Was ist bei der Interessenvertretung weltweit zu beachten?

International

Peter Wittig, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in den USA:

Foto: Moshe Zusmann Photography Studio LLC

„Interessenvertretung in den USA heißt, die gesamte Klaviatur zu benutzen: Das fängt bei der Medienarbeit an – Hintergrundgespräche mit der ‚New York Times‘, Interviews auf CNN oder geschickt platzierte Tweets – ganz abhängig von Zielgruppe und Thema. Entscheidend bleiben aber gute Netzwerke – hier ist unsere deutsche Residenz ein echter Trumpf. In das imposant-sachliche Gebäude kommen Washingtoner Entscheidungsträger gern – bei Wohltätigkeits- und Kulturveranstaltungen lassen sich oft die tragfähigsten Verbindungen knüpfen.“

Birgit Lamm, Friedrich-Naumann-Stiftung, Regionalbüroleiterin für Lateinamerika (Mexico City):

Foto: privat

„Mexiko ist noch eine konservative, hierarchische Gesellschaft. Das zeigt sich in einer oft zähen Bürokratie und Betonung von sozialem Status und Förmlichkeiten. Der Alltag ist allerdings durch eine starke Informalität geprägt. Fast alles ist verhandelbar. Wenn man etwas erreichen will, ist es extrem wichtig, zu den betreffenden Entscheidern gute persönliche Kontakte zu pflegen. Denn persönliche Beziehungen sind immer noch wichtiger als Qualität und Kompetenz. Ein Netzwerk von tragfähigen persönlichen Kontakten zu den ‚richtigen‘ Personen ist der Schlüssel zum Erfolg.“

Randa Kourieh-Ranarivelo, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Landesdirektorin in Sri Lanka:

Foto: Sujeewa de Silva

„In allen Teilen der Welt heißt politische Kommunikation auch, sein Gegenüber zu kennen. In Sri Lanka bedeutet es, zu verstehen, wie die multi-ethnische Gesellschaft funktioniert, wer welche Entscheidungen trifft und vor allem, wie wichtig Tradition und Religion sind. Wenn ich im April mit unseren Partnern spreche, frage ich erst einmal wie das Neujahrsfest war. Das wird bei den hinduistischen Tamilen und den buddhistischen Singhalesen Mitte April gefeiert. Erst dann geht es um die Arbeit. Im Auftrag der Bundesregierung unterstützen wir nach fast 30 Jahren Bürgerkrieg den Versöhnungsprozess im Land. Eine gute, sprich kultursensible, politische Kommunikation ist da Grundvoraussetzung.“

Dawid Bartelt, Heinrich-Böll-Stiftung, Büroleiter Rio de Janeiro:

Foto: Creative Commons BY-SA 3.0

„Debattenveranstaltungen laufen in Brasilien oft so ab, dass fünf Menschen – gerne fünf Männer – sich gegenseitig loben und ähnliche Dinge sagen. Öffentliche Kontroverse gilt als unfein und unklug. Wenn ich als Ausländer aber vorher und hinterher reichlich Schultern klopfe und nicht persönlich werde, kann ich öffentlich eine klar-konträre Position vertreten und Diskussionen organisieren, in denen das Publikum seine eigene Position am Austausch von unterschiedlichen Argumenten schärfen kann. Und siehe da: Das brasilianische Publikum findet das gut.“

Constantin Gissler, Bitkom, Leiter des Brüsseler Büros:

Foto: Bitkom/Till Budde

„Interessenvertretung bei der EU bedeutet zunächst einmal Realitätscheck. In Brüssel ringen bedeutend mehr Akteure als in Berlin um die Aufmerksamkeit der Entscheider. Statt mit stabilen Koalitionen hat man es mit wechselnden Mehrheiten in Rat und Parlament zu tun. Hinzu kommen praktische Probleme wie Sprachbarrieren und die Komplexität der EU-Prozesse. Wer nicht nur nach Hause berichten, sondern auch etwas bewegen möchte, muss daher Allianzen mit anderen Stakeholdern schmieden – Einzelkämpfer kommen nicht weit.“

Beatrice Gorawantschy, Konrad-Adenauer-Stiftung,

Leiterin des Regionalprogramms Political Dialogue Asia and the Pacific (Singapur):

Foto: KAS Singapur

„Die gesellschaftlichen Strukturen in Asien sind hierarchisch geprägt. Das wirkt sich auch auf die Art und die Kanäle der Kommunikation im Zuge der Interessenvertretung aus. Kommunikation verläuft zirkular, konzentrisch, zeitaufwendiger und zum Teil indirekt über Mittelsmänner. Harmoniewahrung und Konsensprinzip stehen an erster Stelle – nicht nur auf politischer Ebene (Beispiel Asean-Staatenverbund) sondern auch in der täglichen Kommunikation. ‚Gesicht wahren‘ ist oberstes Prinzip.“

Natalie Hartman, Markham Group, repräsentiert seit 14 Jahren die Lufthansa Group in Washington:

