Wie kommt ein Gedanke zum Minister?

Politik

Die Menschen drängen in den Saal. Fast 4000 Ehrengäste sind zur Eröffnungsfeier der Internationalen Grünen Woche 2006 gekommen, darunter Minister aus der ganzen Welt plus jene aus den Bundesländern. Den amtierenden Bundesagrarminister Horst Seehofer trennen nur wenige Minuten von seiner Rede. Angesichts der Skandale um Gammelfleisch und Fehletikettierungen sind die Erwartungen enorm. Es gilt nicht weniger, als das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen. Der bürokratische Apparat lief wochenlang auf Hochtouren. Politische Initiativen, Ideen und Vorschläge wurden zwischen den Fachreferaten hin und her gereicht, bis sie bei den Redenschreibern landeten, wo sie in öffentlichkeitstaugliche Worte zusammengefasst wurden. Horst Seehofer im Amt als Minister für Landwirtschaft und Verbraucherschutz ist das Sprachrohr für ein 900 Mitarbeiter starkes Haus.

Beamtenapparat Ministerium: Alle für einen. Einer für alle?

Ministerialbürokratie – ein Wort, das bei den meis­ten zu Unbehagen führt. Die Beamtenapparate werden oft mit den Behörden aus “Asterix erobert Rom” verglichen. Ihre Organisation ist arbeitsteilig und hierarchisch, die Kommunikation verläuft streng formal. Sowohl horizontal, vor allem aber vertikal läuft sie festgesetzte Wege. Sogar die Farbe, mit der die Ebenen mitzeichnen, ist geregelt. Der Staatssekretär unterschreibt rot. Der Minister segnet in grün ab.

Funktionierende Strukturen haben Vorteile. Starke Minister wissen um sie und nutzen ihr Haus mit seinen fachkundigen Mitarbeitern als Ideenschmiede. Für Seehofer hielt der Beamtenstab des Bundeslandwirtschaftsministeriums einen Zehn-Punkte-Plan zur Verschärfung der Lebensmittelkontrollen bereit. Am Schluss wirkte der Minister selbst stark am Inhalt mit.

In der Politik fehlt es oft an Verständnis für technische Details. Entscheidungen aus dem Koalitionsvertrag sind in erster Linie politische Kompromisse, bei denen die technische Umsetzung meist in den Hintergrund geraten ist. Die Ausarbeitung eines neuen Gesetzes obliegt im Nachhinein dem für das Ressort verantwortlichen Ministerium. Seine Beamten müssen dann technisch möglich machen, was politisch gewünscht ist. Aus gutem Grund stehen die Ministerien daher im Austausch mit Industrie und Verbrauchern, suchen den Dialog zu Vereinen und Verbänden und sammeln Ansichten und Meinungen, aber auch Studien von Umfrage-Instituten.

Aufgrund der guten Einbettung in die Interessenlagen in der Gesellschaft kann das Haus auch eine besondere Vermittlerposition einnehmen. Denkt man beispielsweise an den Fall der Milchpreise vor sieben Jahren, war es das Bundeslandwirtschaftsministerium unter Horst Seehofer, das einen Roundtable für Bauern, Verbraucher und Vertreter aus der Wirtschaft organisierte. Es kam zu einer freiwilligen Einigung mit dem Handel, den Milchpreis nicht weiter absacken zu lassen. In diesem Fall war Seehofers beamteter Staatssekretär Gert Lindemann der Ideengeber.

Möchten Interessenvertreter über offizielle Strukturen Themen setzen, brauchen sie einen langen Atem. Zwar bündeln Ministerien hohe Fachkompetenz, doch bleibt einiges an Initiativen irgendwo in den Organisationsabläufen stecken oder läuft ins Leere. Es lohnt daher zu überlegen, welche Wege noch nach Rom führen.

Jeder Minister ist anders: Persönlichkeit entscheidet über Führungsstil

Es gibt Minister, die verzichten ab und an auf den Apparat und bringen mit Amtsantritt eigene Ideen mit. Der frische Wind mag nicht unbedingt fachlicher oder politisch-gewünschter Natur sein. Kommt eine Idee von oben, wird sie wie gewohnt nach unten weitergereicht und von den Beamten in Gesetze und Programme gefasst. An Ursula von der Leyen sieht man, wie diese Themen besonders schnell und professionell umgesetzt werden. Die als Sozialpolitikerin bekannt gewordene Christdemokratin, die überraschenderweise zur Verteidigungsministerin avancierte, musste sich von einem Tag auf den anderen auf neue Themenfelder einlassen. Sie ließ sich dabei aber nicht nur auf die liegen gebliebenen Themen ein, sondern brachte ihr persönlich am Herzen liegende Inhalte mit, etwa das Attraktivitätsprogramm der Bundeswehr. Das zeigt, dass nicht alle Initiativen den gesamten Apparat durchlaufen müssen.

