Zusammen raufen

Politik

Es war das perfekte Symbolfoto: Annalena Baerbock, Christian Lindner, Robert Habeck und Volker Wissing lächeln zwar etwas gezwungen, aber demon­strativ einig in die Kamera. So lange es zwischen Grünen und FDP harmonisch zugehe, so die Botschaft, bleibe eine künftige Koalition mit beiden stabil. Es kam anders: In der Ampelkoalition mit dem Seniorpartner SPD verkeilten sich zuerst die Grünen und Liberalen ineinander, währen die Sozialdemokraten den Schiedsrichter gaben. Dann ergriff Kanzler Olaf Scholz auffällig oft Partei für die gebeutelte FDP. Spätestens seit die FDP die immer höheren Rentenbeiträge angreift, kabbelt die SPD munter mit.

Die Ampel ist im Dauerstreitmodus: Wachstumschancengesetz, Kindergrundsicherung und seit dem 25-Milliarden-Euro-Loch im Bundeshaushalt der Streit um Einsparungen. Das Verhältnis der drei Koalitionspartner ist schlecht. Das sagen 87 Prozent der Befragten im Politbarometer des ZDF von Ende April. Die meisten (34 Prozent) geben den Liberalen die Schuld, 26 Prozent machen die Grünen verantwortlich und sechs Prozent die SPD. Streit gehört unvermeidbar zu einer Demokratie. Die Ampel ist nicht die erste Koalition, die ihren Zwist teils öffentlich austrägt.

Als „Wildsau“ und „Gurkentruppe“ bezeichneten sich die FDP und CSU in einem gesundheitspolitischen Streit 2010 gegenseitig. Dennoch hielt die schwarz-gelbe Koalition bis zum Ende der Legislatur­periode.

Aufgegeben haben in der Geschichte der Bundesrepublik aber auch schon mehrere Koalitionen. Mit der Vertrauensfrage löste der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder 2005 den Bundestag auf und beendete die rot-grüne Koalition. Im Jahr 1983 traten sämtliche FDP-Minister zurück und verließen die Koalition mit der SPD unter Kanzler Helmut Schmidt. Doch was hält Koalitionen eigentlich zusammen – und wieso zerbrechen einige dann doch?

Vertrauen von Anfang an

Zumindest auf den ersten Teil der Frage weiß Anke Erdmann eine Antwort. Statt sich auf die eigenen Grenzen und roten Linien zu versteifen, sollten Koalitionen positiv an den Verhandlungstisch treten, findet die Landesvorsitzende der Grünen in Schleswig-Holstein, die den Koalitionsvertrag der Ampel als Fachverhandlerin für Bildungsthemen mitgestaltet hat.

„Mit den Jahren habe ich gelernt, dass es sich viel eher bewährt, wenn man zuerst die Gemeinsamkeiten auslotet – insbesondere, wenn es wie in diesem Fall eben keine ‚natürlichen‘ Koalitionspartner mit ähnlichen Interessen sind“, sagt Erdmann. Schließlich gehe es bei den Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen darum, gemeinsame Ziele festzulegen und ein Drehbuch für die kommenden Jahre – den Koalitionsvertrag – auszuhandeln. „Wo das Trennende liegt, wissen insbesondere nach dem Wahlkampf ohnehin alle.“

Neben den reinen Sachfragen prüfen die Politiker in oft zähen, monatelangen Verhandlungen auch, ob sie trotz unterschiedlicher Meinungen überhaupt konstruktiv miteinander arbeiten können. Dafür braucht es gegenseitig Vertrauen und Respekt. „Nur wenn ich respektiere, dass der anderen Seite bestimmte Themen besonders wichtig sind, kann ich darauf vertrauen, dass auch unsere Schmerzpunkte respektiert werden“, sagt Erdmann. Auch Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, betont, dass Koalitionen gemeinsame Ziele nur erreichen, wenn die Partner dem anderen grundlegend vertrauen. „Man spürt schon im Laufe der Verhandlungen die Unterschiede zwischen dem, wie jemand auftritt, und dem, wie er oder sie in der inneren, politischen Zusammenarbeit ist“, sagt er.