Foto: 2013 John David Coppola

„Das Public-Affairs-Umfeld in den USA ist sehr dynamisch. Eine wirkungsvolle Strategie beinhaltet sowohl das Bestreben, eine Balance von Policy und Politicy zu erzielen als auch ein Bewusstsein dafür, wie individuell sich beide Elemente je nach Thema zueinander verhalten. Um einen entscheidenden strategischen Vorteil in Washington zu haben, kommt es auf Folgendes an: Vorbereitet und agil zu sein, um neue Gelegenheiten zu ergreifen, noch schneller auf Bedrohungen und Herausforderungen zu reagieren, Strategie und Taktik, Zugang zu entscheidenden Stellen und adäquate Fähigkeiten. Diese Herangehensweise an Public Affairs trägt entscheidend zur Anerkennung und hohen Reputation von Unternehmen in den Vereinigten Staaten bei.“

Kerstin Müller, Heinrich-Böll-Stiftung, Direktorin des Israel-Büros (Tel Aviv):

Foto: Creative Commons BY-SA 3.0

„In Israel wird fast jede Kommunikation zum Politikum, auch die ganz alltägliche: Auf meine Bitte an meinen Bäcker etwa, mein Brot nicht zu schneiden, bekam ich die Antwort, Obama wolle den Israelis auch immer sagen, was sie zu tun hätten, aber der Nahe Osten sei nun mal nicht Europa. Generell ist der Alltag ein einziger Kampf: nicht nur beim Einkauf, auch am Strand, im Café und natürlich beim Autofahren. Das liegt daran, dass die Israelis ihr Land so hart erkämpft haben. Tagtäglich geht es um die Existenz. Überleben kann man das nur wie die Israelis selbst: mit möglichst viel Chuzpe.“

Martin Johr, Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesvertreter Côte d’Ivoire (Abidjan):

Foto: FES Bureau Abidjan

„Die Menschen in Côte d’Ivoire haben schwere Zeiten durchlebt. Zwischen 1999 und 2011 kam es regelmäßig zu gewalttätigen Konflikten. Sprache hat dabei eine unrühmliche Rolle gespielt, da beide Seiten zusehends versuchten, Unterschiede der Bevölkerungsgruppen zu betonen, Gegner auszugrenzen und die Hemmschwelle für Gewalt abzusenken. Politische Arbeit in diesem Kontext sollte bis heute zuallererst die Versöhnung fördern und das konstruktive Potenzial von Sprache nutzen. Dabei sollte man sich im Klaren sein, dass ‚die Wahrheit‘ nur schwer zu finden ist und jeder Ivorer in der Krise seine eigenen, ganz persönlichen Erfahrungen machen musste. Nur ein Nebeneinander von Dialog und wirtschaftlicher Teilhabe aller Ivorer werden das Land voranbringen.“

Bente Scheller, Heinrich-Böll-Stiftung, Direktorin des Regionalbüros Mittlerer Osten (Beirut):

Foto: Stephan Röhl/CC BY-SA 3.0

„Wer profitiert, wer verliert? Der Schlüssel zum Erfolg politischer Initiativen im Libanon ist, die wirtschaftliche Dimension mitzudenken, was in dem komplexen politischen System gar nicht so leicht ist. Viele Vorhaben kommen daher so schleppend voran wie der ewige Stau auf den Straßen. Umso wichtiger ist der Rahmen – die exquisite Küche ist Herzstück des Nationalstolzes, und gerade bei gesellschaftlichen Anlässen ist es so gut wie unmöglich, overdressed zu sein. Stilistisch darf es dabei durchaus wehtun.“

Kristin Wesemann, Konrad-Adenauer-Stiftung,

Leiterin des Regionalprogramms Parteienförderung und Demokratie in Lateinamerika (Montevideo):

Foto: KAS Montevideo

„El beso muss sein. Der Kuss auf die Wange zur Begrüßung ist zwar nicht vorgeschrieben, schon weil sich Südamerikaner ungern Vorschriften machen lassen. ‚Hecha la ley, hecha la trampa‘, sagt eine Volksweisheit, kein Gesetz ohne Hintertürchen. Aber eine ausgestreckte Hand, die erwartet, geschüttelt zu werden, irritiert die Leute mitunter. Küssen und küssen lassen, ganz gleich, ob man die Parteichefin, den Minister oder dessen Sekretärin begrüßt. ‚Alles gut? Gefällt’s dir bei uns? Und deine Kinder? Bring sie das nächste Mal mit, ja?‘ Schnell wird es persönlich in Lateinamerika. Professionell bleibt man trotzdem. Gespräche dauern nicht ewig, Ansagen sind eindeutig, Hemdsärmeligkeit zeugt von gutem Stil, der Schlips eher nicht. Empathie und Selbstironie öffnen Türen. Das Du bietet man nicht an, man duzt jeden, erst recht das Staatsoberhaupt.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation III/2016 US-Wahl/International. Das Heft können Sie hier bestellen.