14 Lehren aus dem Superwahljahr 2013

Was für ein Jahr! Drei Landtagswahlen und eine Bundestagswahl liegen hinter uns – jede mit einer ganz eigenen Dynamik und alle doch stark aufeinander bezogen. Die erfolgreiche Zweitstimmen-Kampagne der FDP auf Kosten der CDU in Niedersachsen etwa hatte durchaus Auswirkungen auf die Kampagnenstrategie der Union im Bund – mit dem Ergebnis, dass die Liberalen nicht mehr im Bundestag vertreten sind.

Umgekehrt standen die Landtagswahlen in Hessen und Bayern ganz im Schatten der eine Woche später bzw. zeitgleich stattfindenden Bundestagswahl. So blieb es spannend bis zuletzt, ob es der Hessen-SPD unter Thorsten Schäfer-Gümbel gelingen würde, dem Bundestrend der Sozialdemokraten zu trotzen.

Hochzeit der Demokratie wird die Wahlkampfzeit oft genannt. Mag sein. Vor allem aber ist sie eine Zeit, in der es auf gute Nerven ankommt, auf die richtige Strategie, das perfekte Timing und ein feines Gespür für das, was den Wähler umtreibt. All das kann über Sieg und Niederlage an der Wahlurne entscheiden. Das war auch 2013 so.

Klinken, Rauten, Sensationen

Wie oft ist uns ein langweiliges Wahlkampfjahr vorhergesagt worden! Rückblickend eine eklatante Fehleinschätzung. Schottenrock und Stinkefinger, Merkel-Raute und Veggie-Day: Das waren nur einige der augenfälligsten Szenen und Themen in einem Superwahljahr, in dem es an Überraschungen und Emotionen nicht fehlte.

Spannender als solche medialen Aufreger sind aber womöglich Trends im Campaigning, die im ersten Moment weit weniger spektakulär daherkommen. Stichwort Haustürwahlkampf, den die SPD im großen Stil ausgerufen hat. Doch war sie bei Weitem nicht die einzige Partei, die Ernst machte mit den Besuchen bei den Bürgern zu Hause. Hat sich die Mühe gelohnt? Und welche Form des Canvassing verspricht den größten Erfolg?

Oder Social Media – ein bereits 2009 oft beschworenes Wahlkampfinstrument, dem viele Politiker damals aber noch skeptisch gegenüberstanden. War das diesmal anders? Und sind die sozialen Medien den in sie gesetzten Erwartungen gerecht geworden?

Vor oder zurück?

Haustürwahlkampf und soziale Medien – wer denkt bei diesen Stichworten nicht an die USA und den schon jetzt legendären Wahlkampf des amtierenden Präsidenten um die Wiederwahl? Und in der Tat schwebte die Obama-Kampagne 2012 wie ein Geist über den Wahlkämpfern hierzulande. Doch was taugen solche US-Vorbilder überhaupt? Lassen sich amerikanische Kampagnentrends so einfach auf unsere Verhältnisse übertragen?

Fragen, die zeigen: Es ist Zeit, zurückzuschauen – und nach vorn. Denn die nächste Wahl kommt schon im Mai mit der Europawahl. Und dann sind all die im Vorteil, die aus den Erfahrungen dieses Wahljahres gelernt haben. Deshalb haben wir nachgefragt – bei denen, die es wissen müssen: bei Kampagnenmachern und bei politischen Beratern, bei Wahlforschern und bei Experten der politischen Kommunikation.

Für p&k schildern sie in kurzen Statements die Quintessenz ihrer Erfahrungen und Beobachtungen im Superwahljahr 2013. Herausgekommen ist neben vielen spannenden Erkenntnissen eine Art Leitfaden für alle, die sich im kommenden Jahr auf den „Höllenritt Wahlkampf“ (Frank Stauss) begeben.

 

Unterschätzt den Gegner nicht!

Wahlkampf 2013, da war doch was. Die Kampagnen waren wieder etwas dialogischer, und viel digitaler waren sie natürlich auch. Und sonst? Wenig Risiko, viel Routine. Viel Vertrauen, wenig Veränderung. Wie das allgemeine Befinden, so auch die Kampagnen. Und so sind dann auch die neuesten Trends eher die alten Binsen.

