Blair’s Babe

Mehr als 70 Jahre lang war Birmingham-Edgbaston ein sicherer Wahlkreis für die Konservativen. Doch 1997 war es damit vorbei. Beim Erdrutschsieg von Labour ging die Tory-Hochburg verloren – ausgerechnet an Gisela Stuart, eine gebürtige Deutsche.
Seit 1974 lebt die aus dem niederbayerischen Velden stammende 57-Jährige in England; in Manchester und London studierte sie, damals noch unter ihrem Mädchennamen Gschaider, Ökonomie und Jura. Später machte sie sich rasch einen Namen in der männerdominierten britischen Politik. Keine Selbstverständlichkeit in einem Land, in dem die Mächtigen von morgen ihre Verbindungen in den renommierten Privat- und Hochschulen des Landes knüpfen. Vor allem in Oxford und Cambridge entstehen die einflussreichen „Old Boys Netzwerke“.

Immerhin sorgte der damalige Premier in spe Tony Blair dafür, dass weibliche Parteimitglieder bei den Kandidatenaufstellungen stärker berücksichtigt wurden. Mit Erfolg: Hundert Frauen zogen nach den Parlamentswahlen 1997 für die Labour-Partei ins britische Unterhaus ein – eine davon war Stuart. Als „Blair’s Babes“ erlangten sie zweifelhafte Berühmtheit. Dabei hat Stuart wenig von dem, was man sich unter einem „Babe“ vorstellt. Sie verfügt über Beharrlichkeit, Durchsetzungsfähigkeit und Engagement: Eigenschaften, dank derer sie bisher drei Mal wiedergewählt wurde.

Auf ihren Erfolg angesprochen, reagiert Stuart bescheiden. „Das verdanke ich dem Team um meine Wahlkampfmanagerin Caroline Badley.“ Da ist sie, die bayerische Bodenständigkeit, für die sie in Birmingham geliebt wird. Badley war ihr damals von der Parteizentrale für die Unterhauswahl an die Seite gestellt worden. Sie blieb auf Dauer in Birmingham und baute mit Stuart das „Team Gisela“ auf, eines der landesweit größten Netzwerke auf Wahlkreisebene, das mittlerweile 400 Freiwillige zählt. „Ich bin in die Politik gegangen, weil ich Dinge verändern wollte“, sagt Stuart. Das scheint ihr zu gelingen. Als „höchstwillkommenen Export aus Deutschland“ bezeichnet etwa Labour-Urgestein Jack Dromey seine Kollegin. „Durch ihre Arbeit ist Birmingham eine bessere Stadt und Großbritannien ein besseres Land geworden.“

Einziger Wermutstropfen: Für höchste Staatsämter hat es nicht gereicht. Zwar wurde Stuart bereits 1999 Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, doch nach nur zwei Jahren berief Premier Blair sie wieder ab. Stuart ließ sich nicht entmutigen, verlagerte ihr Arbeitsgebiet auf die Außen- und Sicherheitspolitik.

Zudem engagierte sie sich stärker im Wahlkreis und professionalisierte ihr Kampagnenmanagement. In Großbritannien erhalten die Kandidaten per Gesetz die Listen der eingetragenen Wähler. Mitglieder des „Teams Gisela“ gehen permanent den Wahlkreis ab und aktualisieren deren Kontaktdaten. „Im Wahlkampf kenne ich daher die Telefonnummern von 60 bis 70 Prozent der 70.000 Wahlberechtigten in meinem Wahlkreis“, erläutert Stuart diese Strategie. „So lässt sich zielgerichtet werben.“ Das ist wichtig in einem Land, dessen Mehrheitswahlrecht von den Politikern einen engen Kontakt zu den Wählern verlangt. Nebenbei erarbeitete sie sich so eine starke Unabhängigkeit vom Londoner Parteiapparat.

Den Kontakt in ihre Heimat hat die zweifache Mutter nie abreißen lassen. Doch sie macht keinen Hehl daraus, für welches Land ihr Herz schlägt: Seit 1994 besitzt sie die britische Staatsangehörigkeit. Ressentiments wegen ihrer Herkunft hat sie nie verspürt: „Auf dem Land hätte es Probleme gegeben, aber in einer kosmopolitischen Großstadt wie Birmingham war meine Herkunft kein Thema. Die Konservativen hätten niemals eine Frau aus Deutschland aufgestellt, meine Labour Party war schon damals weiter.“
Dennoch zieht sich Stuart mit ihrem bayerischen Freigeist gelegentlich den Unmut des Parteiapparates zu. So unterstützte sie 2004 als einzige Labour-Abgeordnete die Wiederwahl von US-Präsident George W. Bush. Der Aufschrei der Linken war ihr sicher. Aktuell strapaziert sie als eine von zwei Parlamentsvertretern Großbritanniens im EU-Konvent mit ihrem kritischen Kurs gegenüber den EU-Institutionen die Nerven ihrer mehrheitlich europafreundlichen Parteikollegen.

Applaus kommt vom politischen Gegner: „Ich bewundere, dass Stuart bereit ist, die derzeit absolut unbefriedigende Mitgliedschaft in der EU in Frage zu stellen“, sagt etwa John Redwood, Ex-Minister, Unterhausabgeordneter der Torys und einflussreicher Blogger seiner Partei. Und die „Times“, die bei der Unterhauswahl 2010 die Konservativen unterstützte, nannte Stuart eine „herausragende Persönlichkeit, die unabhängig von der politischen Überzeugung die Stimme der Wähler verdient“ – eine Eloge, die nicht viele Labour-Abgeordnete erhielten.

Für Stuart kam sie genau richtig. Damals stand ihr Wahlkreis ganz oben auf der Liste von 50 Stimmbezirken, die die Konservativen unbedingt zurückgewinnen wollten. Das gelang ihnen auch – mit Ausnahme von Birmingham Edgbaston. Die Wähler scheinen zu schätzen, was Stuart damals zu ihrem Wahlkampf-slogan machte: „My values are Labour, but I think for myself.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Na, Klassenfeind? Ein Linker und ein Liberaler über Freundschaft zwischen politischen Gegnern. Das Heft können Sie hier bestellen.