Vertrauen beruhe zudem weniger auf der sachlichen Debatte als auf der zwischenmenschlichen Dimension. Ein klares Zeichen für Misstrauen sei es, wenn schon während der Verhandlungen das ein oder andere nach außen dringt, erklärt Fricke. Als Beispiel führt der FDPler die Verhandlungen mit der Union 2009 an. Da habe sich in allen vier Regierungsjahren kein echtes Vertrauen eingestellt. Auch 2017 wurde ihm zufolge beim „Jamaika-Versuch“ zu viel öffentlich kommuniziert. Anke Erdmann erinnert sich in diesem Punkt positiv an die Ampel-Verhandlungen. Hier sei wenig im Alleingang nach außen durchgestochen worden, „davon profitiert die Politik und die Koalitionsarbeit langfristig“, sagt sie. „Denn wo ich am Anfang Vertrauen missbrauche, gewinne ich es später nur schwer zurück.“

Auch während der Regierungszeit fußen viele Erfolge der Zusammenarbeit dann auf diesem gegenseitigen Vertrauen. Besonders, wenn die Partner in vielen Punkten grundlegend unterschiedlicher Auffassung sind, sagt Matthias Deiß, stellvertretender Leiter des ARD-Hauptstadt­studios. „Die Ampelspitzen müssen einander weiterhin vertrauen, ansonsten kann es mit den gemeinsamen Regierungen nicht funktionieren“, sagt er. Bisher finde die Parteiprominenz der Ampel in letzter In­stanz aber immer wieder zusammen. „So genervt etwa Habeck und Lindner teils auch voneinander erscheinen, so bleiben sie im Trio mit Scholz noch verabredungs- und damit handlungsfähig“, sagt Deiß.

Kompromiss- und ­Handlungsfähigkeit

Der demokratische Diskurs gehört zu Koalitionen und belebt die Politik. Problematisch wird es, wenn eine Regierung so viel streitet, dass sie nicht mehr handlungsfähig ist und damit ihrem Wählerauftrag nicht mehr nachkommt. Gleiches gilt, wenn nur eine Partei ihre Punkte durchsetzt und die Ziele der Partner ignoriert. Denn alle Regierungsparteien haben Stimmen für ihre Positionen und ihr Wahlprogramm gewonnen. Die Kompromissbereitschaft im Sinne der Regierungsfähigkeit muss also Grenzen haben. „In einer Regierung geht es darum, dauerhaft auszuloten, ob der Schmerzpunkt überschritten ist“, sagt Anke Erdmann von den Grünen.

Das sei eine Aufgabe für die gesamte Partei und ihre Stellung in der Gesellschaft. Äußere Bedingungen verändern auch gesellschaftliche und innerparteiliche Haltungen. Vor dem Krieg in der Ukraine hätte ein SPD-Kanzler in der eigenen Anhängerschaft sicher nicht mit dem Thema Aufrüstung punkten können. „Alle Parteien müssen sich immer wieder anhand der aktuellen gesellschaftlichen Lage die Frage stellen, ob diese Regierung wirklich noch die derzeit besten Lösungen hervorbringt“, sagt Erdmann. Das nach außen zu kommunizieren, sei aber alles andere als leicht: „Es ist ein Balance­akt.“

„Es kann sein, dass ich ein Auto kaufe, bei dem ich noch die Polster ausbessern oder den Lack erneuern muss, aber ist das Auto selbst nicht mehr lieferbar, ist der Vertrag hinfällig“, so will Otto Fricke das veranschaulichen. Was Erdmann als Schmerzpunkt bezeichnet, ist in Frickes Bild die Geschäftsgrundlage. Für die Grünen ist das vielleicht der Kohleausstieg, für die Liberalen die Schuldenbremse.

„Wir haben in diesem Punkt auch aus der Koalition bis 2013 gelernt“, sagt Fricke. „Als die CDU nicht mehr bereit war, bei der Steuerreform mitzugehen, hätten wir rigoroser einen Ausgleich fordern oder die Regierung verlassen müssen“, sagt er. Christian Lindner hat diese Zeit schon als frisch gewählter Bundesvorsitzender miterlebt. „Ich glaube, er hat damals gelernt, klar zu sagen, was er mitmacht und was nicht“, sagt Fricke. Dennoch ist er sicher, dass Parteien erst mal als Verlierer aus einem Koalitionsbruch hervorgehen.

