Und alle so: Yeah!

Politik

Welcher Politiker kennt das nicht: Wenige Monate vor der Wahl werden ehrenamtliche Kräfte aus der Partei, engagierte Jungpolitiker oder sogar die eigene Familie dringend gebraucht, um im Wahlkampf mitzudenken und vor allem mitanzupacken. Spätestens dann stellt der eine oder andere fest: Mein Team ist kleiner, als ich dachte. Oft liegt das daran, dass die Beziehungspflege zu Sympathisanten und Unterstützern vernachlässigt wurde.
Ehrenamtler dauerhaft für sich und die politische Arbeit zu begeistern, erfordert einen langen Atem – erst recht in Zeiten, in denen sich viele Menschen nicht an eine bestimmte Partei binden möchten. Dabei bilden ehrenamtliche Helfer die Machtbasis im Wahlkreis –  off- wie online. Soziale Netzwerke können dabei helfen, diesen Unterstützerkreis aufzubauen, zu organisieren und im richtigen Moment für sich zu mobilisieren.

Die Erkenntnis, worin die eigentliche Funktion von Social Media besteht, setzt sich langsam auch in der Politik durch: Es geht nicht primär darum, Informationen zu senden, sondern darum, erreichbar zu sein, Dialog zu ermöglichen und Feedback einzufordern. Darin liegt das größte Potenzial sozialer Netzwerke für die politische Arbeit. Politiker müssen jedoch bereit sein, sich öffentlich kritisieren zu lassen, Machtverlust hinzunehmen und Zeit für den Austausch zu reservieren. Wer das nicht kann oder will, sollte von Social Media die Finger lassen. Auf #followerpower kann er dann allerdings nicht zurückgreifen.

#followerpower ist eines der am weitesten verbreiteten Hashtags bei Twitter. Dahinter verbirgt sich die Idee, die Schwarmintelligenz der eigenen Follower und der gesamten Twitter-Community zu nutzen. “#followerpower” am Ende eines Tweets zeigt den Lesern, dass jemand um Unterstützung bittet. Zudem motiviert es Twitterati, direkt und ohne inhaltliche oder formelle Schranken Feedback zu äußern.

Thematisch sind keine Grenzen gesetzt. Politiker können fragen, was auch immer sie von der Twitter-Gemeinde wissen möchten: Best-Practice-Beispiele, neue Ideen, Tipps zu Studien oder Experten, Informationen über Probleme aus dem Wahlkreis, Feedback zu aktuellen Diskussionen, Empfehlungen zu Veranstaltungen oder Restaurants, Hilfe bei technischen Dingen oder schlicht Hilfe beim Ausbau der Community. Beispiel: “Nur noch 3 Follower bis 3333, wer macht die Schnapszahl voll? #followerpower.”

Mittlerweile haben sich Hashtags im Allgemeinen und auch #followerpower in allen dialogorientierten Netzwerken etabliert, so etwa bei Facebook, Instagram oder Google+. Am besten funktioniert diese Art der digitalen Wissenssammlung und Meinungsbildung aber weiterhin bei Twitter. Und auch wenn die sozialen Netzwerke immer nur einen Ausschnitt der Gesellschaft darstellen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man mit seiner Frage mindes­tens einen Experten zum gewünschten Thema erreicht. Außerdem hilft fast jeder, der selbst schon einmal von #followerpower profitiert hat, gerne mit Sachverstand weiter.

Wenn Politiker auf #followerpower setzen, rate ich ihnen allerdings, auch selbst bereit zu sein, auf die Fragen anderer zu antworten. Damit werden sie viele Twit­terati positiv überraschen, da kaum jemand mit der Antwort eines Politikers rechnet. Zudem erreicht er so auf direktem Wege Menschen, die sich gerade mit seinen Themen auseinandersetzen.

Und noch eine Funktion erfüllt #followerpower: Sie ist die kleine Schwester der Meinungsumfrage. Schneller und günstiger als auf Twitter können sich Politiker nirgendwo sonst Stimmen zu aktuellen Diskussionen einholen. Oftmals entscheidet im politischen Alltag neben dem Sachverstand auch das Bauchgefühl. Wer Argumente testen und ein Gefühl für Stimmungen und Meinungen entwickeln möchte, kann sich an seine Followerschaft wenden.

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) kennt sich mit #followerpower gut aus – und nutzt sie gern und häufig. Innerhalb weniger Tage befragte er seine Community zu so unterschiedlichen Themen wie: Wie findet Ihr Sexismus? Gibt es zu wenige rauchfreie Kneipen in Tübingen? Wollen Deutsche weg vom Auto? Wie gefallen Euch die neuen Graffiti? Zu fast jeder Frage gab es unzählige Kommentare, Argumente und Gegenargumente. Und der Dialog war oft sehr konstruktiv. Am Ende jeder Diskussion hatte Palmer somit ein klareres Bild und einige Antworten auf Fragen, die ihn bewegen. Und er erreichte noch etwas: Durch die Beteiligung der Bürger wurden die Postings durch Likes, Shares und Kommentare in die Timelines der Freunde seiner Facebook-Freunde getragen. Auf diesem Weg erfuhren auch jene Bürger von Palmers Fragen, die gar nicht mit ihm befreundet sind und die sich auch nicht unbedingt mit Politik beschäftigen wollen. Gut möglich, dass sie sich so dennoch eine Meinung bildeten und an der Diskussion beteiligten. Palmers Vorgehen ist nachahmenswert: Mit seinen Fragen regt er Menschen dazu an, sich mit Kommunalpolitik auseinanderzusetzen und bindet Bürger mit ehrlichem und offenem Interesse direkt an sich.

Wer Vertrauen und Nähe zu seiner Community aufbaut, kann nicht nur im Wahlkampf, sondern vor allem im politischen Alltag auf sie setzen. Facebook-Freunde und Follower lassen sich bei öffentlichen Debatten schnell und zielgerichtet mobilisieren. Egal, ob sie sich als Leserbriefschreiber, Kommentatoren, bei Bürgerbeteiligungsformaten oder im persönlichen Gespräch mit dem Nachbarn einsetzen – sie sind Multiplikatoren von unschätzbarem Wert.

Eine langfristig aufgebaute und gepflegte digitale Community ist meiner Meinung nach mittlerweile sogar wichtiger als Freiwillige, die im Wahlkampf Plakate aufhängen, sonst aber nicht aktiv werden. Kontinuierlich eingebundene Bürger, die man von der eigenen Sache überzeugt, können wiederum andere Bürger überzeugen – und das effektiver als jedes Plakat.

Ich rate Ihnen: Leben Sie #followerpower und hören Sie in Ihre Community hinein! Ihr Horizont wird erweitert, ihr Wissen größer, Sie sparen Zeit und Geld und am Ende der Legislaturperiode haben Sie auch viele Menschen mit relativ wenig Aufwand direkt erreicht. Es lohnt sich!

Wie sehen Sie das? #followerpower

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation II/2015. Das Heft können Sie hier bestellen.