Politik ist oft nicht viel mehr als eine Bühne – mit festen Rollen, kalkulierten Gesten und einem Publikum, das im besten Fall ahnt, wie durchsichtig der Plot ist. Wer sich die aktuellen Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Union anschaut, erkennt dieses Schauspiel in Reinform.
Wie Robin Alexander im „Machtwechsel“-Podcast plastisch schildert, verlassen Verhandler einer Arbeitsgruppe empört den Raum – nur um kurz darauf per SMS zu signalisieren: Keine Sorge, wir kommen wieder. Der eigentliche Adressat solcher Inszenierungen sitzt nicht am Verhandlungstisch, sondern im Newsroom eines Leitmediums. Wenn die Schlagzeile lautet: „SPD verlässt brüskiert den Verhandlungsraum“, dann ist das Ziel erreicht – Machtdemonstration durch öffentliche Erpressung.
Der Soziologe Erving Goffman schrieb einst das Buch „Wir alle spielen Theater“. Er hätte seine Freude an dieser Form der politischen Selbstdarstellung. Politische Kommunikation, die ausschließlich für die Vorderbühne gemacht ist: Eindruck statt Ergebnis.
Haltung ersetzt keine Inhalte
Das mag in der politischen Blase als clever gelten. In der Realität bringt es: nichts. Denn es geht nicht darum, bessere Ergebnisse für das Land zu erzielen, sondern darum, wer im medialen Machtspiel besser aussieht. Das funktioniert bei der eigenen Parteibasis vielleicht: Unsere Leute zeigen Haltung. Aber Haltung ersetzt keine Inhalte. Das sollten alle nach drei Jahren Ampel eigentlich gelernt haben.
Was in der Politik oft fehlt, ist der Blick für Limitierungen – und die Notwendigkeit von Prioritätensetzung. In Unternehmen wird unter klaren Bedingungen verhandelt: Ressourcen, Budgets, Personal, Zeit – immer im Interesse der Unternehmensvision und langfristiger strategischer Planung. Politik hingegen arbeitet mit dem Geld der anderen. Wenn etwas fehlt, wird eben mehr ausgegeben oder es werden neue Stellen geschaffen. Haushalt? Überschreitungsbeschluss! Schuldenbremse? Aufgeweicht! Hohe Zinslasten und Tilgungsraten? Sondervermögen! Grenzen? Fehlanzeige.
So entsteht kein echter Verhandlungsdruck. Warum sollte es ihn geben, wenn sich die Torpfosten beliebig verschieben lassen? Der Fehler lag darin, vor den eigentlichen Verhandlungen den finanziellen Spielraum auszuweiten. Erst hätte man Rahmenbedingungen setzen, Strukturreformen im Sondierungspapier vereinbaren, eine klare Vision für das Land definieren müssen – und dann verhandeln. Stattdessen wird nun ein Koalitionsvertrag geschrieben, der auf einem Wünsch-dir-was-Fundament basiert.
Es bräuchte konkrete Projekte
Verhandlungen in der Politik erinnern inzwischen mehr an ein Planspiel zur Mehrheitsbeschaffung als an echte Aushandlung von Prioritäten. Wer bekommt welches Ministerium? Welche Partei darf ihr Lieblingsprojekt durchbringen, damit es nach etwas aussieht? Die Umsetzung? Eine ganz andere Frage. Siehe Ampel-Koalition: Viele der im Vertrag vereinbarten Vorhaben wurden nie realisiert – blockiert, gestrichen oder durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gestoppt. Um es habeck’sch auszudrücken: Kein Koalitionsvertrag besteht die Unwägbarkeiten der Wirklichkeit.
Statt dutzende Punkte in einem Vertrag aufzuschreiben, bräuchte es zehn konkrete Projekte, auf die sich Regierung und Fraktion committen – mit klarer Ressourcenzuweisung, Deadlines und Verantwortlichen. Alles andere ist Show.
Und doch spielt die Union dieses Spiel weiter mit. Sie reicht der SPD die Hand – wieder einmal – und stellt überrascht fest, dass die SPD den ganzen Arm nimmt. Eine ernsthafte Option auf eine Minderheitsregierung? Von Anfang an ausgeschlossen. Nun ist man in einer Sackgasse: Die Gespräche dürfen nicht mehr platzen. Eine Neuwahl? Zu riskant. Die Umfragen zeigen: Der Moment zum Absprung ist verpasst. Nach den Sondierungsgesprächen hätte es vom Wahlsieger heißen müssen: Wenn sich die SPD nicht bewegt, wählen wir so lange, bis sie es lernt.
Nun muss diese Koalition funktionieren. Sie muss liefern – nicht für sich, sondern für das Land. Und sie muss vor allem eines: die AfD wieder marginalisieren. Das ist der Auftrag.
Applaus gibt es später.