Trend 1: Wer konsequent personalisiert, ist klar im Vorteil.
Trend 2: Wenn Personal und Programm nicht zueinander passen, purzeln die Prozente.
Trend 3: Wer Kernkompetenzen nicht personalisiert, hat auch ein Problem.
Trend 4: Wer den Markenkern vernachlässigt, ist selbst schuld.
Trend 5: Wer seine (politischen) Hausaufgaben gemacht hat, dem braucht um die passende Kampagne nicht bange sein.
Trend 6: Wer den Gegner unterschätzt, verliert schnell die Hegemonie.
Trend 7: Wer viele Menschen erreicht, hat nicht automatisch gewonnen. Sie wollen auch begeistert und überzeugt werden.
Trend 8: Wer viel verspricht, muss auch liefern.
Trend 9: Wem am Ende die Puste ausgeht, der verpasst die meisten Chancen.
Trend 10: Wer die wenigsten Fehler macht, gewinnt.

Das Gute, das Spannende, das Einzigartige ist: Schon beim nächsten Mal muss es nicht so kommen. Bleibt alles anders. Grönemeyers Songtitel könnte also ganz gut zum Fazit dieses (Wahl-)Kampagnenjahres taugen.

Hans-Hermann Langguth
ist Geschäftsführender Mitgesellschafter der Werbeagentur Zum goldenen Hirschen, die die Bundestagswahlkampagne der Grünen betreut hat.


 

Denkt an die Briefwähler!

Ein überaus spannender Aspekt der Bundestagswahl 2013 sind die Zeitstrukturen der Stimmabgabe. Sehr viel war von den unentschlossenen Wählern zu hören, die ihre Entscheidung erst auf dem Weg zum Wahllokal oder sogar erst in der Wahlkabine fällen.

Auf diesen Typus des so genannten Late Decider richteten die Parteien ihren Wahlkampf ebenso aus wie die Medien ihre Berichterstattung. Über die tatsächliche Größenordnung können – mit den üblichen Unsicherheiten – die Nachwahlbefragungen einigen Aufschluss geben.

Sicher aber ist: Wesentlich größer war die Zahl derjenigen, die ihre Stimme zum Teil schon weit vor dem 22. September vergeben haben, manche sogar noch vor dem TV-Duell drei Wochen zuvor. Denn mit 25 Prozent ist der Anteil der Briefwähler so hoch wie noch nie. Dieses Early Voting ist ein großer und weitgehend unbekannter Gegenpol zur späten Stimmabgabe. Was bislang fehlt, ist die bessere Abstimmung der Kampagnenführung auf die Frühwählerschaft – und eine substanzielle Briefwahlforschung.

Prof. Dr. Christoph Bieber
ist Politikwissenschaftler und Inhaber der Welker-Stiftungsprofessur für Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft der Universität Duisburg-Essen


 

Seid seriös und authentisch!

Die Medien müssen aufpassen, dass sie in ihrer Lust an der Kritik nicht das Maß verlieren. Es gab einige recht schräge Berichterstattungen über Petitessen im Wahlkampf. Da hat sich doch sehr das Prinzip eingeschlichen: Only bad news are good news. Stattdessen sollten sich Presse und Fernsehen wieder auf ihren eigentlichen Auftrag besinnen, nämlich die Wähler zu informieren.

Überhaupt war bei den Wahlkämpfen 2013 eine zunehmende Boulevardisierung und Personalisierung zu beobachten. Auch da gleichen wir uns amerikanischen Verhältnissen an: Die Spitzenkandidaten der Parteien werden immer wichtiger. Auch, weil viele Leute viele Sachthemen gar nicht mehr wahrnehmen.

Zugleich wünschen sich die Bürger trotz – oder wegen – der zunehmenden Boulevardisierung Spitzenkandidaten, die Glaubwürdigkeit und Kompetenz ausstrahlen. Das Negativ-Beispiel Brüderle zeigt, dass man seriös auftreten muss, wenn man die Wähler für sich gewinnen will. Nur wer authentisch wirkt und einen Machtanspruch verkörpert, hat die Chance, in ein politisches Spitzenamt gewählt zu werden.

