Von der ­Mentalität her eher ein Start-up

FDP-Parteizentrale

Wulf Oehme rutscht es manchmal noch he­raus. Wenn der ehemalige FDP-Sprecher von der Geschichte der Parteizentrale der Liberalen erzählt, dann redet er vom „TDH“, dem Thomas-Dehler-Haus. So hieß das Gebäudeensemble, rund 700 Meter vom Reichstag entfernt in der Reinhardtstraße 14 bis 16 gelegen, von der Eröffnung im Jahr 1999 bis 2017. So hieß auch die alte Bundes­geschäftsstelle der Partei in Bonn. Beide waren sie benannt nach dem ersten Justizminister der Bundes­republik, der die FDP nach dem Krieg mitbegründet und sie in den fünfziger Jahren als Vorsitzender geführt hatte. 

„Aber“, fragt Oehme, „wer kennt heute schon noch den alten Dehler?“ Hans-Dietrich Genscher dagegen kennt so ziemlich jeder. 23 Jahre Regierungsmitglied, 18 Jahre Außen­minister, 11 Jahre Parteichef, FDP-Ehrenvorsitzender, Mitarchitekt der Ostpolitik und der Deutschen Einheit – der Mann mit dem gelben Pullunder ist der prominenteste Politiker, den die Freien Demokraten je hervor­gebracht haben. Also entschied der aktuell prominenteste Politiker der FDP, Parteichef Christian Lindner, dass die Bundes­geschäftsstelle nicht mehr den Namen Dehlers, sondern den Genschers tragen solle. Vollzogen wurde der Schritt anlässlich des ersten Todestags Genschers im März 2017. 

Lindner begründete die Umbenennung mit den Werten, für die Genscher stehe: Freiheit, Bürgerrechte und das geeinte Europa. Genauso wichtig freilich war ihm die Aufmerksamkeit, die der Akt der FDP bescherte. Zur Erinnerung: Im März waren die Liberalen noch eine Partei der außerparlamentarischen Opposition. Drei Landtagswahlen standen ins Haus, danach die Bundestagswahl. Die FDP kämpfte um jedes bisschen öffentliche Wahrnehmung. So gesehen wurde das Genscher-­Haus in jenem März Teil dessen, was normalerweise hinter seiner denkmalgeschützten Fassade aus rotem Ziegelmauerwerk erdacht wird: politische Kampagnen. 

Und so seltsam es sich anhört: Der Kampagnenarbeit der FDP-Zentrale haben die vier Jahre nach dem Rauswurf aus dem Bundestag gutgetan. Natürlich, zunächst war es schmerzhaft. Schatzmeister Hermann Otto Solms verordnete der Partei einen strikten Sparkurs. Die Zahl der Mitarbeiter musste halbiert werden, von mehr als 40 auf rund 20. Die Personalausgaben der hoch verschuldeten Bundespartei wurden von etwa 19 Millionen Euro im Jahr 2011 auf rund zwölf Millionen pro Jahr seit 2014 zurückgefahren. 

Aus weniger mach mehr

Der vom Wähler erzwungene Schrumpfprozess aber setzte neue Kreativität frei. Die Parteizentrale lernte, aus weniger Mitteln mehr zu machen. „Das Hans-Dietrich-Genscher-Haus“, sagt Solms, „ist heute personell schmal aufgestellt, arbeitet kosteneffizient, aber mit einem enormen Output.“  Der hat sich allerdings verändert. Die programmatische Arbeit, früher mit einer politischen Abteilung fest im Haus verankert, musste aufgrund des personellen Aderlasses in der Bundesgeschäftsstelle und des Wegfalls der Bundestagsfraktion vornehmlich von den verbliebenen Landtagsfraktionen geleistet werden. Das Genscher-­Haus übernahm die Funktion eines Brücken­kopfs in der Hauptstadt, der den bundespolitischen Anspruch manifestierte, vor allem aber Koordinationsarbeit zwischen den Landesparteien leistete. Es ging vornehmlich um Organisatorisches in den vergangenen vier Jahren.  

Aber nicht nur. Lindner entsandte Marco Buschmann als Bundesgeschäftsführer nach Berlin, als General­sekretärin installierte er Nicola Beer. Die Schlüsselfigur war Buschmann, einer seiner engsten Vertrauten: Er digitalisierte die Mitglieder- und Finanzverwaltung, erweiterte das Social-Media-Angebot und die Mitglieder­partizipation, gab ein Online-Tool zur Befragung der Basis in Auftrag. Lindners und Buschmanns größter Coup aber war die Rekrutierung der Berliner Werbeagentur Heimat im Jahr 2014. Gemeinsam mit der Partei entwickelten die Kreativen Andreas Mengele und Matthias­ Storath den neuen, peppigen Auftritt der FDP, der Anfang 2015 öffentlich vorgestellt wurde: Aus den Liberalen wurden die Freien Demokraten, Magenta wurde die dritte Farbe neben Blau und Gelb, zusätzlich zu klassischen Kommunikations­mitteln wie Plakaten rückten Social Media und Bewegtbild im Web zunehmend in den Mittelpunkt – wer in den klassischen Medien nicht mehr gefragt ist, muss sich seine Plattformen eben selbst schaffen. 

Vor allem aber sorgten die von der Leitagentur feder­führend entwickelten Kampagnen zu den Landtags­wahlen für Furore. „Bei Heimat“, sagt Buschmann, „arbeiten schlichtweg die kreativsten Menschen, die man aktuell im deutschsprachigen Raum für politische Kommunikation bekommen kann.“ Die Schwärmerei lässt sich auch belegen: Die Agentur räumte mit ihrer Parteien­werbung zahlreiche Preise ab, von den Effie Awards des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen, über den Politikaward bis zu den ADC-Nägeln des Art Directors Club Deutschland. 

