Sonntags nach dem Tatort diskutiert Fernsehdeutschland über die Themen, die das Land bewegen, nur eine wichtige Gruppe will dabei so gut wie nie zu Wort kommen: die Vorstände großer deutscher Unternehmen. Sie legen anscheinend keinen Wert auf diese Auseinandersetzung. Sie mischen sich auch sonst nur selten ein – vielleicht weil sie ahnen, welche Rolle ihnen zugedacht ist. In der öffentlichen Debatte sind sie meistens in der Defensive. Sie werden gezeigt als die, denen es nur ums Geld geht. Da scheint Schweigen noch das Beste zu sein. Doch das ist ein Trugschluss, denn das ständige Stillhalten ist überhaupt erst der Grund dafür, dass Wirtschaftsvertreter auf diese Rolle gebucht sind.
Die NGOs machen es richtig. Als „bessere Interessenvertreter“ schwächen sie die Wirtschaftslobby mit öffentlicher Geringschätzung. Sie haben enorm an Einfluss gewonnen, weil sie höchst effizient die Debatten kontrollieren. Geht es um Glyphosat, weiß kaum jemand so recht, was das wirklich ist, aber eines hat sich herumgesprochen: Das ist Teufelszeug! Das Freihandelsabkommen TTIP? War das nicht dieser Schleusenöffner für gefährliches Genfood? NGOs fügen der Debatte ihre einseitige Perspektive hinzu. Das ist ihr gutes Recht. Aber wenn die andere Perspektive fehlt, bleibt das Bild unvollständig.
Es geht nicht um Gut gegen Böse
Es lässt sich vervollständigen, aber dazu muss die Wirtschaft sich zuallererst emanzipieren. Und das geht nur, indem sie sich aus der Deckung wagt. Die Debatte braucht Menschen aus den Chefetagen, die das verkörpern, wofür das Unternehmertum eigentlich steht: für den Mut, Risiken einzugehen, und für die Bereitschaft, Verantwortung für andere zu übernehmen. Diese Stimmen müssen ebenso laut sein wie die der NGOs. Und sie müssen auch dann zu hören sein, wenn es unangenehm wird. Sie müssen deutlich machen, dass es hier nicht um Gut gegen Böse geht, wie die NGOs es gern suggerieren, sondern um unterschiedliche Interessen, die alle ihre Berechtigung haben.
Das bedeutet allerdings auch, dass Wirtschaftsvertreter zeigen müssen, dass sie selbst bereit sind, sich zu bewegen. Sie müssen verhärtete Fronten zu den NGOs aufbrechen, Bereitschaft zeigen, sich der Kritik zu stellen, sofern sie angemessen ist. Indem sie gesellschafts- und umweltpolitische Belange in ihre Konzernstrategie aufnehmen, kommen sie aus der Defensive in die Offensive.
Dort können sie selbst Akzente setzen. Sie können ihr Handeln erklären, bevor die ritualisierte Kritik daran die Debatte dominiert. Sie können selbst Transparenz herstellen, wo andere dies absichtlich nicht tun – etwa dort, wo es um die Motive, Methoden und Finanzierung der anderen Akteure geht. Auch NGOs verfolgen schließlich eigene Interessen – wie alle anderen auch.
Es ist natürlich nicht leicht, sich in diese neue Rolle zu begeben, und nicht jeder Konzernvorstand wird das auf Anhieb können. Angenehmer ist es, sich weiter in kleiner Runde über das unvollständige Bild zu empören, das NGOs zeigen. Einfacher ist es, die Rechtsabteilung auf unwahre Tatsachenbehauptungen anzusetzen. Das verschafft Erleichterung. Nur ändern wird das nichts. Wer etwas ändern will, muss sich mit der neuen Rolle vertraut machen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 123 – Thema: Der neue Regierungsapparat. Das Heft können Sie hier bestellen.