Hier-stehe-ich-und-kann-nicht-anders-Moment

Christoph Hickmann, Leiter des Hauptstadtbüros des „Spiegel“, sieht das ähnlich: „Die Deutschen haben einen großen Wunsch nach Stabilität“, sagt er. Hierzulande seien die Menschen weder häufige Regierungswechsel noch Minderheitsregierungen gewohnt. Angesichts der deutsch-konventionellen Regierungspraxis bräuchten Koalitionspartner, die die Regierung verlassen, einen triftigen Sachgrund. „Es braucht eine Art Hier-stehe-ich-und-kann-nicht-anders-Moment“, sagt Hickmann. Hätte Schröder die Teilnahme am Irakkrieg nicht strikt abgelehnt, hätte das für die Grünen dieser Moment sein können.

Hält die Ampel also noch?

Ob eine Partei sich für ein Ende der Regierungsarbeit in der aktuellen Konstellation entscheidet, hängt immer auch von den Umfragewerten ab. „Hätten wir aktuell eine FDP, die mit acht, neun Prozent vor Kraft kaum laufen könnte, wären die Chancen, dass sie die Koalition frühzeitig verlässt, deutlich höher“, sagt Hickmann. Denn auch den erforderlichen starken Sachgrund könnte die Partei mit den unüberbrückbaren Differenzen im Haushalt sicher begründen. Angesichts der aktuellen Umfragen sei das Risiko für FDP-Chef Christian Lindner aber sehr hoch. „Vielleicht würde er ein paar Punkte dazugewinnen, wenn er die Koalition verlässt – vielleicht aber auch unter die Fünf-Prozent-Hürde rutschen“, sagt Hickmann.

Die schlechten Umfragewerte der FDP sind gleichzeitig einer der Gründe, dass die Partei in den vergangenen Wochen lautester Treiber der Streitigkeiten war. Parteien befinden sich, je näher die nächsten Wahlen rücken, immer stärker im kommunikativen Spagat aus Regierungsverantwortung und Wahlkampfpositionen. Ausgerechnet die FDP, die schon einmal nach einer Regierungskoalition ums Überleben kämpfte, kratzt wieder an der Fünf-Prozent-Hürde. Anke Erdmann kann das Verhalten der FDP und ihres Vorsitzenden sogar verstehen.

„Die FDP ist so in der Defensive, dass sie es nicht mehr schafft, den anderen Koalitionspartnern irgendetwas zu gönnen“, sagt sie. Vom Kanzler selbst hört man hingegen eher schlichtende Töne. „Der Kanzler hat als Leiter des Bundeskabinetts eine moderierende und damit auch schlichtende Funktion“, erklärt ARD-Journalist Deiß. Dennoch sei die Einigung beim Haushalt „noch einmal eine letzte große Klippe“.

Wenn die Koalition diese Klippe umschifft, dürfte sie halten. Schließlich spielt auch der Faktor Zeit eine Rolle. „Irgendwann wirkt es fast albern, relativ kurz vor dem nächsten regulären Wahltermin noch eine vorgezogene Neuwahl anzustreben“, sagt Hickmann. Bei Gerhard Schröder habe man sich gefragt, wieso er 2005 die Vertrauensfrage stellte, anstatt die gute Stimmung der kommenden Fußball-WM noch mitzunehmen, um die Regierung dann turnusmäßig nach vier Jahren zu beenden.

„Im Fall der Ampel würde ein Austritt aus der Koalition vom Zeitpunkt her im letzten Quartal dieses Jahres kommunikativ gerade noch Sinn ergeben, danach eher nicht mehr.“ Und nicht zu vergessen: Auch in diesem Jahr steht eine Fußballeuropameisterschaft im eigenen Land an. Einen Koalitionsbruch mitten in einem möglichen Sommermärchen? Das kann und will sich in der Ampel wohl keiner der Partner erlauben.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 147 – Thema: 25 Jahre Hauptstadtjournalismus. Das Heft können Sie hier bestellen.