Achtung, Pantone-Piraten!

„Die aktive Seite ist hier in ihrer höchsten Energie, und es ist kein Wunder, daß energische, gesunde, rohe Menschen sich besonders an dieser Farbe erfreuen. Man hat die Neigung zu derselben bei wilden Völkern durchaus bemerkt.“ Goethe 1810 zur Farbe Gelbrot in seiner „Farbenlehre“

Diese Farbe stört! Und zwar im besten Sinne. Sie kapert den Blick – und zieht die vollständige Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich …“, so oder ähnlich hallt es seit Jahrzehnten durch deutsche Präsentations- und Konferenzräume, wenn es gilt, den grafischen Einsatz von Orange zu legitimieren. Besonders häufig war und ist diese Argumentation beim favorisierten Stilmittel der Werber zu hören, wenn es darum geht, günstige Angebote hervorzuheben und auf den ersten Blick erkennbar zu machen: den Preisstörer. In Form und Größe kann dieser zwar variieren – die Wahrscheinlichkeit allerdings, dass er orange ausfällt, ist ziemlich hoch. Es sei denn, das gesamte Motiv setzt auf optische Lautstärke und nutzt die Mischfarbe entsprechend großflächig. Dieses konsequente Color Branding begegnet einem beispielsweise auf Flughäfen europaweit, wenn man sich der Mietwagenzone nähert.
Tatsächlich ist Orange in der Werbe- und Designwelt ein Alleskönner. Im Alleingang und großzügig eingesetzt, gilt es unter Marketingexperten als Köderfarbe für preisbewusste Konsumenten. Dezent verwendet, soll die Farbe kapriziös und stilsicher wirken, gerne auch jung und innovativ. Im Rahmen ihres Erscheinungsbildes vertrauen folgerichtig globale Unternehmensberatungen ebenso wie gediegene Herrenausstatter oder deutsche Bundesministerien dem spielerischen Charakterzug orangefarbener Sprenkel.
Die Formel „Orange = jung = kreativ“ entstammt bekanntlich den 1970ern, als entsprechend farbige Sitzsäcke, Föns und Plastikgeschirr die westdeutschen Mainstream-Haushalte eroberten, während orangefarbene Panton-Stühle die Esszimmer der Design Aficionados verschönerten. Ein Jahrzehnt später war Gelbrot zunächst verschwunden, um in den 90ern ein Farb-Revival zu erleben, das gleichzeitig das Ende der Zukunft von Orange einläuten sollte. Das prognostizierte zumindest die Fachzeitschrift design report im Jahr 2000. Und lag damit gründlich falsch. Denn in den 00er Jahren des neuen Millenniums eroberte Orange nicht nur das Logo und die Studio-Atmosphäre des Zweiten Deutschen Fernsehens sowie dank einer grellen Straßenfeger-Kampagne (BSR) die Herzen aller (Neu)-Berlinerinnen und Berliner – es wurde auch politisch, zunächst allerdings, ohne eindeutig Partei zu ergreifen.
Aus dem modischen und kreativen Orange wurde Ende 2004 in Kiew die politische Anti-Establishment-Farbe schlechthin. Die ukrainische Revolutionsfarbe soll angeblich auf ein altes sowjetisches Kinderlied zurückgehen, in dem ein Junge seine Welt ganz orange malt – was wiederum nach einer sympathischen Brand Story klingt. Denn das antikonformistische und postideologische Potenzial der Farbe Orange war der wirkliche Treiber bei den Protestanten in Kiew. Und dieses Potenzial ist es auch, das die Farbe im Zeitalter von rinks und lechts für ganz unterschiedliche politische Bewegungen so attraktiv macht. Und für PR- und Imageberater offensichtlich so empfehlenswert.

Orange war das neue Schwarz

Das mit der Pro-Juschtschenko-Bewegung beinahe zeitgleich neu eingeführte und heiß diskutierte Orange im Corporate Design der CDU hatte jedoch nichts mit den Protesten in Kiew zu tun – und doch viel mit „Perspektive, Aufbruch und Zuversicht“, wie der damalige Generalsekretär Volker Kauder bei der Vorstellung des neuen CDs erklärte. Orange als Aufbruchssignal unter Christdemokraten? Eine interessante Volte, zumal Rotgelb in der katholischen Liturgie nicht vorkommt. Ein „Welt“-Kommentator erkannte in der Farbwahl gar den ultimativen Abschied von den schwarzen Wurzeln und stellte ernüchtert fest: „Konsequenterweise müsste man jetzt das C aus dem Parteinamen streichen“. So weit ist es bekanntlich nicht gekommen, und die (momentan schrumpfenden) Prozentbalken der CDU werden an Wahlabenden weiterhin schwarz gefärbt.
Die politische Reise von Orange endete aber nicht in Kiew oder bei der CDU.
Im April 2005 lancierte Jörg Haider das orangefarbene Bündnis Zukunft Österreich, ein visueller Frontalangriff auf die etablierte blaue FPÖ. Noch im selben Jahr entschlossen sich israelische Siedler, gegen eine Rückgabe des Gazastreifens mit – genau: orangefarbenen Bändern und Schals zu demonstrieren. Kurzum: Bewegungen unterschiedlichster Interessen setzen seit gut einem Jahrzehnt auf die Heilkraft dieser einen Farbe – darunter auch die Freien Wähler in Deutschland, die eine putzige leuchtende Sonne schmückt.

Die sozial-liberale Mischfarbe

Und jetzt also die Piraten – genauer jener Teil der transnationalen Bewegung, der sich in deutschen Gewässern auf politischem Beutezug befindet. Denn die Piratpartiet, schwedische Mutter aller Piratenparteien, segelt seit Gründung unter violetter Flagge – und hat dazu unter anderem auch Finnen, Österreicher und Franzosen angestiftet. Die bundesdeutsche Emanzipation hin zu Orange hat Gründe. Böse Zungen behaupten, es sei einfach undenkbar gewesen, dass die technikverliebte Junge-Männer-Partei just die Farben des Feminismus zur Schau tragen sollte. Das stimmt zumindest insofern, als dass neben den politischen Primärfarben Schwarz, Rot, Gelb und Grün in Deutschland Lila tatsächlich stark mit der Frauenbewegung assoziiert wird. Die Gründungsprotokolle der Piraten, die Diskussionen im 2011 eingefrorenen Online-Forum der Partei sowie die Einträge im Piratenwiki offenbaren durchaus strategische und programmatische Motive: Danach ergäben die Summanden Rot (sozial) und Gelb (liberal) die Wunschsumme Orange. Ein Indiz dafür, dass aus der beliebig einsetzbaren Protestfarbe eine echte politische Farbe werden könnte, unter der – jenseits der tradierten Lager – bislang vernachlässigte politische Positionen kombiniert und neu arrangiert werden.
Orange als Distinktionsmittel revoltierender Online-Stände hat sich nach den Wahlerfolgen an Spree und Saar, in Düsseldorf und Kiel jedenfalls vorerst etabliert. Und das ist keine geringe Leistung, denn die „Politisierung der Farben kann nur mit wenigen Worten und symbolischen Bedeutungen operieren“, wie es

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Follow me – Das Lobbying der Sozialen Netzwerke. Das Heft können Sie hier bestellen.