Klaus-Peter Schmidt-Deguelle ist selbstständiger Medienberater


 

Ehrt das Wahlplakat!

Mich hat überrascht, dass das Wahlplakat weiterhin eine so große Rolle spielt. Alle haben sich auf Social Media fixiert und das Plakat nicht ernst genommen. Das war ein Fehler. Denn letztlich haben die Plakate den Wahlkampf entschieden.

Es gibt eben doch eine Menge Leute, die nicht in den sozialen Medien unterwegs sind und die man immer noch am besten übers Plakat erreicht. Die müssen dann aber auch gut gestaltet sein. Und daran hat es gehapert. Vor allem ist es nicht gelungen, interaktiv zu sein. Positiv in Erinnerung geblieben sind mir eigentlich nur die Typo-Plakate der Linken.

Wie wichtig Plakate sind, hat sich vor allem am schlechten Abschneiden der FDP gezeigt. Dass ihre Zweit-Stimmen-Kampagne nicht gezogen hat, lag vor allem daran, dass es kaum Plakate gab, die um die Zweitstimme geworben haben. Zwischen der Bayernwahl, bei der sich das Debakel der Liberalen bereits abzeichnete, und der Bundestagswahl war die Zeit einfach zu knapp, um da noch wirklich nachzubessern.

Außerdem war zu beobachten, welch Rieseneinfluss politische Talkshows haben. Das wird von Politikern oft unterschätzt. Die Parteien, die ihre Leute gut vorbereitet haben, waren klar im Vorteil. Gepunktet haben hier die CDU und die Linken, die natürlich vor allem von Gregor Gysi profitiert haben. Für Agenturen bedeutet das, dass sie die Talkshow-Auftritte ihrer Politiker künftig ernster nehmen müssen.

Achim Reins ist Inhaber der Agentur Reinsclassen, die den Bundestagswahlkampf der FDP ­betreut hat


Seid professionell!

Die Wahlen in Deutschland bestachen durch den konsequent hohen Grad an Professionalität in Strategie, Planung und Umsetzung. Herausragend war dabei vor allem die Merkel-Kampagne, die für den deutschsprachigen Raum Maßstäbe gesetzt hat.

Deutschland sah 2013 neue Standards in Sachen Cross-Media-Umsetzung, Wähler-Involvierung via Social Media, vor allem aber in symbolischer politischer Kommunikation. Bemerkenswert war dabei auch die mediale Inszenierung mit dem Vehikel der Symbolik – „Merkel-Raute“ versus „Steinbrücks Stinkefinger“. Free Media durch Inszenierung und Polarisierung.

Ein Trend mit Zukunft? Durchaus denkbar, dass der kommunikationspsychologische Wert der Politik-Symbolik auch bei den Europawahlen zum Einsatz kommt. Wir werden sehen. Das an den Tag gelegte hohe Maß der Professionalität im Campaigning bleibt hoffentlich Standard.

Peter Köppl ist Gründer und Geschäftsführer der Mastermind Public Affairs Consulting Österreich


 

Seid berechenbar und geradlinig!

Die Bundestagswahl 2013 hat bestätigt: Das Vertrauen der Menschen in die Berechenbarkeit und Geradlinigkeit von Politikern ist das wichtigste Kriterium für eine Wahlentscheidung. Das war übrigens noch nie wirklich anders, nicht in Deutschland und nirgendwo auf der Welt.

Bei einer Wahl geht es immer um die Beurteilung der Führungsfähigkeiten der Kanzlerkandidaten. Mit Rückschau auf die erbrachten Leistungen und mit Ausblick auf die Zukunft. Natürlich sind auch politische Fachthemen sehr wichtig. Aber die Menschen sind klug genug, um zu merken, wenn einzelne Themen oder Probleme vor einer Wahl künstlich und unangemessen aufgeblasen werden.

Weil unsere Gesellschaft immer komplexer und die Politikfelder weniger verständlich werden, wird die Wahlentscheidung auch in Zukunft vor allem eine Abstimmung über die „Management-Fähigkeiten“ der Kandidaten sein. Und das ist auch gut so, denn dann weiß man, was man hat.

Lutz Meyer ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Kommunikationsagentur Blumberry, die für die CDU den Bundestagswahlkampf 2013 betreut hat


 

Vergesst Amerika!

