„Kommunikation ohne Scheuklappen“

p&k: Herr Lindemann, Sie sind seit August im Amt und haben mit der Krise in der Automobilindustrie Ihre erste politische Bewährungsprobe zu bestehen. Wie viele Stunden hat ihr Arbeitstag?
Kay Lindemann: Sagen wir es so: Die Nacht ist im Moment kurz.

Macht Ihnen die Arbeit zurzeit noch Spaß?
Trotz der Ausnahmesituation macht sie mir großen Spaß. Die Automobilindustrie steht vor einem harten Winter und schwierigen Jahr 2009. Meine Arbeit ist dadurch anstrengender und unruhiger geworden, aber auch spannender.

Sie sind auch fürs Brüsseler Büro zuständig. Wo fallen die wichtigeren Entscheidungen?
Unsere Büros in Berlin und Brüssel sind sehr eng miteinander vernetzt. Selbstverständlich fallen in Brüssel politische Entscheidungen, die für die Automobilindustrie von wesentlichem Interesse sind. Trotzdem ist es wichtig zu sehen, dass sich die Bundesregierung europapolitisch in Berlin und nicht in Brüssel inhaltlich positioniert. Beide Standorte können wir in der heutigen Zeit nicht mehr voneinander trennen. Berlin ist Europa, Brüssel ist Deutschland.

In Berlin und Brüssel vertritt der VDA die Interessen von über 580 Verbandsmitgliedern. Wie finden Sie bei dieser Struktur einen gemeinsamen Nenner?
Die zunehmende Komplexität in der verbands- und unternehmenspolitischen Kommunikation ist eine große Chance für den VDA. In der Politik steigt das Bedürfnis nach gebündelten Positionen, weil bei lauter unübersichtlichen Einzelstimmen ein gemeinsamer Nenner häufig unverzichtbar ist. Gleichzeitig ist unser Repräsentationsgrad ein großer Vorteil. Wir vertreten die großen Konzerne und den Mittelstand. Natürlich gibt es hin und wieder interne Diskussionen. Aber es ist das Wesen unserer Arbeit, damit umzugehen und eine gemeinsame Position zu finden.  

Seit Juni vergangenen Jahres ist der frühere Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann neuer Präsident des Verbands. Ist die Arbeit des VDA politischer geworden?
Die Aufgabe des VDA war es immer, einen engen Kontakt zur Politik zu pflegen. Selbstverständlich ist Matthias Wissmann mit seiner Vita prädestiniert dafür, den Kontakt zu Politik und Entscheidungsträgern zu intensivieren.

Der VDA rückt demnächst von seinem Sitz in Schmargendorf nah an die Macht in Berlin-Mitte. Glauben Sie, dass sie dadurch auch die Kontakte zur Politik verbessern?
Mit unserem Umzug stellen wir uns taktisch neu auf. Wir wollen offensiver werden und mehr Präsenz zeigen. Der Standort Schmargendorf hat den Nachteil, dass im täglichen Dialog mit der Politik die Distanz und der zeitliche Aufwand einfach zu groß sind. Vom Gendarmenmarkt aus können wir viel flexibler reagieren.

Die Krise in der Automobilindustrie macht einen solchen flexiblen Umgang unausweichlich. Als die EU vor einem Jahr einen Einheitswert für den CO2-Austoß auf alle Kraftfahrzeuge forderte, übte der VDA bereits den ungewöhnlichen Schulterschluss mit der IG Metall. Ein Beispiel für künftige Bündnisse?
Unser Leitmotiv ist politische Kommunikation ohne Scheuklappen und Vorurteile. Wenn wir über einen gemeinsamen Nenner verfügen, gehört dazu selbstverständlich ein Bündnis mit der IG Metall. Die CO2-Regulierung ist ein Paradebeispiel dafür. Dort sind Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern betroffen, weil wir über eine Regulierung sprechen, die unmittelbar Arbeitsmarktlage und Wertschöpfung am deutschen Standort betrifft.

Die Umweltverbände hingegen sehen in Ihrem Verband immer noch den größten Klimasünder.
Der VDA und die Automobilindustrie haben bestimmte Grabenkämpfe längst hinter sich gelassen. Und unsere Bilanz ist gut. Die deutsche Automobilindustrie ist die innovativste der Welt. Und unsere CO2-Reduktionen fallen im Vergleich mit unserer ausländischen Konkurrenz höher aus. Bei bestimmten Umweltschutzgruppen gewinne ich den Eindruck, dass sie vom liebgewonnenen Feindbild gar nicht lassen können, wie ein kleines Kind vom Spielzeug. Wir sollten das Denken in Feindbildern endgültig hinter uns lassen und gemeinsam darüber nachdenken, wie wir unstrittige Ziele erreichen können.

