"Das schwächt den Einfluss der CSU"

Herr Professor Korte, die Union hat die Europawahl in Deutschland zwar gewonnen, aber einen Dämpfer verpasst bekommen. War die Wahlkampfstrategie der CDU, voll und ganz auf Kanzlerin Merkel zu setzen, richtig?

Auf jeden Fall. Die Ergebnisse geben ihr doch Recht, die CDU hat eindeutig gewonnen, hat geradezu abgeräumt. Wer verloren hat, ist die CSU. Ihr europaskeptischer Populismus hat sich offensichtlich nicht ausgezahlt.

Warum nicht?

Weil die CSU normalerweise in der politischen Mitte beheimatet ist. Dass sie im Wahlkampf derart europaskeptische Töne angeschlagen hat, war nicht nur unpassend. Sie hat zudem diejenigen, die sie damit erreichen wollte, nicht erreicht. Die sind entweder zu Hause geblieben oder haben ihre Stimme lieber gleich der AfD gegeben. 

Welche Folgen wird das Wahlergebnis für das Binnenverhältnis zwischen CDU und CSU haben?

Keine kurzfristig sichtbaren. Aber der strategische Kurs der CDU wurde bestätigt und derjenige der CSU eher abgestraft. Das schwächt den Einfluss der CSU.  

Grund zum Jubeln hatte die SPD: Sie konnte im Vergleich zur letzten Europawahl deutlich zulegen. Welchen Anteil an diesem Erfolg hatte ihr Spitzenkandidat Martin Schulz? 

Einen sehr großen. Es war mit Sicherheit ein Bonus für die SPD, dass sie mit Martin Schulz einen Deutschen als Spitzenkandidat für die europäische Parteienfamilie ins Rennen schicken konnte. Dadurch konnte sie sehr aktiv mobilisieren – eine historische Chance. Wäre nicht ein deutscher, sondern ein finnischer Sozialdemokrat Spitzenkandidat gewesen, wäre die Sache sicherlich in ganz anderen Dimensionen verlaufen.

Was bedeutet das vergleichsweise gute Abschneiden der SPD für die Große Koalition in Berlin?

Dass die beiden Koalitionspartner jetzt wieder mehr auf Augenhöhe sind. Immerhin liegen die beiden Parteien nur noch ungefähr acht Prozentpunkte auseinander, bei der letzten Europawahl waren es noch 17 Prozentpunkte.

Stark hat die Alternative für Deutschland (AfD) abgeschnitten; sie kommt auf sieben Prozent. Hat sie sich damit – nach ihrem Achtungserfolg bei der Bundestagswahl 2013 – als politische Kraft dauerhaft etabliert?

Nein. Das Hauptthema der Alternative für Deutschland war immer – und das ist der Gründungsmythos der Partei – die Kritik am Euro und die Forderung nach dem Ausstieg aus der Gemeinschaftswährung. Daher war klar, dass sie bei dieser Wahl abräumen würde. Der Wahlerfolg der AfD gründet einzig und allein in ihrer klaren Gegnerschaft zum Euro und zu Brüssel.

Bei der nächsten Bundestagswahl könnte es also für die AfD schon wieder ganz anders aussehen?

Ja. Das sehen Sie ja an den Piraten, der einstigen Überfliegerpartei, die heute gerade einmal auf etwa 1,4 Prozent der Stimmen kommt.

Ähnlich traurig sieht es bei der FDP aus, die etwas über drei Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Ist damit das Aus der Liberalen als politische Kraft in Deutschland endgültig besiegelt?

Nein. Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Frühjahr 2017 müssen die Liberalen auftauchen. Wenn sie dann in NRW mit überzeugendem Personal und Themen zwischen fünf und acht Prozent holen, könnten sie es schaffen, im Herbst 2017 wieder in den Bundestag einzuziehen. Die Jahre dazwischen sind verlorene Jahre, da werden die nicht punkten können.

Aber wie schafft man es als Partei, eine solch lange Durststrecke durchzustehen?

Das ist schwer, keine Frage. Organisatorisch muss das von NRW ausgehen, denn da ist im Moment die Zentrale der FDP, da sind die Liberalen stark, da sind sie sichtbarer als in anderen Landtagen.

