Das Phänomen zu Guttenberg

Als Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg Ende August zum fünften Mal innerhalb von zehn Monaten den deutschen Truppen in Afghanistan einen Besuch abstattete, flankierten aufmerksamkeitsstarke Bilder die Berichterstattung. Es waren Bilder des Ministers mit Sonnenbrille, Jet-Helm und kugelsicherer Weste mitten im Kampfgebiet, die es gleichermaßen auf die Titelseiten, in die politischen Spalten und auf die bunten Seiten schafften. Und es gab glamouröse Vergleiche, zum Beispiel den häufig gebrauchten, dass zu Guttenberg aussehe „wie Tom Cruise in Top Gun“.
Das Phänomen zu Guttenberg – es gibt viele Umschreibungen: Längst heftet ihm öffentlich das Etikett vom „coolen Baron“ an. Andere bezeichnen ihn als ein „Musterbeispiel für einen Politiker, der sich selbst geschickt in Szene setzt“. Für andere ist er gar ein „etwas anderer CEO“, also ein Chief Executive Officer.
Der Minister als CEO? Das ist bei näherer Betrachtung ein keinesfalls abwegiger Vergleich. Denn als politischer Chef von über 250.000 Mitarbeitern, ausgestattet mit einem Haushalt von über 30 Milliarden Euro, führt zu Guttenberg einen „Teilkonzern“ der Bundesregierung, der es im Hinblick auf Größe, volkswirtschaftliche Bedeutung, internationale Ausrichtung, öffentliche Aufmerksamkeit, Transformationsbedarf und damit auch Management-Komplexität mit jedem Top-Unternehmen in Deutschland aufnehmen kann.
Und umgekehrt gleichen sich die Rollenbilder eines Top-Managers und eines Politikers immer stärker an. Moderne Unternehmensführung ist permanenter Wahlkampf. Es geht darum, Mehrheiten für die unternehmerische Agenda zu gewinnen. Für die meisten unternehmerischen Herausforderungen gibt es keine einfachen Antworten mehr – zu komplex sind Bedürfnisse und Erwartungen der eigenen Führungskräfte und Mitarbeiter sowie die gesellschaftlichen und politischen Anforderungen geworden. Die Zeit der Technokraten mit einer einseitigen Absatz- oder Kapitalmarktorientierung ist vorbei. Unternehmen und ihre Lenker müssen sich erklären, ihr eigenes Handeln an den „großen“ gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Herausforderungen spiegeln.
Der moderne CEO macht dies aus Überzeugung, weil es strategisch für die Entwicklung seines Unternehmens entscheidend ist. Und er positioniert sich überzeugend zu diesen Themen und im Umgang mit allen relevanten Zielgruppen, weil dies von ihm erwartet wird. Gefragt sind Empathie und Dialogorientierung. Dazu gehört auch die richtige Symbolik in Sprache und im Auftritt – wobei jede Führungspersönlichkeit, die dabei nicht authentisch und glaubwürdig ist, schnell entlarvt wird. Erfolgreiche CEOs müssen ihre eigene Agenda immer mit den Geschicken ihres Unternehmens verbinden. Für Top-Manager wie für Spitzenpolitiker gilt: Strategische Kommunikation ist ein zentrales Management- und Machtinstrument.
Zurück zu Verteidigungsminister zu Guttenberg. Zunächst: Er wird mit dem besten Ergebnis aller Direktkandidaten in den Deutschen Bundestag gewählt. Auch national rangiert er auf der Beliebtheitsskala der Spitzenpolitiker seit Monaten vorne. Und viele trauen ihm mehr zu als „nur“ den Chefposten des Verteidigungsressorts. Kann die Inszenierung, wenn sie denn überhaupt bewusst gestaltet ist, so falsch sein? Nein. Zu Guttenberg ist der Kontrapunkt zur steigenden Politiker-Verdrossenheit. Die Mehrheit der Deutschen findet ihn offensichtlich authentisch und glaubwürdig.
Karl-Theodor zu Guttenberg auf Top-Gun-Fotos zu reduzieren, greift zu kurz. Bilder im Kampfanzug hat es zuvor von jedem Verteidigungsminister gegeben. Das bringt das Amt nun mal mit sich. Und selbst die Journalisten, die – ebenfalls mit schusssicheren Westen bekleidet – auf den Bildern im Hintergrund stehen, muten vielleicht nicht so an wie Tom Cruise, wirken aber doch auch alle ein wenig „Top Gun“.
Der Minister verfolgt eine strategische Agenda: Er setzt die richtigen Themen zur richtigen Zeit. Er hat die „kriegsähnlichen Zustände“ angesprochen, mit denen deutsche Soldaten in Afghanistan konfrontiert sind, und damit die schmale Gratwanderung zwischen Völkerrecht, politischem Auftrag, öffentlicher Diskussion und Erwartungen in der Truppe geschafft – und sich für die Bundesregierung klar positioniert. Er hat die ebenfalls überfällige Reform der Bundeswehr auf den Weg gebracht. Dass er damit in den eigenen Reihen zunächst aneckt, ficht ihn nicht an. Sein Ziel ist ein breiter gesellschaftlicher Konsens, und er baut auch einen Pfad, über den die Opposition gehen kann. Es bleibt hängen: Zu Guttenberg positioniert sich, er gestaltet und vermittelt das auch hinreichend.
Um das Phänomen zu Guttenberg zu ergründen, sind ohnehin die Bilder viel aufschlussreicher, die es zwar nicht auf die Titelseiten, aber immerhin in die Bildergalerien der Online-Medien schaffen. Da ist etwa ein Minister beim Afghanistan-Besuch zu sehen, der eng umkreist von seinen Soldaten im Dialog ist. Keine Frontalbeschallung, keine Distanz, keine Referenten oder Apparatschiks dazwischen. Das Bild symbolisiert: zuhören, zusammenrücken, sich auf Augenhöhe begegnen. So sollten es übrigens auch CEOs in jedem Wirtschaftsunternehmen im Dialog mit ihren Führungskräften und Mitarbeitern tun. Gerade in Zeiten wie diesen, die nach Sinnstiftung und Orientierung verlangen.
Das Strategische an der Kommunikation ist etwas anderes als bloße Inszenierung. Es ist die Verbindung von Substanz und Symbolik auf der Basis von Authentizität und Glaubwürdigkeit. Das beherrscht zu Guttenberg. Und wo liegt das Rückschlagspotenzial? Da geht es zu Guttenberg nicht anders als jedem Politiker und auch CEO – wenn er keine Mehrheiten für seine Pläne organisiert bekommt, wenn seine Strategie scheitert. Der Verteidigungsminister wird darum wissen und seine persönliche Agenda, die er eng mit der Sache verbindet, weiter verfolgen.
Fazit: Wir brauchen viel mehr zu Guttenbergs – in der Politik sowieso und in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft noch viel mehr.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Lass uns Freunde sein. Das Heft können Sie hier bestellen.