied eines kooperativen und kollegialen Journalismus, in dem es nicht um persönliche Eitelkeiten von journalistischen Edelfedern ging, sondern um Geschichten aus dem politischen Leben. Devise: Recherche vor Ort und bei lebenden Menschen, nicht das Starren auf den Bildschirm und Googeln.

Einige Geheimnisse enthüllt Koch auch: die persönlichen Verstrickungen des “Spiegel”-Herausgebers und FDP-Mitglieds Rudolf Augstein in die Parteispendenaffäre etwa oder aber die Geschichte, dass der Terrorist Andreas Baader kurz vor seinem Tod nach Mogadischu gebracht wurde, um die “Landshut”-Entführer glauben zu machen, man wolle auf ihre Forderung nach Freilassung der RAF-Häftlinge eingehen.

Alles in allem: ein Buch, das manch einen wehmütig an frühere Zeiten zurückdenken lässt, das aber gleichwohl Lehren für heutiges journalistisches Arbeiten enthält. Ob es allerdings in einer gegenüber früher sehr veränderten Medienlandschaft tatsächlich eine Anleitung dazu sein kann, Politiker wieder wirklich das Fürchten zu lehren, muss bezweifelt werden. Das Buch zu lesen, lohnt sich trotzdem allemal.

Dirk Koch: Der ambulante Schlachthof oder Wie man Politiker wieder das Fürchten lehrt, Westend Verlag, Frankfurt am Main 2016, 191 Seiten, 18 Euro