Die neuen Ratgeber der Macht

Zu einer „Denkfabrik“ wolle er das Schloss Bellevue machen – so verkündete es Christian Wulff noch vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten in der „Bild am Sonntag“. Nach dem Vorbild von Friedrich dem Großen und seinem Berater Voltaire sollen im Amtssitz des Bundespräsidenten Wissenschaftler und Künstler dabei helfen, das Land „modern und zukunftsfest“ zu machen.
Wulff scheint sich bei seinem Vorhaben, Deutschland zu modernisieren, nicht alleine auf die Parteien verlassen zu wollen: Bei vielen Menschen „greift das Gefühl um sich, die Parteien seien verschlossen und neigten dazu, die Herausforderungen nicht wirklich beim Namen zu nennen, die Dimensionen zu verschweigen und die politischen Angelegenheiten ziemlich unter sich auszumachen“, so Wulff in seiner Antrittsrede. Können Think-Tanks diese Lücke schließen und die Gesellschaft mit politischem „Orientierungswissen“ versorgen?

Kritik von der Linken

Klar ist, dass Think-Tanks immer stärker in die Öffentlichkeit rücken – und dass auch Unternehmen und organisierte Interessen immer wieder „neutrale“ Denkfabriken vorschicken, um ihre Interessen zu vertreten. Bekanntestes Beispiel ist die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall finanziert und wissenschaftlich vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln beraten wird.
Mit der Öffentlichkeit kommt oft auch die Kritik. Besonders die Bertelsmann-Stiftung, die Hauptanteilseigner des Medienunternehmens Bertelsmann ist, ist in den vergangenen Jahren immer misstrauischer betrachtet worden. Kritiker wie Ulrich Müller von der Vereinigung Lobbycontrol behaupten, die Stiftung betreibe ein „verstecktes Lobbying“ für Bertelsmann.
Für Aufsehen sorgte auch die Veröffentlichung des Buchs „Bertelsmann Republik Deutschland – Eine Stiftung macht Politik“ des Journalisten Thomas Schuler. Die Stiftung vertrete die Interessen der Familie Mohn und diene Mohns Idee, „die Gesellschaft wie ein Unternehmen zu führen und durch Unternehmen führen zu lassen“, so Schuler in der „Tageszeitung“. Insbesondere kritisiert Schuler die enge personelle Verquickung zwischen Stiftung und Unternehmen.
Die Kritik ist nicht neu. Seit Jahren schon wettert insbesondere die politische Linke auf Konferenzen und in Publikationen gegen die Bertelsmann-Stiftung, die als Vordenkerin einer neoliberalen Politik gesehen wird. Bislang hat die Stiftung ihre Kritiker ignoriert. Dieses Mal äußerte sich der Vorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Gunter Thielen, jedoch auf der Stiftungs-Webseite zu Schulers Buch: „In unserer heutigen Zeit ist es doch eine Illusion, dass eine Stiftung oder ein Unternehmen ein Land wie die Bundesrepublik nach ihren Vorstellungen formen und prägen kann“, so Thielen. „Entscheidungen und Meinungsbildungsprozesse lassen sich deshalb bei uns auch von niemandem mehr gezielt steuern.“
Damit liegt Thielen durchaus richtig, denn in den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Think-Tanks – insbesondere der privat finanzierten – in Deutschland drastisch gestiegen. Mehr als 30 Denkfabriken sind seit dem Jahr 2000 gegründet worden. Der „Markt der Ideen“ ist heute pluralistischer als jemals zuvor – und spiegelt damit auch die Erosion der Volksparteien und die Individualisierung von Politik wieder.
Unter dem Druck der neuen Think- Tanks, die oft als „politische Unternehmer“ auftreten und deren Vertreter gern gesehene Gäste in den Kommentarspalten und Talkshows sind, haben sich auch die staatlich finanzierten Think-Tanks in Deutschland verändert – allerdings nicht immer zum Vorteil. Viele der öffentlich finanzierten Denkfabriken werden regelmäßig von der Leibniz-Gemeinschaft evaluiert; manche politischen Entscheider kritisieren, die Evaluierungskriterien würden sich zu sehr an akademischen Maßgaben orientieren. Trotzdem: In vielen Politikfeldern dominieren die staatlichen Tanker wie die Stiftung Wissenschaft und Politik und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung nach wie vor noch das Feld.
Um gegen die großen akademischen Think-Tanks anzukommen, müssen die kleinen Denkfabriken auf sich aufmerksam machen. Die neuen advokatischen Institute verstehen sich dabei weniger als „neutrale“ Institutionen der wissenschaftlichen Politikberatung, sondern als politische Plattformen. Bestes Beispiel ist das Institut Solidarische Moderne (ISM), das Anfang des Jahres gegründet wurde. Zu den Gründern zählen Andrea Ypsilanti (SPD), Sven Giegold (Bündnis 90/Die Grünen) und Katja Kipping (Die Linke), so dass gleich medienwirksam spekuliert wurde, das Institut bereite eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene vor.
Seitdem ist es etwas ruhiger geworden um das Institut, auch wenn ein kürzlich gestarteter Aufruf gegen die Atompolitik der Bundesregierung der Denfabrik einen Schwung neuer Mitglieder gebracht hat. Insgesamt hat das Institut in nicht einmal einem Jahr über 1700 Mitglieder gewonnen. Think-Tanks als Mainstream.

