Von Trump lernen

Wahlkampf

Vorweg: Ich habe den Wahlsieg von Donald Trump nicht vorhergesehen – und stehe dazu. Die Kampagne von Kamala Harris war stark. Ich habe das in p&k aufgeschrieben. Daran glaube ich noch immer. Trotzdem hat Donald Trump die Wahl gewonnen. Wir sollten uns fragen, warum.

Für mich als Campaigner ist klar: Politische Narrative können eine Wahl entscheiden. Doch politische Kommunikation allein reicht nicht. Auch wenn die Harris-Kampagne vieles richtig gemacht hat, hängt ein Wahlerfolg auch von strukturellen Faktoren ab. Als Vizepräsidentin war Harris für die Politik der Regierung mitverantwortlich. Die Biden-Administration war innenpolitisch erfolgreich – gemessen an Indikatoren wie Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum und Inflation. Doch Krisen wie Covid, der Ukraine-Krieg und die Konflikte in Gaza und im Libanon prägten die Wahrnehmung. Harris stand, wie die gesamte Regierung, für eine Krisenzeit.

Ein Blick auf andere westliche Demokratien zeigt ein ähnliches Bild: Regierungen, egal ob konservativ oder sozialdemokratisch, werden abgestraft. Harris bemühte sich, mit der „opportunity economy“ eine neue Agenda für die arbeitende Bevölkerung zu etablieren. Doch die Opposition verkörperte den Wunsch nach grundlegendem Wandel glaubwürdiger.

Mit Blick auf die Bundestagswahl und die rechtsex​treme AfD, die in Umfragen Platz zwei erreicht, lohnt es sich, die Trump-Strategie zu analysieren. Strukturelle Probleme, die auch progressive Parteien in Deutschland belasten, lassen sich nur schwer überwinden. Doch die eigenen Botschaften können sie selbst gestalten. Harris’ Niederlage liegt weniger an Fehlern ihrer Kampagne als an den Stärken der Trump-Kampagne – und an einer Tonalität, die Progressive oft übersehen. Was können wir daraus lernen?

Arun Chaudhary, ehemaliger Video-Producer der Obama-Kampagne und des Weißen Hauses, analysierte vor Kurzem beim Digital Campaigners MeetUp in Berlin die Trump-Kampagne. Er zeigte die besten Spots aus dem republikanischen Wahlkampf. Hier sind die drei wichtigsten Erkenntnisse aus seiner Analyse.

Maßgeschneiderte Botschaften

Ein Blick auf Trumps „Closing Argument“-Werbespot – die letzte Werbung vor der Wahl – zeigt die Bedeutung gezielter Ansprache. Während Harris auf eine einheitliche Version setzte, veröffentlichte die Trump-Kampagne zwei verschiedene Spots für unterschiedliche Zielgruppen: eine Botschaft für die eigene Basis und eine für die Unentschlossenen.

Im Spot für die Unentschlossenen zeigt Trump die Breite seiner Koalition für ein geeintes Amerika. Die ersten Szenen präsentieren ihn präsidial auf großer Bühne. Danach folgt die Ex-Demokratin Tulsi Gabbard, die erste hinduistische Kongressabgeordnete Hawaiis, am Strand stehend. Anschließend sehen wir Robert F. Kennedy Jr., der nachdenklich am Fenster steht. Die Kamera schwenkt zur Anwältin Nicole Shanahan, die asiatischer Abstammung ist. Sie erklärt lächelnd, sie sei eine Erstwählerin für Trump. Danach erscheinen der erzkonservative Aktivist Vivek Ramaswamy, Elon Musk und eine spektakuläre Raketenlandung. Der Spot beginnt andächtig und endet gelöst – wie ein nostalgisches Comeback der 2000er Jahre. Die Botschaft ist eindeutig: Trump sei nicht so extremistisch, wie die Demokraten behaupten. Er stehe für Frieden in einer gespaltenen Nation.

Das zweite Video der „Closing Arguments“, das sich an eingefleischte Trump-Anhänger richtet, hat eine düstere Stimmung. Zu Beginn weht eine zerfledderte US-Flagge im Wind. Dunkle Farben dominieren die Szene. Ein leerer Küchentisch erscheint, gefolgt von Bildern, in denen Angestellte Umzugskisten aus Büros tragen – Symbole für eine Wirtschaftskrise. Eine tiefe Stimme aus dem Off sagt: „Four years ago, we took a wrong turn.“ Chaos an den Grenzen, Überfallaufnahmen und ein Attentat auf Trump folgen. Das Voiceover ergänzt: „If we dare to speak the truth, it was called hate speech.“ Die letzte Einstellung zeigt Trump blutend nach dem überstandenen Attentatsversuch. Der Off-Sprecher gibt lippensynchron mit Trump die Botschaft aus: „We fight.“

Während die Harris-Kampagne in ihrem letzten Wahlspot auf eine einende Botschaft setzt, betont die Trump-Kampagne gezielt unterschiedliche Aspekte für verschiedene Wählergruppen. Die ethische Grenze zwischen zielgruppenspezifischer Ansprache und Wählertäuschung wird überschritten, wenn widersprüchliche Botschaften an verschiedene Gruppen gesendet werden. In diesen beiden Videos bleibt diese Grenze jedoch gewahrt.

Die Strategie der Trump-Kampagne folgt konsequent der Logik zielgruppenspezifischer Ansprache. Auch bei der Bundestagswahl sollten demokratische Parteien auf maßgeschneiderte Botschaften setzen statt auf breit angelegte Kampagnen, die nur wenige überzeugen.