Aus dem US-Wahlkampf konnte man sich für die Bundestagswahl 2013 drei
Dinge nur sehr bedingt abschauen:

1. Geld – Während in den USA Milliardenbeträge investiert werden, sind die Kampagnen der Parteien in Deutschland chronisch unterfinanziert.

2. Daten – Was in den USA Kernelement jeder Kampagne ist, wäre analog nach deutschem Datenschutzrecht undurchführbar. Obama gab allein für seine Datenbank mehr Geld aus, als der gesamte Bundestagswahlkampf in Deutschland gekostet hat.

3. Hausbesuche – Wurde von den Sozialdemokraten versucht, scheiterte aber an der fehlenden ernsthaften Strategie dahinter.

In Erinnerung bleiben insbesondere die Merkel-Raute und der Stinkefinger von Steinbrück: Symbolik pur in einem relativ themenarmen Wahlkampf.

Und: (Medien-)Unternehmen engagieren sich stärker, um zu informieren, und haben damit vielleicht auch die Wahlbeteiligung nach oben getrieben. Erinnert sei an die Wahlplattform von Google oder das umfangreiche Engagement von Pro7Sat1. Die 40 Millionen „Bild“-Ausgaben an jeden Haushalt am Samstag vor der Wahl könnten auch noch einmal mobilisiert und am Ende den Ausschlag für die fehlenden 0,2 Prozent der FDP durch die höhere Wahlbeteiligung gegeben haben.
Im Europawahlkampf wird Social Media noch wichtiger werden. Twitter als Text-Tool und YouTube für die Kreativen. Am Ende sind es aber erstmals die Personen, die den Europawahlkampf aus der bisherigen Anonymität herausführen werden: Schulz und McAllister …

Axel Wallrabenstein ist Geschäftsführer der PR-Agentur MSLGroup Germany


 

Vergesst Negative Campaigning!

Negative Campaigning bleibt in Deutschland eine riskante Strategie. Die SPD hat es ja probiert: Mit Plakaten, auf denen Angela Merkel sehr unvorteilhaft rüberkam. Doch offensichtlich kommt alles, was im Wahlkampf mit Angriff zu tun hat, hierzulande nicht gut an. Die Deutschen wollen Zuversicht, Erfolg, Sicherheit sehen. Dieses Bedürfnis hat die CDU sehr gut bedient.

Sicher, die SPD musste als Herausforderin sehr kämpferisch agieren. Ihr Fehler war aber, dass sie kaum Alternativen aufgezeigt hat. Verheerend etwa ihr Wahlwerbespot, in dem unsympathisch wirkende Wutbürger darüber klagten, dass sie mit 70 noch arbeiten müssen.
Bei den Europawahlen wird Merkel sicher wieder auf ihren bewährten „Brigitte-Wahlkampf“ setzen, das heißt, sie wird die menschliche Komponente zart andeuten, um vor allem weibliche Wähler zu gewinnen, und wirklich politische Themen vermeiden.

Für die SPD hingegen wird es ganz schwierig werden, sich zu profilieren. Denn wenn sie mit der Union eine große Koalition eingeht – und davon gehe ich fest aus –, kann sie ihren Regierungspartner nicht wirklich angreifen. Immerhin: Mit Martin Schulz haben die Sozialdemokraten einen ungemein populären Spitzenkandidaten. Darauf werden sie setzen.

Prof. Dr. Christian Schicha ist Professor für Medienmanagement an der Mediadesign Hochschule in Düsseldorf


 

Emanzipiert Euch!

Bahnbrechend Neues gab es im Superwahljahr 2013 zwar nicht, doch haben sich einige Trends aus den vergangenen Jahren fortgesetzt.

So wird das Canvassing immer wichtiger. Dieses uralte Instrument hat erfreulicherweise wieder an Kraft gewonnen. Was da – gerade von jungen Abgeordneten – auf die Beine gestellt wurde, ist beachtlich. Und das ist auch gut so. Denn der unmittelbare Kontakt zu den Bürgern ist unerlässlich.