Nicht mehr nur passive Berater

Dabei versteht sich das ISM nicht etwa als gesellschaftspolitischer Akteur: „Das ISM ist weder Partei noch soziale Bewegung und will es auch nicht werden“, so Katja Kipping. Als „Programmwerkstatt“ will das ISM Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Kunst zusammenbringen und dadurch neue politische Ideen kreieren. Die Mitglieder des ISM sollen diese Ideen dann als Multiplikatoren in ihrer jeweiligen Umgebung weitertragen.
Mit dem Mitgliederprinzip und der Vernetzung mit Unterstützern in Sozialen Netzwerken reagieren die advokatischen Think-Tanks auf den Vorwurf, sie betrieben intransparente Lobbypolitik. Der direkte Austausch mit Politikern und Unterstützern auf Facebook und Co. erhöht nicht nur die publizistische Reichweite einer Denkfabrik, sondern legitimiert auch deren Arbeit.
Der britische Think-Tank „Demos“ will noch einen Schritt weiter gehen: „Wir möchten den Entstehungsprozess unserer Studien so offen wie möglich machen, weil wir glauben, dass etwas umso besser wird, je mehr Menschen sich an dessen Entstehung beteiligen“, so Demos-Sprecher Peter Harrington gegenüber der Web-
seite „Think Tank Directory“. Harrington gibt jedoch zu, dass Demos bislang noch keinen Weg gefunden hat, diesen Prozess effizient zu organisieren und sich zum Beispiel sinnvoll gegen Spam- und Hass-Kommentare zu schützen.
Dennoch wandeln sich eine Reihe von Denkfabriken langsam aber sicher von Think-Tanks zu „Do-Tanks“ und erfinden die Branche damit neu. Als „politische Unternehmer“ wollen sich viele Institute nicht mehr alleine mit der passiven Beraterrolle begnügen, sondern betreiben auch Advocacy-Arbeit für die Umsetzung ihrer Ideen. Damit werden Denkfabriken wie schon heute in den USA auch in Deutschland zu einem festen Bestandteil der politischen Klasse. Für Politik und Öffentlichkeit führt das zu einer neuen Herausforderung – sie müssen kontrollieren können, dass Think-Tanks tatsächlich die Interessen der Allgemeinheit vertreten und keine Partikularinteressen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Lass uns Freunde sein. Das Heft können Sie hier bestellen.