Das beste Argument gewinnt

Hennig Scherf als Dieter Bohlen: Das ZDF wagt mit „Ich kann Kanzler“ Mitte Juni die erste politische Castingshow. Das Modell der Privaten soll im öffentlich-rechtlichen Fernsehen junge Menschen für Politik interessieren. Heidi Klum, Günther Jauch und Dieter Bohlen genießen längst mehr Aufmerksamkeit als das gesamte Bundeskabinett. Politik muss aufholen, um noch Gehör zu finden. Medienwahlkampf, Regierungs-PR, Public Affairs: Wer politische Inhalte kommuniziert, kommt an der griffigen Übersetzung seiner Inhalte nicht mehr vorbei.
Politische Kommunikation und Inszenierung sind kein Widerspruch. Ob der Staat die Reform der Erbschaftssteuer vermittelt oder für gesündere Ernährung und mehr Bewegung begeistert: Plakative Metaphern und emotionale Bildwelten helfen. Die Zuspitzung und Emotionalisierung des Themas erhöht die Attraktivität des Anliegens, es findet Zuhörer und Zuschauer.
Die Notwendigkeit der Übersetzung bedeutet nicht, dass die Botschaft dünn ist. Das Bundesforschungsministerium hatte im Einstein-Jahr mit großen Buchstaben und Leuchtinstallationen Akzente gesetzt und es geschafft, dass sich die Menschen mit Albert Einstein beschäftigen. Und das Bundesfinanzministerium hatte bei seinem letzten Tag der offenen Tür Besucher eingeladen, den „Staatsschatz“ zu besichtigen – keine Kronjuwelen und kein Gold, sondern Exponate zu Forschung, Bildung, Ehrenamt, also Bereiche, in die das BMF investiert. Zweimal Bilder und Fakten: Erst beides zusammen brachte Besucher, Gespräche und Schlagzeilen.
Die ernsthafte Auseinandersetzung mit wichtigen Themen profitiert von leichter Kost. Auch Medienformate wie „Spiegel Online“, „Hart aber Fair“ oder die „Kinder-Zeit“ bedienen sich der Mechanik, komplexe Sachverhalte in Bilder zu übersetzen, sie medial zu inszenieren. Sie schaffen es, dass sich nicht nur Polit-Junkies für politische Problemfelder und Debatten interessieren und einbringen.
Wenn das ZDF mit „Ich kann Kanzler“ eine Castingshow im Stile von „Deutschland sucht den Superstar“ kopiert, ist es ein legitimer Schritt und ein notwendiger dazu – auch wenn der Sender das Format nicht konsequent im TV durchzieht, sondern schwerpunktmäßig ins Web verlagert.
Der Kampf um Stimmen im Superwahljahr beweist längst, dass Politik sich gekonnt in Szene setzt, um überhaupt noch stattzufinden. Wie sehr sie sich in Inszenierung verliert, in welchem Ausmaß Bilder Inhalte überlagern und zum Selbstzweck werden, ist eine Frage, die jeder stellen darf und muss. Bürger und Journalisten sind gefordert, die Kampagnen mit der Wirklichkeit zu konfrontieren und zu überprüfen, wie es um die Substanz des Wahlversprechens, der Reform oder des neuen Gesetzes steht.
Auch Politiker kontrollieren, wie stark die Argumente ihrer Gesprächspartner sind – ob Verband, Unternehmen, Bürger oder NGO. Gerade in Zeiten der Krise, in denen das Vertrauen erschüttert ist und jeder neuen Halt sucht, sind Fakten wichtig. Bürger und Parlamentarier: Die Adressaten politischer Kommunikation erwarten Richtwerte, die eine stabile Ordnung ermöglichen.
Um mit Argumenten durchzudringen, nutzen Interessenvertreter die Kraft der Kampagne, provozieren Schlagzeilen und generieren Pressebilder. Erst Recht, wenn ein Thema (noch) nicht in den Medien ist. Wenn Bauern öffentlich literweise Milch in den Abguss schütten, will man wissen, warum. Wenn der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen einen eigenen Wahlwerbespot dreht und ans Parlament verschickt, fragt man sich, wofür. Die Kampagne ist der Startschuss für einen Dialog, für ein Mehr an Kommunikation und Daten. Denn schlussendlich gilt: Nur das beste Argument gewinnt.
Wenn am 19. Juni also die sechs Finalisten im ZDF als Jungkanzler kandidieren, wird Henning Scherf genau hinschauen, wer sich „nur“ inszeniert und wer wirklich „Kanzler kann“. Beides zusammen bestimmt das Ergebnis – das ist in der Medienwelt nicht anders als im politischen Geschäft eben auch. Dieter Bohlen und Heidi Klum haben den Markt der Meinungsführer nicht für sich gepachtet. Politische Kommunikation kann Schlagzeilen provozieren – sie muss sich nur trauen. 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Wahlkampf – Diesen Sommer in Ganz Deutschland. Das Heft können Sie hier bestellen.