Überhaupt nimmt die Bedeutung der Abgeordneten in ihrem Wahlkreis wieder zu. Die alte Denke „meine Partei und ich“ funktioniert so nicht mehr. Heute sind Multiplikatoren außerhalb der eigenen Partei so wichtig wie nie zuvor, muss der Abgeordnete bzw. Kandidat eigene Botschaften in die Presse bringen und online wie offline eigene Kanäle bespielen.
Insgesamt also sehr positive Tendenzen, weil sie den Menschen in den Mittelpunkt rücken – nicht nur auf Politiker-, sondern auch auf Wählerseite.

Kerstin Plehwe ist Geschäftsführerin der Initiative ­ProDialog


 

Sprecht die Wähler direkt an!

Die Menschen ernst nehmen, ihnen auf Augenhöhe begegnen und Partizipationsmöglichkeiten anbieten. Diese Haltung wird auch über 2013 hinaus von den Bürgerinnen und Bürgern mit der SPD verknüpft und Einfluss auf die Kommunikation anderer Parteien haben.

Die individuelle, direkte Ansprache von Wählerinnen und Wählern wird weiter an Bedeutung gewinnen. Hier ist der Haustürwahlkampf der SPD mit seinen gut fünf Millionen Besuchen die Benchmark.

Durch das Portal „mitmachen.spd.de“ ist erstmals in einem deutschen Wahlkampf die Grenze zwischen Online- und Offline-Mobilisierung aufgelöst worden. Daneben wird sich zukünftig die Offline-Kommunikation weiter mit der Online-Kommunikation synchronisieren, echte Interaktionen mit konkreten Aktionen werden die digitalen Kanäle zukünftig prägen.

Karsten Göbel ist Geschäftsführer der Agenturen Super an der Spree und Super J+K. Letztere hat den Bundestagswahlkampf 2013 der SPD betreut.


Lauft Euch die Hacken ab!

Von der Information übers Involvement bis zur Mobilisierung – wer heute Wähler gewinnen will, muss die neuen Medien in die Gesamtstrategie einbeziehen. On- und Offline-Aktivitäten werden vernetzt, die Nachrichten-Verbreitung wird personalisiert, digitale Dialog-Angebote werden gemacht.

Sie lassen am politischen Diskurs teilhaben, regen zur eigenen Meinungsäußerung an. In Wort und Bild – und das darf auch Spaß machen! Aus Interessierten können Fans, Multiplikatoren, Unterstützer werden, aus vielen Unterstützern Grassroot Movements, ganze Bewegungen für den Wahlkampf-Support vor Ort.

Multimedialität beherrscht das Wahljahr 2013. Jedes Medium mit eigener Wirkweise, spezifischer Überzeugungskraft – ob in nachzusuchenden Winkeln des Web 2.0 oder sichtbar für alle in der Öffentlichkeit. Auch der „Polit-Klassiker“, das Plakat, hat seine Rolle behauptet, seine unmittelbare Präsenz im Straßenbild wird auch künftig das politische Klima „öffentlich“ erzeugen. Und sich durch den beliebten Sprung in die Berichterstattung weiter potenzieren.

Für einen Politiker ist und bleibt die wahlberechtigte Bevölkerung wichtigster Adressat der Kommunikation, für den Wahlkreiskandidaten der direkte Kontakt, die Interaktion mit den Bürgern in seinem Wahlkreis, wichtigste Voraussetzung für den Erfolg.

Trotz fortschreitender Digitalisierung des Dialogs oder gerade deshalb – das Bürgergespräch wird der E-Mail nicht weichen. Auch in Zukunft werden für das politische Mandat die „Hacken abzulaufen“ sein. Von Tür zu Tür.

Prof. Coordt von Mannstein ist Inhaber der von Mannstein Werbe­agentur, die für die CDU und die FDP viele Wahlkämpfe betreut hat


 

Bleibt in Kontakt mit den Wählern !

Im Wahlkampf 2013 sehe ich vor allem drei bemerkenswerte Dinge, die auch für künftige Wahlkämpfe von Bedeutung sein können:

(1) Der rasante Verfall des Ansehenes von Peer Steinbrück im Herbst 2012 hat gezeigt, was eine schlechte bis gar nicht vorhandene Vorbereitung einer Kandidatenkür in Kombination mit einer Welle negativer Medienberichterstattung für das Image eines Kandidaten bedeuten können.