Es sind eben oft spontane Eingebungen der Minister selbst, die große politische Wellen schlagen. Da kann die Parteispitze froh sein, wenn sie vorher einen Hinweis bekommt. Man erinnere sich nur mal daran, wie das Rauchverbot in Restaurants zustande kam: Da liest ein Minister eine Umfrage, aus der hervorgeht, dass sich die Deutschen mehrheitlich für einen stärkeren Nichtraucherschutz aussprechen und beschließt spontan, ein generelles Rauchverbot in ganz Deutschland zu fordern. Der Zeitpunkt stimmt. Es ist Sommer, genauer gesagt: Man befindet sich im Sommerloch und auch die Fußballweltmeisterschaft ist vorbei – beste Bedingungen für das Hochkochen hoch­emotionaler Verbraucherthemen. Der Minister selbst ist für Gesundheitsthemen zwar nicht mal zuständig, doch einmal losgetreten, ist die Diskussion nicht mehr zu stoppen. Seine Initiative fand die richtigen Verbündeten und mündete schließlich im Gesetzgebungsprozess. Wie es ausgeht, ist bekannt: Spätestens seit dem 1. Juli 2008 gelten für die Gastronomie Rauchverbote in allen Bundesländern.

It’s the media, stupid!

Es war also eine Umfrage, abgedruckt in einer Zeitung, die den Minister auf die Idee brachte, sich für eine Gesetzesänderung einzusetzen. So einfach kann es manchmal sein. Es ist kein Geheimnis, dass Minis­ter jeden Morgen hausinterne Pressespiegel vorgelegt bekommen. Sie tun gut daran, sie zu lesen, bilden sie doch die Meinungslandschaft in Deutschland ab. Ressortübergreifend kommen auch noch die Medienspiegel der Parteien zum Tragen. Auch sie bilden eine wichtige Tageslektüre für alle Entscheidungsträger.

Für Interessenvertreter kann dies der entscheidende Weg sein, ihre Anliegen zu präsentieren. Als Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften haben wir diesen Weg jüngst genutzt und in einem transparenten Prozess einen Gesetzesvorschlag für mehr Wagniskapital veröffentlicht. Mit allem drum und dran: Parlamentarisches Frühstück, Pressekonferenz et cetera. Zwar besteht in der Koalition Einigkeit darüber, dass die Bedingungen für Gründer und Finanzierung in Startups verbessert werden müssen, CDU/CSU und SPD schrieben entsprechende Absichten sogar in den Koalitionsvertrag. Doch auch Monate später sind den guten Absichten keine Taten gefolgt. Hier können Stimmen von außen wichtige Impulse setzen. Der Gesetzentwurf des Verbands hat in den entscheidenden Ministerien Gehör gefunden und wird intern diskutiert.

Talkshows als Bühne

Nicht nur das Informations-, auch das Vermittlungspotenzial der Medien ist groß. Die Polit-Talkshows der großen Sender bringen Köpfe zusammen. Vor der Kamera geht es mal mehr, mal weniger zur Sache. Die wichtigsten Gespräche aber finden statt, wenn die Kameras ausgeschaltet sind. Es ist gang und gäbe, dass die Teilnehmer nach der Sendung sitzen bleiben und sich bei einem Glas Rotwein vertraulich austauschen. So kommt ein Minister sowohl mit der Opposition, als auch mit Vertretern von NGOs, Verbänden oder Forschungsinstituten ins Gespräch. Einem Minister werden so Gedanken zugetragen, die ihn in dieser Form sonst oft nicht erreichen – vielleicht, weil sie im Ministerialapparat stecken bleiben, oder weil man sich offiziell nicht mit der Opposition abspricht. In jedem Fall haben die Talkshow-Gäste, die vom Sender eingeladen wurden, die Möglichkeit, im Hinterzimmer zu erfahren, was möglich ist.

Vertrauen ist wichtig. Vertrauen kann man nicht kaufen.

Was viele auch wissen: Um den Minister selbst finden sich meist zwei bis drei Mitarbeiter, die sein volles Vertrauen genießen. Nicht selten gilt das auch für den Pressesprecher, hat er doch mit dem engen Draht zu Journalisten die wichtigste Währung in der Hand. Bei ihm werden die Themen gebündelt. Er ist jeden Tag gefordert und bestenfalls das schnellste Instrument des Ministeriums. Die Vertrauten des Ministers sind über seine Person an das Ministerium gebunden und wechseln in der Regel mit seinem Ausscheiden. Solange sie im Amt sind, gehören sie zu den gefragtesten Gesprächspartnern in Berlin.

Ob man von den inoffiziellen Entscheidungsträgern als Gesprächspartner ernst genommen wird und Audienzen bekommt, hängt davon ab, von wo man kommt. Manchmal spielt der “Nasenfaktor” eine Rolle, aber professionelle Interessengruppen wissen, wer die wichtigste Person im Ministerium ist.

Zurück zur Grünen Woche: Die Rede ist gelungen, die Botschaft einer Reform der Lebensmittelüberwachung gesetzt. Und weil das so gut gelaufen ist, sagt Seehofer am Ende in die Runde: “Als nächstes kümmere ich mich persönlich um die Kennzeichnung auf den Verpackungen, damit der Verbraucher nicht alles mit der Lupe lesen muss.” Beifall. Eine neue Idee ist geboren, ganz einfach. Ohne weitere Hilfe von außen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Denken. Das Heft können Sie hier bestellen.