"Böse Blicke von Wehner"

p&k: Herr Walter, bevor Sie in den 60er und 70er Jahren die Wahlkämpfe der SPD betreut haben, waren Sie in der klassischen Werbung tätig. Wie sind Sie zur Politik gekommen?

Harry Walter: Durch Herbert Wehner. Den habe ich 1965 auf dem Hamburger Flughafen getroffen und gefragt: „Warum macht ihr so beschissene Wahlkämpfe?“ Da hat er mich böse angeguckt und gefragt, wer ich bin. Mein Name hat ihm nichts gesagt, er kannte aber meinen Onkel Arno Scholz, der damals Herausgeber und Chefredakteur der SPD-nahen Berliner Zeitung „Telegraf“ war. Er hat mich dann zu einem Gespräch eingeladen und schließlich beauftragt, den Wahlkampf 1969 vorzubereiten. Als es 1966 zur Großen Koalition kam, stand ich vor einem Riesenproblem: Wahlkampf gegen eine Partei zu machen, mit der die SPD regiert.

Wie haben Sie das Problem gelöst?

Indem ich einen Paradigmenwechsel vorgenommen habe: Ich habe nicht erzählt, wie schlecht die CDU ist, sondern was die SPD will. Stellvertretend dafür stand der Spruch „Wir schaffen das moderne Deutschland“. Brandt fand das auf Anhieb gut. Alle potenziellen Minister mussten konkrete Vorschläge machen, was das moderne Deutschland für sie bedeutet. So ist schließlich aus dem Slogan ein Regierungsprogramm geworden

Auch das Logo der SPD sah zur Bundestagswahl 1969 auf einmal anders aus.

Ja, wir haben die Farbe gewechselt: vom proletarischen Rot zum modischen Orange. Tests von Infratest hatten nämlich ergeben, dass Willy Brandt und Karl Schiller eher die Farbe Orange zugeordnet wird, dass sie Frauen sympathischer ist und für die Zukunft steht. Auch die fette Schriftart des SPD-Logos haben wir in eine traditionelle Antiqua geändert, die staatstragender wirkte. Und schließlich haben wir auch erstmals Testimonials eingesetzt. Hans-Joachim Kulenkampff und Inge Meysel gehörten beispielsweise zu den prominenten Unterstützern von Willy Brandt.

Was hat der SPD im Wahlkampf 1972 den Wahlsieg gebracht?

Dass überproportional viele Frauen für Willy Brandt gestimmt haben, weil sie es als unanständig empfunden haben, wie Brandt im Wahlkampf behandelt worden war. Letztlich war also die Schmutzkampagne der CDU gegen den Kanzler der Sieg-Faktor 1972. Wie eng war Ihr Verhältnis zu Willy Brandt? Sind Sie Freunde geworden im Laufe der Jahre? Nein, dass wir Freunde waren, würde ich nicht sagen. Willy hatte keine Freunde. Selbst Egon Bahr und Horst Ehmke, die ihm sehr nahe standen, würde ich nicht als seine Freunde bezeichnen. Willy hat zu allen immer einen gewissen Abstand gehalten. Ich konnte mit ihm sehr offen reden, wir hatten immer sehr konstruktive Gespräche miteinander. Aber von einer Freundschaft zu sprechen, wäre anmaßend.

Verlieren klassische Kampagnenmittel wie Plakate eigentlich an Bedeutung gegenüber dem Internet?

Das kommt auf die Zielgruppe an. Ich wundere mich immer wieder, wie die sogenannten Sozialen Medien als Kommunikationskanäle hochgejubelt werden. In erster Linie sind sie für Jugendliche relevant, weil diese überwiegend die sozialen Netzwerke nutzen.

Unterschätzen Sie die Bedeutung der Sozialen Medien nicht?

Natürlich sind die sozialen Medien hervorragend für die interne Kommunikation der Parteien geeignet, zum Beispiel für Sprachregelungen im Wahlkampf. Doch die wichtigste Wählergruppe in Deutschland sind die älteren Menschen, und das wird auch so bleiben. Sie stellen schon jetzt rund ein Drittel der Bevölkerung, ihr Anteil nimmt weiter zu und ihre Wahlbeteiligung ist höher als bei den Jüngeren. Anzeigen in Zeitungen und Magazinen, gut platzierte Plakate und vor allem Wahlspots im passenden TV-Programm sind das richtige Mittel, um diese älteren Menschen zu aktivieren und ihre Meinung zu stabilisieren. In Deutschland sind die USA das Maß aller Dinge in Sachen Polit-Campaigning.

Auch für Sie?

Nein, die USA haben uns schon damals kaum inspiriert. Was uns imponiert hat, war die Quantität der eingesetzten Mittel. Aber in den USA ist ja die Zahl der Wahlberechtigten auch mehr als dreimal so groß. Die Werbung insgesamt war in den USA lange Zeit sehr beeindruckend. Aber auch heute verstehe ich diese US-Fokussierung nicht.

Warum nicht?

Weil die Amis im Endeffekt nur einen großen Vorteil haben: Sie können viel einfacher Daten erheben und damit Zielgruppen viel genauer erfassen als wir. Der Datenschutz ist, anders als in Europa, in den USA kein so strittiges Thema. Das ist nicht erst im heutigen Internetzeitalter so, das galt schon in den 70er Jahren. Auf dem US-Markt haben damals die privaten Fernsehsender ihre Kundendaten verhökert, bei den öffentlich-rechtlichen Sendern der Bundesrepublik hätte das zum Skandal geführt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Na, Klassenfeind? Ein Linker und ein Liberaler über Freundschaft zwischen politischen Gegnern. Das Heft können Sie hier bestellen.