Der Bundestagswahlkampf 2009 fällt zusammen mit einer der größten wirtschaftlichen Herausforderungen in der Geschichte der Bundesrepublik – doch die Wähler interessieren sich vor allem für das Kleinteilige vor ihrer eigenen Haustür. Dieser Trend der vergangenen Jahrzehnte wird sich in diesem Jahr bestätigen.
Die Auswirkungen der Finanzkrise werden für die allermeisten Bürger nur sehr langsam spürbar. Die Suche nach den richtigen Rezepten gegen die Krise ist deshalb für viele eine theoretische Diskussion, die mehr oder weniger zur Kenntnis genommen wird. Im Bundestagswahlkampf wird sich das zwar ändern, über die Krise geredet wird dann aber am Beispiel vieler kleiner Details. Diese tragen wenig zur Lösung der Krise bei, betreffen den Wähler aber persönlich. So zum Beispiel Einzelmaßnahmen gegen Arbeitslosigkeit oder deren Folgen. Diese Symptombekämpfung hat einen festen Platz in deutschen Wahlkämpfen, und den wird sie auch 2009 wieder haben.
Bis zur heißen Phase des Wahlkampfs werden trotz Kurzarbeiterregelung und Konjunkturpaketen die Folgen der Finanzkrise spürbar auf den Arbeitsmarkt durchschlagen. Dann wird die Diskussion verlaufen wie schon häufig in bundesdeutschen Wahlkämpfen. In der Vergangenheit war Arbeitslosigkeit ein notwendiges und gerne bedientes Profilierungsthema der Parteien. Immer betrachtet aus der Perspektive des Einzelnen, des Arbeitslosen oder des um seinen Job Fürchtenden. Verlässliches Gehör beim Wähler finden Parteien, wenn es um die finanzielle Situation des Einzelnen geht. Deshalb werden im Wahlkampf auch nicht die großen und grundsätzlichen Fragen der Krise im Mittelpunkt stehen – sondern eben das Klein-Klein. Schon heute ist zu sehen: Die allgemeine Öffentlichkeit diskutiert nur mäßig interessiert mit, wenn es um die Frage nach den richtigen Maßnahmen gegen die Krise geht. Ob mehr oder weniger Staat nun das Richtige sind. Widerhall finden eher allgemeine Anklagen und Schuldzuweisungen. Für grundsätzliche Fragen nach geeigneten Kontrollmechanismen im System interessiert sich derzeit kaum jemand.
Wenn es an den Geldbeutel geht
Eine besondere Relevanz bekommen Wirtschaftsthemen in Wahlkämpfen immer dann, wenn es um den Geldbeutel der Einzelnen geht. Deshalb wird das Thema Arbeitslosigkeit im Bundestagswahlkampf 2009 wie eh und je vor den Wahlen in Deutschland eine große Rolle spielen. Die Geschichte dieses Wahlkampfthemas ist alt und reicht weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus. Es gibt einige berühmt gewordene Sätze über das Verhältnis von Parteien und Arbeitslosigkeit, über die Rolle dieses Themas bei der Profilierung von Politik und Politikern. „Schröder rettet Holzmann“ hieß es im Herbst 1999, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sich für die Rettung des maroden Baukonzerns und damit Tausender von Arbeitsplätzen einsetzte. Drei Jahre später war der Konzern endgültig insolvent und zudem viele Arbeitplätze bei der Konkurrenz vernichtet.
„It’s the economy, stupid“, sagte Dick Morris 1992 und verhalf Bill Clinton damit zum Wahlsieg. Und doch ist es nicht immer so. Als 2002 Zahlenmann Edmund Stoiber gegen Showkanzler Schröder antrat, drückten das Irakszenario Schröders und die Oderflut den bis dahin erfolgreichen Arbeitslosigkeits-Wahlkampf der Union einfach weg. Aber diese Ausnahme bestätigt die Regel: Wenn keine Katastrophen passieren, ist die wirtschaftliche Entwicklung und damit verbunden der Arbeitsmarkt das erste Thema in Bundestagswahlkämpfen.
