Wie die Politik junge Zielgruppen erreicht

Politik

Junge Menschen sind uninteressiert, politikverdrossen und halten nichts von bürgerschaftlichem Engagement. Sie ignorieren politische Prozesse, und wenn sie wählen, dann Germany’s Next Topmodel oder die lustigen Promis vom Dschungelcamp. Das behaupten zumindest viele Medien. Ich sage: Das ist ausgemachter Unsinn. Natürlich sind junge Menschen politisch interessiert und treten für ihre Überzeugungen ein. Aber: Sie wollen richtig angesprochen werden.

Ist es also vielleicht gar kein inhaltliches Problem der Politik, sondern vielmehr ein kommunikatives Problem der Politikvermittlung? Die Auswirkungen jedenfalls sind mittlerweile besorgniserregend: Bei der Gruppe der unter 21-Jährigen liegt der Anteil der Nichtwähler bei vielen Landtagswahlen zwischen 75 und 80 Prozent. Die Erfahrung zeigt zudem: Wer in jungen Jahren keine Beziehung zum Wählengehen aufgebaut hat, kann dies nur schwerlich an folgende Generationen weitergeben. Sehen wir uns also ganzen Generationen von Nichtwählern gegenüber? Und falls dies so sein sollte: Wenn nur noch 25 Prozent der Bevölkerung die Parlamentszusammensetzung bestimmen, vertreten die Volksvertreter dann eigentlich noch das Volk?

Vielleicht muss aber der Blick in die Zukunft gar nicht so düster sein – und vielleicht ist die Jugend deutlich besser als wir denken. Das Projekt „It’s Your Choice“ setzt genau hier an und zeigt, wie das Problem der sinkenden Wahlbeteiligung – zumindest bei Erstwählern – erfolgreich gelöst werden kann. Die Idee: Wenn sich Kommunikationsverhalten und –kanäle bei jungen Zielgruppen geändert haben, dann muss sich auch die Ansprache verändern. Junge Menschen sind längst nicht mehr nur Empfänger von Botschaften, sie sind vor allem auch Sender. Das Prinzip der sozialen Medien beruht auf dieser Erkenntnis. Sie möchten Fragen stellen und direkte Antworten erhalten. Informationen sollten verständlich, aus der lebensweltlichen Perspektive des Jugendlichen und in seiner eigenen Sprache formuliert sein und von einem glaubwürdigen und authentischen Absender stammen, mit der Möglichkeit des Dialogs auf Augenhöhe.

Junge Vorbilder sind gefragt

Auf das Format und die Protagonisten einer durchschnittlichen Sonntag-Abend-ARD-Talkshow treffen diese Anforderungen kaum zu. Davon ganz abgesehen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender bei Jugendlichen nicht als die innovativsten Medien gelten. Es gibt aber einen Weg, politische Positionen so zu kommunizieren, dass sie von potenziellen Erstwählern gehört und verstanden werden. Und zwar genau an dem Ort, an dem sich diese verlässlich und unabhängig von sonstigen Peergroup-Zugehörigkeiten aufhalten: in der Schule. Im Gegensatz zum klassischen Politikunterricht, in dem mit Schulbüchern das demokratische System erklärt wird, liefert „It’s Your Choice“ Politik zum Anfassen, direkten Miterleben und Interagieren. Und vor allem: Menschen zum Anfassen.

Im Zentrum steht dabei eine doppelstündige Podiumsdiskussion, an der jeweils ein Vertreter der Parteien teilnimmt, die in Fraktionsstärke im jeweiligen Parlament sitzen. Auf diese Weise ist die politische Meinungsvielfalt gesichert und es gibt ein objektives Selektionskriterium bei der Auswahl der Diskutanten. Die Schwerpunkt-Themen der Podiumsdiskussion werden zuvor mit den teilnehmenden Schulen abgestimmt. Schließlich soll es eine inhaltliche Vor- und Nachbereitung im Politikunterricht geben.

Foto: DSA youngstar

Das Besondere ist, dass die Podiumsteilnehmer möglichst jung sind, um sprachlich und lebensweltlich mit dem Publikum auf Augenhöhe diskutieren zu können. Es ist also eben nicht der typische Abgeordnete, 57 Jahre, in Anzug und Krawatte, mit 30-jähriger politischer Erfahrung, der einen Schachtelsatz sendefähig so formuliert, dass niemand so genau sagen kann, ob er für oder gegen etwas ist. Auf dem Podium sitzt stattdessen Justin, 23 Jahre alt, im Kapuzenpulli und mit Sneakers, frischgebackener Kreisvorsitzender seiner politischen Jugendorganisation, der genauso über die aktuelle Wohnungssituation stöhnt, weil er keinen bezahlbaren Wohnraum findet, wie die Zuhörer selbst. Das ist authentisch und kommt an. Genau dieser Dialog auf Augenhöhe ist es, der dazu führt, dass junge Menschen sich auf einmal Themen öffnen, für die sie sich vorher nicht interessiert haben. Möglich macht dies auch die enge Zusammenarbeit mit den politischen Jugendorganisationen, die einen großen Anteil am Erfolg des Projekts haben.

Erste Erfolge bei der Hamburger Bürgerschaftswahl

In Hamburg erlebte „It’s Your Choice“ zur Bürgerschaftswahl 2015 die Feuertaufe: Die Hamburgische Bürgerschaft stellte den finanziellen Rahmen zur Verfügung, um insgesamt an 48 weiterführenden Schulen die Tour durchführen zu können. Über 10.000 Erstwähler konnten auf diese Weise angesprochen werden, etwa 40 Prozent der gesamten Zielgruppe. Sechs Wochen lang tourten die jungen Politiker durch die Schulen. Und mit welchem Erfolg?

Die Wahlbeteiligung der 16- bis 17-jährigen Erstwähler, die 2014 zur Bezirksversammlungswahl noch bei 28 Prozent lag, verdoppelte sich fast auf 52,1 Prozent. Gut zehn Prozentpunkte höher als bei den 18- bis 24-Jährigen und nur knapp unter der allgemeinen Hamburger Wahlbeteiligung. Ein sensationeller Erfolg. Viele der jungen Politiker schafften zudem den Einzug in die Bürgerschaft und gehören heute als Abgeordnete den Fraktionen an. Dem Mut der Bürgerschaft, auf dieses neue Konzept zu setzen, und der ehrenamtlichen Leistung der jungen Politiker ist es zu verdanken, dass der Sinkflug der Wahlbeteiligung bei den Erstwählern erfolgreich gestoppt und die Beteiligung wieder deutlich erhöht werden konnte.

Foto: DSA youngstar/Jonas Walzberg

Mittlerweile wird auch in anderen Bundesländern über „It’s Your Choice“ als Option nachgedacht. Zur Bremer Bürgerschaftswahl 2015 wurde bereits eine kleine Tour organisiert, in Hamburg zum Olympia-Referendum erneut eine gestartet. In Sachsen-Anhalt konnte im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung ebenfalls begonnen werden. Und auch für die nächsten Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sind Veranstaltungen geplant. Wir sind also guter Dinge, auch weiterhin die Politik in die Schulen bringen zu können – im Interesse der Wahlbeteiligung. Vor allem aber im Interesse unserer Demokratie.