Camerons Darling

Kwasi Kwarteng ist in Großbritannien der politische Senkrechtstarter der letzten zwei Jahre. Dabei fand der 1975 als Sohn ghanaischer Einwanderer geborene Wirtschaftshistoriker vergleichsweise spät zur Politik. Mitglied der Tories ist er zwar bereits seit Mitte der 1990er Jahre, doch während seiner Schulzeit und im Studium war er eher unpolitisch. Mit 14 Jahren besuchte er das renommierte Eton College, anschließend belegte er einen Bachelor-Studiengang britische Geschichte in Cambridge. Einem Masterabschluss an der US-Eliteuniversität Harvard folgte ein Doktortitel in Wirtschaftsgeschichte, wiederum in Cambridge. Wer mit Kwarteng spricht merkt schnell, dass er auch eine akademische Karriere hätte einschlagen können. Der Mann, der Winston Churchill als politisches Vorbild nennt, spricht freundlich, ruhig und überlegt und verbringt auch heute noch viel Zeit in ­Bibliotheken.
Doch nach seinem Studium verspürte er das Interesse, sich aktiv in das politische Geschäft einzumischen. Als Gründe führt er idealistische Motive an. Dabei ist sein Ausgangspunkt allen Handelns Marktwirtschaft pur. Als Vertreter einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik gehört die Deregulierung des Arbeitsmarkts genauso zu seinem Vokabular wie die Senkung der Unternehmenssteuern. Diese Forderungen ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Handeln, ob einst als Vorsitzender des konservativen, marktwirtschaftlich orientierten Think Tanks „Bow Group“, oder heute im Verkehrsausschuss.
Entsprechend sieht er Deutschland und Gerhard Schröders Agenda 2010 als wirtschaftliches Vorbild. Hier seien in den vergangenen 13 Jahren harte Entscheidungen getroffen worden, etwa die Rente mit 67, deren Umsetzung in Großbritannien für die Zukunft bedeutend sei.
Gerne räumt er mit dem gängigen Klischee auf, das Farbige und Kinder von Migranten politisch eher links stünden. Nach seiner Meinung sprächen gerade einige Kernprogrammpunkte der Konservativen diese Zielgruppe besonders an. Hierzu zählt er Sparsamkeit, Leistungsbereitschaft oder auch traditionelle Familienwerte.
Probleme wegen seiner Herkunft habe Kwarteng bei den Tories nie erlebt. Er freue sich darüber, dass sich heute viele Kinder von Migranten der zweiten und dritten Generation in der Politik engagierten und er Teil dieser Welle sei. Die britische Gesellschaft sei heute sehr multikulturell, hieran hätten sich die Konservativen als pragmatische Volkspartei erfolgreich angepasst, ohne jedoch ihren Markenkern zu verwässern. Diese politisch korrekten Sätze spricht er, als hätte er sie bereits in Dutzenden Interviews aufgesagt. Als einer der „Rising Stars“ der Konservativen ist Kwarteng derzeit ein begehrter Gesprächspartner bei Journalisten.

Liebling der Tories

Überhaupt ist Kwarteng so ganz nach dem Geschmack von Premierminister David Cameron. Er ist jung, gebildet und hat ausländische Wurzeln. Als David Cameron im Dezember 2005 zum Vorsitzenden gewählt wurde, trat er mit dem Versprechen an, seine Partei zu modernisieren und wieder an die Macht zu führen. Damals bestand die 198-köpfige Unterhausfraktion zu mehr als 90 Prozent aus Männern, von denen lediglich zwei Migrationshintergrund hatten. Mittels der so genannten „A-list“, einer Liste, die Frauen, B-Prominenten und Kandidaten mit Migrationshintergrund in sicheren Wahlkreisen ein Mandat ermöglichen sollte, wollte die Parteiführung um Cameron die Fraktion vielfältiger gestalten.
Die Arbeit trägt mittlerweile Früchte, was ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht. Während es in der vorherigen Legislaturperiode nur 17 weibliche Abgeordnete in der Fraktion gab, sind es heute 49. Die Zahl der Parlamentarier mit Migrationshintergrund vervielfachte sich sogar von zwei auf elf. Kwarteng ist zwar kein Anhänger der Quote, sieht jedoch ein, dass Cameron durchaus bestehende gesellschaftliche Trends beschleunigen konnte. So sei das Parlament heute deutlich repräsentativer. Im selben Atemzug betont er nachdrücklich, dass er den Weg auch ohne Quote geschafft habe. Lange bevor es die A-Liste gab, hatte man ihn 2005 in der Labour-Hochburg Brent East als Parlamentskandidat aufgestellt.