Im Kampf gegen CO2-Grenzwerte argumentiert der VDA, dass dadurch Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet seien. Die Umweltverbände kritisieren diese Argumentation, und auch die Öffentlichkeit reagiert gespalten. Wie belegen Sie ihre Aussagen?
Natürlich ist das ein Argument, mit dem wir sehr vorsichtig umgehen. Unser Ziel ist es aber, Ökonomie und Ökologie eben nicht gegeneinander auszuspielen, sondern mithilfe der Balance beider Aspekte aus der jetzigen wirtschaftlichen Ausnahmesituation herauszufinden. Die Automobilbranche muss damit fertig werden, dass sie sich auf allen wichtigen Weltmärkten im Rückwärtsgang befindet. Das heißt: der gewohnte Mechanismus, dass ein stärkerer Markt einen schwächeren Markt ausbalanciert, ist im Moment außer Kraft gesetzt. Jeder von uns hofft, dass wir die Trendwende ohne Arbeitsplatzverluste schaffen. Allerdings hängt das von der weiteren Entwicklung der Krise in 2009 ab.

Ihr Verband vereint mit Automobilherstellern und Kfz-Zulieferern sehr unterschiedliche Branchen. Erschwert das die tägliche Zusammenarbeit im Verband?
Zwischen Hersteller- und Zuliefererfirmen menschelt es natürlich ab und zu. Das kommt bei uns im Verband an. Aber es ist Teil unserer täglichen Arbeit, diese Spannungen auszutarieren und eine gemeinsame Position gegenüber der Politik zu formen.

Welches Mitglied macht Ihnen zurzeit am meisten Sorgen?
Ein ganz wesentliches Thema ist die Kreditversorgung in der Zuliefererindustrie. Wir sehen die Gefahr, dass sich die Finanzwirtschaft unter dem staatlichen Schutzschirm einigelt, die Notenbanken die Zinsen senken, aber dieses Paket am Ende nicht da ankommt, wo es ankommen soll: nämlich bei der Realwirtschaft und dort inbesondere bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen.

Die Zulieferer verfügen über keine starke Interessenvertretung. Sind sie besonders auf Ihre Unterstützung angewiesen?
Die Zulieferer liegen uns seit jeher am Herzen. Ein Dax-30 Unternehmen kann seine politischen Positionen im Einzelfall auch aus eigener Kraft kommunizieren. Zulieferunternehmen mit 100 oder auch 1000 Leuten können das nicht. Und deswegen steht der VDA in der Verantwortung, stets auch die Stimme des Mittelstands zu sein. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Hersteller und Zulieferer, die häufig unterschiedliche Interessen vertreten, in diesen Zeiten enger zusammenstehen, über gemeinsame Lösungen nachdenken und ihre politische Kommunikation miteinander abstimmen. Und genau das tun wir.

Sie kommen selbst vom BDI, haben also Erfahrungen in einem großen Verband gesammelt. Wie ist ihr Eindruck von der Entwicklung der Lobbyarbeit in den letzten Jahren? Es scheint, als würden sich große Konzerne immer mehr auf ihre eigene Hauptstadtrepräsentanz verlassen und sich von den Verbänden entfernen.
Das vermehrte Auftreten von Konzernen und Unternehmen in der politischen Landschaft ist nur sehr begrenzt auf den Bedeutungsverlust der Verbände zurückzuführen. Vielmehr hat sich die Bedeutung der Politik für das unternehmerische Geschäft enorm gesteigert.

Inwiefern?
Mir sind kaum Unternehmen bekannt, die über ihre Hauptstadtaktivitäten oder über Repräsentanzen in Brüssel ihre Mitgliedschaften in Fach- oder Dachverbänden in Frage gestellt haben. Das heißt, wir haben es mit einem Nebeneinander von politischer Kommunikation zu tun. Sie ist dem Bedeutungszuwachs der Politik geschuldet und resultiert nicht aus einer Bedeutungsabnahme des Verbandswesens.

Warum kam es zu einem Bedeutungszuwachs der Politik?
Wir leben praktisch in einer durchregulierten Welt, in der mittels Gesetzgebung und Normen über Märkte und Marktchancen bestimmt wird. Und da ist jeder Unternehmer gut beraten, sich um dieses Feld zu kümmern. Durch Engagement im Verband, aber auch darüber hinaus.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Politiker des ­Jahres – Peer Steinbrück. Das Heft können Sie hier bestellen.