Erfreulich ist ja, dass die Wahlbeteiligung mit 48 Prozent deutlich höher lag als bei der Europawahl 2009 (43,3 Prozent). Ist das vor allem der Tatsache geschuldet, dass in zehn Bundesländern zeitgleich Kommunalwahlen stattgefunden haben?

Nein, das glaube ich nicht. Bei der letzten Europawahl fanden ja ebenfalls zeitgleich in mehreren Bundeslängern Kommunalwahlen statt – ohne einen vergleichbaren Effekt. Ich denke eher, es lag daran, dass es erstmals europäische Spitzenkandidaten gab – also die Chance, zu personalisieren und damit auch zu mobilisieren. Dadurch wurde der eine oder andere bewogen, doch wählen zu gehen.

Haben dabei auch die TV-Duelle zwischen Martin Schulz und Jean-Claude Juncker eine Rolle gespielt?

Nein, die waren einfach nicht kontrovers genug, um emotional zu mobilisieren.

Insgesamt gab es vor allem in den letzten Tagen in den deutschen Medien sehr viel positive Berichterstattung über die EU.

Ja, das stimmt. Das hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass den Leuten klar wurde, was das für Konsequenzen hat, wenn man nicht wählen geht oder seine Stimme den Euro-Kritikern gibt. Leider haben viele Spitzenpolitiker der etablierten Parteien diesen positiven Ansatz unterlaufen.    

Inwiefern?

Nun, viele von ihnen haben bei den Wahlkampfkundgebungen auf den Marktplätzen erst mal die angebliche Regelungswut der EU gegeißelt, um die Leute für sich zu gewinnen. Es wäre viel besser gewesen, sie wären positiv eingestiegen. Auf Kritik hätten sie dennoch nicht verzichten müssen.

Ein Blick ins Ausland: In Frankreich ist der Front National von Marine Le Pen stärkste und in Dänemark ist die rechtspopulistische Dänische Volkspartei zweitstärkste Kraft geworden. Auch in anderen Ländern sind die Rechtspopulisten im Aufwind. Was bedeutet das für die Arbeit im Europaparlament und für die Zukunft der EU?

Das bedeutet, dass diese Parteien erstmal versuchen werden, selbst Fraktionen zu bilden oder sich anderen Fraktionen anzuschließen. Das wird ihnen aber nicht gelingen, so dass ihre Möglichkeiten, im Parlament wirklich machtpolitischen Einfluss zu nehmen, minimal sind. Die Frage ist eher, ob sich durch die Wahlsiege der Rechtspopulisten im Parteienwettbewerb ihrer Heimatländer etwas ändert. Die Rolle hingegen, die sie im Europaparlament spielen können, wird vielfach überschätzt. 

Wie geht es jetzt weiter in Straßburg und Brüssel?

Meine Prognose ist, dass wir monatelang werden warten müssen, bis wir wissen, wer Kommissionspräsident wird. Das Europaparlament wird noch zwei Mal tagen vor der Sommerpause. Ich glaube nicht, dass man bis dahin klar absehen kann, auf welchen Kandidaten sich das Parlament erst mal selbst verständigt.

Und dann kommt ja noch der Machtkampf mit Frau Merkel, die schon deutlich gemacht hat, dass sie im Wahlergebnis keinen Automatismus dafür sieht, wer am Ende EU-Kommissionspräsident wird.  

Ja, aber auch François Hollande und die anderen Regierungschefs werden dabei ein Wörtchen mitreden. Sie alle werden sich genau überlegen, wer in welche Position der neuen EU-Kommission kommt. Es steht uns also ein Machtkampf zwischen Europaparlament und Europäischem Rat bevor. Vorboten gab es ja schon am Wahlabend. 

Inwiefern?  

Nun, im Konrad-Adenauer-Haus war Frau Merkel weit und breit nicht zu sehen. Das war schon kurios. Die in diesem Wahlkampf von CDU-Seite am meisten Plakatierte ist überhaupt nicht in Erscheinung getreten. Ich kann mir das nur so erklären, dass sie den Fragen ausweichen wollte, was jetzt, wo uns ein Machtkampf der Institutionen bevorsteht, zu tun ist.