(2) Wahlkämpfer werden zunehmend mit zwei gegenläufigen Trends konfrontiert: Die Zahl der Briefwähler wächst bei einer gleichbleibend hohen Zahl von Spätentscheidern. Das Wahlverhalten und die Entscheidungskriterien dieser Gruppen müssen noch genauer unter die Lupe genommen werden, um herauszufinden, ob und wie man auf diese Entwicklung reagieren sollte.

(3) Der direkte Kontakt ist im Prinzip eine gute Idee, um die Wähler anzusprechen und zu mobilisieren, die über die klassischen Medien gar nicht mehr erreicht werden. Es reicht aber vermutlich nicht, dies einmal kurz vor der Wahl zu tun. Erfolgversprechender sind hier längerfristige Strategien, für die es aber erhebliche Ressourcen braucht.

Dr. Carsten Reinemann ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität München


 

Seid mutiger!

Der Erfolg und damit die Qualität einer Wahlkampagne hängt davon ab, ob und wie gut es ihr gelingt, in einem historisch gegebenen gesellschaftlichen Umfeld den Stimmen-Output zugunsten der eigenen Partei zu maximieren.
Im Wahljahr 2013 war das gesellschaftliche Umfeld trotz wirtschaftlicher Stabilität geprägt durch untergründige Angst (Euro, NSA, gesellschaftlicher Abstieg, Digitalisierung der Lebenswelten) und der Skepsis, ob nationale Politik und ihre Politiker im Weltinnenraum dabei noch viel ausrichten können.

Mit mehr oder weniger Erfolg haben die politischen Wettbewerber versucht, ihr Optimierungskalkül mit Blick auf den Stimmen-Output daran auszurichten. Die aus meiner Sicht wichtigsten Trends dabei waren:
(1) Infantilisierung: „Mutti bzw. Papi wird’s hoffentlich richten“
(2) Konfliktvermeidung: Zentrale Themen wie „wer zahlt die Zeche für den Euro“ oder „wer wird die Renten zahlen (können)“ wurden nicht behandelt oder weggedrückt.
(3) Ausgrenzung durch asymmetrische Mobilisierung: Das untere Viertel der Gesellschaft, das unterdurchschnittlich wählt, wird deshalb kaum mehr adressiert und in seinen Sorgen und Nöten nicht mehr adäquat angesprochen und damit auch zunehmend nicht mehr demokratisch repräsentiert.
(4) Technologische Optimierung: Die Kombination – à la Obama-Kampagne – von digitalen Planungsinstrumenten und analogen Verbreitungsmedien bleibt auch bei uns Standard. Mit anderen Worten: „Der kalte Kaffee aus Amerika“ bleibt wichtig für die Kampagnen bei uns.
(5) Visueller Konservativismus und Ideen­armut: Vorsicht ist die Mutter der Porzellan-Kiste, deshalb: Keine Experimente!

Prof. Volker Riegger ist Geschäftsführer der Firma Logos, ein Weiterbildungsinstitut für politische Kommunikation


 

Bezieht die Basis mit ein!

Interessant fand ich die Aufwertung der Position des Nichtwählers in diesem Wahljahr. Sowohl linke als auch rechte Persönlichkeiten haben 2013 öffentlich zum Nichtwählen aufgerufen.

Das ist ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Bislang hat man sich in bürgerlichen Kreisen eher verschämt dazu bekannt, nicht wählen zu gehen. Glücklicherweise hat diese intellektuell verbrämte Strategie bei den Bürgern nicht verfangen, die Wahlbeteiligung ist sogar leicht gestiegen.

Eine spannende Entwicklung lässt sich derzeit bei den Wahlprogrammen der Parteien beobachten: Früher waren ausschließlich Delegierte an ihrer Formulierung beteiligt. Heute hingegen können bei fast allen Parteien auch einfache Parteimitglieder daran mitschreiben. Vorreiter sind hier die Grünen. In diese Linie, die Basis wieder stärker einzubeziehen, passt übrigens auch der Mitgliederentscheid der SPD über den Koalitionsvertrag.

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Direktor der NRW School of Governance


Fotos: Archiv

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Bleibt alles anders? – Die Kampagnentrends 2014. Das Heft können Sie hier bestellen.