Die starke Fixierung der deutschen Wähler auf das Thema Arbeitslosigkeit hat inzwischen eine jahrzehntelange Tradition. Während sich zum Beispiel die Franzosen vor allem mit Außenpolitik und Sicherheitsfragen beschäftigen und danach ihr Urteil fällen, folgt in Deutschland die Wahlentscheidung vor allem dem Motiv der finanziellen Absicherung des Einzelnen. Diese verbindet sich substanziell mit einem Arbeitsplatz oder zumindest entsprechenden finanziellen Ersatzleistungen. Das hat verschiedene Gründe: das Wirtschaftswunder und die Wohlstandsentwicklung der jungen Bundesrepublik ebenso wie die bewusste Entideologisierung von Wahlkämpfen nach 1945. Vor dem Hintergrund der nachlassenden Bindung einzelner Wählermilieus an bestimmte Parteien gewinnen zudem Sachfragen an Bedeutung. Das Thema der Arbeitslosigkeit hat aus Sicht der Wahlkampfzentralen auch den Vorteil der Planbarkeit, zumal sich seine Bedeutung mit der Wiedervereinigung doppelt verstärkt hat. Seit 1990 ist der Anteil der Arbeiterschicht an der Wählerschaft höher, wie auch generell die Arbeitslosenzahlen mit der Wiedervereinigung gestiegen sind.
Über den Umgang der Parteien mit dem Thema Arbeitslosigkeit in den vergangenen vier Bundestagswahlkämpfen seit 1994 lassen sich einige wesentliche Ergebnisse zusammenfassen. Die Vorschläge der Parteien richten sich stark an der medialen Vermittelbarkeit und Verständlichkeit für den einzelnen Bürger aus – das führt zum beschriebenen Klein-Klein. Vereinfachte Lösungsvorschläge, die in ihrer Wirksamkeit zwar begrenzt sind, aber symbolisch für die Lösung des Problems stehen. Einzelfälle, die zu grundsätzlichen Themen erhoben werden und Randthemen, die zwar das Kriterium der Einfachheit erfüllen, aber nicht im eigentlichen Zentrum der Problembekämpfung stehen.
Neben dieser inhaltlichen Reduzierung des Themas gibt es einige typische Methoden, die häufig auch als Reflexe von Parteien zu werten sind. Oppositionsparteien neigen dazu, sich in Wahlkämpfen mehr Handlungsmöglichkeiten zuzuschreiben, als Politik sie wirklich haben kann. Man will damit den Eindruck erzeugen, dass man mehr und Besseres als die Regierung leisten würde. Regierungsparteien verfolgen dagegen häufig eine Rechtfertigungsstrategie und argumentieren über das Argument der nicht beeinflussbaren Weltkonjunktur.
Kleine und kurzfristige Lösung
Bei der Frage nach der Herangehensweise an das Thema sind sich die großen Parteien einig. Jeder Bürger habe ein Recht auf Arbeit, das hat sich im Laufe der Zeit als Standard durchgesetzt. Implizit ist damit auch die jeweilige Bundesregierung dafür zuständig. Dabei ist es durchaus diskussionswürdig, ob der Staat für die Geschäfte seiner Bürger verantwortlich sein sollte. Doch die konditionierte Sicht der Wähler schreibt der Politik und damit den Parteien eine sehr große Verfügungsmacht über Arbeitsplätze zu. Über die grundsätzlichen Aufgaben des Staats werden die Parteien wohl dieses Mal auch sprechen, aber eher nebenbei. Wer hätte wann was in der Krise tun müssen und welche Rezepte waren schon immer oder noch nie die richtigen. In der Hauptsache wird es um das Klein-Klein gehen. Die Parteien werden anwaltschaftlich aus der Sicht des Einzelnen argumentieren, und das vor allem beim Thema Arbeitslosigkeit. Die große Krise wird hinter den Themen aus der Lebenswelt des Einzelnen zurückstehen müssen.
In der praktischen Planung des Wahlkampfs spielen die Veröffentlichungstermine der Arbeitsmarktdaten eine entscheidende Rolle. Sollten kurz vor der Wahl magische Grenzen von vier oder gar fünf Millionen überschritten werden, kann das den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung entscheidend beeinflussen. Im Vorteil ist dann wie immer die Partei, der die Wähler die Lösung des Problems am ehesten zutrauen. Und Lösung das heißt: kleine und kurzfristige Lösung für den Einzelnen.
So wird am Ende die Partei im Vorteil sein, die am erfolgreichsten verspricht, die Folgen der weltweiten Umbrüche im Finanzsystem auf den Bürger gering zu halten. Dafür wird man dem Bürger allerhand kleine Einzelmaßnahmen versprechen müssen, die das Leben in der Krise erträglicher machen. Das wird freilich nur mit einem wesentlichen finanziellen Engagement des Staats gelingen können. Aber das ist dann ein Thema für die Monate nach der Wahl. Und über neue Schulden lässt sich mit dem Wähler immer reden.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Die 10 Trends der Politikberatung. Das Heft können Sie hier bestellen.