Die konservativen Revoluzzer

Rund die Hälfte der 305 Abgeordneten der Tories wurde bei der letzten Parlamentswahl im Jahr 2010 erstmals in das Unterhaus gewählt. Sie verfügen über wenig Erfahrung im Parlamentsprozess, sind überdurchschnittlich jung und erfolgshungrig. Zwei Jahre nach der Wahl gehört Kwarteng heute zu den profiliertesten Newcomern.
Die jungen Parlamentarier sind sichtlich unzufrieden mit der Regierung, die dem liberalen Koalitionspartner viel Einfluss und ihnen wenig Aufstiegsmöglichkeiten bietet. So suchten und fanden sie alternative Karrierewege, die jedoch zu reichlich Reibung innerhalb der Fraktion der Tories führten.
In der Vergangenheit verliefen die Trennungslinien lediglich zwischen der liberal konservativen „Tory Reform Group“, dem wirtschaftsliberalen „Conservative Way Forward“ und den traditionellen Konservativen der „Cornerstone Group“. Derzeit sprießen neue Gruppierungen geradezu aus dem Boden und bieten dem Nachwuchs Spielwiesen, bei denen reichlich Vorstandsposten zu vergeben sind. Mit der „Fresh Start Group“, der „301 Group“ und der „Free Enterprise Group“ entstanden gleich drei neue Zusammenschlüsse von jungen Abgeordneten. Bei den zwei letztgenannten wirkte Kwarteng entscheidend an der Gründung mit. Sein Hauptaugenmerk liegt auf der „Free Enterprise Group“, die sich die Senkung der Staatsausgaben und Unternehmenssteuern auf die Fahne geschrieben hat.
Er ist ein konservativer Vordenker, der in der Partei bereits bestens vernetzt ist. Zusammen mit den jungen Abgeordneten Elizabeth Truss, Priti Patel, Dominic Raab und Chris Skidmore hat er die Denkschrift „After the coalition“ verfasst, in der eine konservative Agenda für die Zeit nach der nächsten Unterhauswahl aufgezeigt wird. Margaret Thatcher würde dem wirtschaftsliberalen und euroskeptischen Programm applaudieren, in dessen Zentrum niedrigere Steuern, Deregulierung der Märkte, eine ausgeglichene Haushaltspolitik sowie eine kritische Distanz zur Europäischen Union gefordert werden. Anders jedoch als vorherige Generationen britischer Europaskeptiker sind sie deutlich stärker Realpolitiker und schlagen in der Europapolitik leisere Töne an. Das Thema dürfe die politische Diskussion nicht dominieren, sei die Vorgabe.

Erste Erfolge

Doch die jungen Konservativen um Kwarteng sind nicht nur Vordenker im stillen Kämmerlein, wo es geht, greifen sie nach der Macht. Machiavelli hätte seine wahre Freude an ihnen. Im Mai dieses Jahres ließen sie erstmals an entscheidender Stelle ihre Muskeln spielen. Bei der Vorstandsneuwahl des „1922 Committee“, dem einflussreichen Zusammenschluss der konservativen Hinterbänkler, besetzten sie zwei Drittel der Vorstandsposten. Gleichzeitig zeigten sie Dankbarkeit gegenüber der aktuellen Parteiführung, der sie ihre Karrieren zu verdanken haben. Mit den Abgeordneten Peter Bone und Christopher Chope verdrängten sie zwei langjährige Vorstandsmitglieder aus dem Amt, die als notorische Kritiker von Parteichef Cameron aufgefallen waren. Öffentliche Angriffe auf den Premierminister seien nicht förderlich, so beschreibt Kwarteng die vorherrschende Denkweise der jungen Abgeordneten. David Camerons Dank dürfte dem Nachwuchs sicher sein.
Bei allen Erfolgen gibt sich Kwarteng bodenständig. Und so möchte er von dem Vergleich eines britischen Barack Obama nichts wissen. Obgleich ihm von den Fraktionskollegen und Parlamentskorrespondenten glänzende Karrierechancen attestiert werden. Seinen neuen Wahlkreis Spelthorne, südwestlich von London gelegen, hat er mit 47 Prozent der Stimmen und einem Vorsprung von mehr als 20 Prozent für sich gewonnen. Es ist eine sichere Bank der Konservativen und sollte dauerhaft leicht zu halten sein. Zudem verfügt er mit Cambridge über die richtige Alma Mater: 41 der 55 britischen Premierminister haben entweder in Oxford oder Cambridge studiert.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Wir wollen rein – Bundestag 2013. Das Heft können Sie hier bestellen.