Die Ästhetik des Gegners kapern

Die Trump-Kampagne bleibt für ihre lauten, polarisierenden Angriffe im Gedächtnis. Doch neben seinen schrillen Wahlkampfauftritten setzte das Trump-Lager in einigen Spots auf ein unerwartetes Stilmittel: Ruhe. Mitten im aggressiven Wahlkampf erschien ein Wahlwerbevideo, das Gelassenheit und Raum zum Durchatmen vermittelte. Es zeigt ein Kind, das in Zeitlupe mit einer umgehängten US-Flagge auf eine Frau in Soldatenuniform zuläuft. Die Szene ist lichtdurchflutet, untermalt von leisen Kinderstimmen und Vogelgezwitscher – ein friedliches Bild. Am Ende des 15-Sekünders erscheint unten rechts im Bild die schlichte Botschaft: „Less wars. Less worries. Vote Donald Trump.“ Kein Lärm, keine Attacken – stattdessen emotionale Kraft. Der Spot bricht mit Erwartungen und spricht Menschen auf einer ästhetischen Ebene an.

Er vermittelt das Gefühl, auch im anderen politischen Lager ein Zuhause finden zu können. So schafft Trump Raum für Wähler, die den Wandel unterstützen wollen, selbst wenn sie ihn als Person ablehnen.
Kurz vor der Wahl zeigte das Harris-Team seinerseits, wie eine progressive Kampagne rechte Ästhetik kapern und ins Milieu der Gegenseite ausgreifen kann.

Ein Videoclip beschwört in der Tonalität und mit dem Vokabular Donald Trumps seine Erzählung über Migration – düstere Stimmung, dramatische Musik, ein Off-Kommentar: „It’s an invasion. We don’t know where they are coming from …“ – typische Trump-Rhetorik. Doch hier geht es nicht um Migranten, die die USA bedrohen. Die „Invasion“ betrifft die „Exploiters, Polluters and Tax Avoiders“, die das System aushöhlen und den American Dream in einen Selbstbedienungsladen verwandeln. „They are not sending us their best“, sagt die Stimme aus dem Off, und schließt mit der Warnung: „Don’t let Donald Trump invite his corporate gangs to Pennsylvania.“

Die rechte Ästhetik wird aufgegriffen, umgedeutet und gegen die Konzerne gewendet, die Löhne drücken und Preise erhöhen. Der Clip macht klar: Nicht Migranten sind verantwortlich für die sozialen Probleme, sondern eine unregulierte Wirtschaft und korrupte Eliten. Durch diesen Ansatz bricht die Kampagne mit klassisch progressiver Ästhetik und vermittelt ihre Botschaft eindrucksvoll.

Die Alltäglichkeit der Politik greifbar machen

Gegen Ende des Wahlkampfs setzte Harris in ihrer Kampagne zunehmend auf eine abstrakte Zuspitzung: Hier die demokratische, ehrliche Kandidatin, dort der bedrohliche Diktator Trump. Trumps Team hingegen rückte in einigen Spots alltägliche Szenen ins Zentrum. In einer dieser Anzeigen sieht man einen gedeckten Esstisch in einem typisch amerikanischen Diner. Eine Kellnerin räumt Teller ab und steckt das auf dem Tisch liegende Trinkgeld in ihre Schürzentasche.

Unten rechts im Bild erscheint der Slogan: „Trump won’t tax tips. Vote Donald Trump.“ Solche einfachen, nahbaren Versprechen stärken seine Glaubwürdigkeit. Sie zeigen, wie er das Leben im Kleinen verbessern will. Diese Strategie bietet eine wichtige Lektion, auch für demokratische Parteien in Deutschland: Statt auf abstrakte Botschaften oder plumpen Populismus zu setzen, sollten sie in ihren Kampagnen erklären, wie Politik das Leben der Menschen spürbar verändert – und erleichtert! Es geht nicht um große Versprechen, alles anders zu machen, sondern um glaubwürdige, kleine Verbesserungen im Alltag.

Und hierzulande?

Der US-Wahlkampf ist vorbei, doch die Bundestagswahl rückt immer näher. Ähnlich wie in den USA deuten die Umfragen darauf hin, dass die Regierung für die Folgen von Covid und der Ukraine-Krise abgestraft werden könnte – ungeachtet ihrer Erfolge, die sie bei der Bewältigung dieser Krisen erzielt hat. Auch hierzulande sind die Wähler erschöpft. Die Pandemie hat die Gesellschaft ermüdet, der Ukraine-Krieg verunsichert viele und die Inflation hat den Lebensstandard spürbar gesenkt. Die AfD hat den US-Wahlkampf sicher aufmerksam verfolgt und aus der Trump-Kampagne gelernt.

Die Ampel-Parteien stehen vor einem Dilemma, das dem von Harris ähnelt: Sie sollen Wandel verkörpern, obwohl sie die aktuelle Politik – einschließlich der Regierungskrisen – mitverantworten. So problematisch Trump auch ist – als verurteilter Straftäter, Sexist und Rassist –, einige Ansätze seiner Kampagne waren strategisch klug. Demokratische Parteien sollten diese Ansätze kennen. Nicht zuletzt, um den Populisten erfolgreich entgegenzutreten.

Wichtig ist, Erwartungen zu brechen und politische Vorschläge greifbar zu machen. Politik muss auf den Alltag der Menschen heruntergebrochen werden. Statt abstrakte Systemkonflikte zwischen Demokratie und Autoritarismus zu beschwören, sollten demokratische Parteien ihre Botschaften auf unterschiedliche Wähler zuschneiden, um überzeugender zu sein.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 149 – Thema: Kurzwahlkampf. Das Heft können Sie hier bestellen.