Nach der Bundestagswahl wechselte Buschmann in die Bundestagsfraktion, seine Aufgaben in der Parteizentrale übernahm Marco Mendorf, der seit November den Titel des Bundesgeschäftsführers trägt. Mendorf war in den vergangenen vier Jahren Buschmanns Pendant in Düssel­dorf, von wo aus Lindner den Wiederaufbau der Partei steuerte. Der Volkswirt wirkte dort als Geschäftsführer der Landtagsfraktion. In Nordrhein-Westfalen wurde das neue inhaltliche Profil der Freien Demokraten erdacht. Die thematische Verengung auf die Steuerpolitik wurde überwunden, Bildung, Digitalisierung, Energiepolitik oder Migration wurden als neue Aufgaben­felder entdeckt und mit programmatischen Konzepten unterfüttert. 

Kampagnenschmiede der Partei

Für ebenso wichtig hält Mendorf aber etwas anderes: „In der außerparlamentarischen Opposition ist ein ganz neuer Teamgeist zwischen den Landesverbänden und der Bundesgeschäftsstelle entstanden.“ Nie zuvor waren die Landtagswahlen-Kampagnen zentral von einer Leitagentur entworfen und vom Genscher-Haus gesteuert worden. „Unsere Landesverbände haben sich von der Qualität der Arbeit überzeugen lassen“, sagt Mendorf. „Deshalb wollen wir auch künftig an diesem Verfahren festhalten.“ 

Um die Funktion der Bundesgeschäftsstelle als „zentrale Kampagnenschmiede der Partei“ zu stärken, soll auch die politische Abteilung wieder ausgebaut werden. Nach Mendorfs Vorstellungen soll sich die neue Bundestagsfraktion vornehmlich um das politische Tagesgeschäft kümmern, das Genscher-­Haus dagegen um die lang­fristige Themen­pflege und -entwicklung. Zusätzlich zur größten Abteilung des Hauses – der für Organisation (Kampagnen, Parteitage, Dreikönigs-­treffen) und Finanzen – soll deshalb auch die Abteilung Programm und Analyse wieder wachsen, allerdings nur in dem engen Rahmen, den Schatzmeister Solms gewährt. „Natürlich ist jetzt nicht die Zeit, große Apparate aufzubauen. Wir bleiben in der Größe – und von der Mentalität – eher ein Start-up. Aber die politstrategische Arbeit muss und wird an Bedeutung wieder zunehmen“, erläutert Mendorf. Die Zahl der Mitarbeiter wuchs bereits wieder moderat an; aktuell sind es 23, die ihre Büros in der dritten Etage des Genscher-Hauses haben. 

Aufgaben hat Mendorf zur Genüge. So soll die schwache Partei­struktur in den neuen Bundesländern ausgebaut werden. Als speziellen Auftrag gab Lindner seinem Bundesgeschäftsführer mit auf den Weg, Konzepte dafür zu entwickeln, die traditionell unter Frauen­mangel leidende FDP weiblicher zu machen. Auch die Digitalisierung soll weiter vorangetrieben werden. Der Vorsitzende arbeitet seit Jahren papierlos, hat alle wichtigen Unterlagen auf seinem Tablet. Dieses Modell soll auch auf die Ehrenamtlichen übertragen werden. Ob Ortsvorsitzender, lokaler Schatz­meister oder Schrift­führer: Sie alle sollen vom Aufnahme­antrag bis zum Versammlungs­protokoll alles auf einem Partei-Tablet erledigen können. Aufgaben wie die Mitglieder- oder Finanz­verwaltung können die Unter­gliederungen schon jetzt vom Servicedienst­leister Genscher-­Haus erledigen lassen.

Pressestelle hat wieder gut zu tun

Auch die dritte Abteilung der Bundesgeschäftsstelle, zuständig für Medien und Kommunikation, hat übrigens wieder reichlich Arbeit. In Zeiten der außerparlamen­tarischen Opposition war man dort froh, wenn überhaupt mal eine Anfrage kam. Der tägliche Presse­spiegel umfasste an manchen Tagen nur fünf oder sechs Seiten. Heute sind es im Schnitt wieder 120, und die Partei kann sich vor Gesprächswünschen kaum retten. Auch Wulf Oehme, der ehemalige Sprecher, der sich eigentlich längst in den Ruhestand verabschiedet hat, hilft gelegentlich mit aus. 

Er ist übrigens auch eine gute Anlaufstelle, wenn man etwas über die Geschichte des Hans-Dietrich-­Genscher-Hauses erfahren möchte. Zum Beispiel, dass es auf schwammigem Untergrund gebaut ist. Der Gebäude­komplex, entstanden 1912 nach den Plänen von Caspar ­Clemens Pickel im Stil der Neorenaissance und zunächst als Kranken­haus des Dominikanerordens genutzt, wurde nämlich im Mündungsgebiet des Flüsschens Panke in die Spree auf Schwemmsand errichtet. 

Nachdem die FDP die zu DDR-Zeiten heruntergewirtschafteten Reinhardtstraßenhöfe 1994 von der Treuhandgesellschaft kaufte und sanieren ließ, mussten 895 Stahlpfähle fast 30 Meter tief in den Untergrund getrieben werden, um die Statik zu stabilisieren. Bislang hat alles gut gehalten. „Und ich denke“, sagt Oehme, „dass auch die FDP nach den vier Jahren des Existenzkampfs wieder dauerhaft festen Boden unter den Füßen hat“.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 121 – Thema: Rising Stars. Das Heft können Sie hier bestellen.