Stimmenfang per Memorystick

Manchmal liegen das alte analoge Afrika und der gleichnamige Kontinent des digitalen Aufbruchs ganz dicht beieinander. Im Regierungssitz Daressalam residiert Tansanias führende Oppositionspartei CHADEMA in einem einstöckigen Haus an einer ungeteerten Sandpiste. Als Konferenzraum dient eine Art Terrasse unter freiem Himmel. Ungeübte westliche Beobachter würden unter dem hellblauen Dach kaum eine politische Schaltzentrale vermuten – aber die Fachleute der demokratischen Organisation managen längst hoch technisiert die Kommunikation im ganzen Land. Sie betreiben einen TV-Kanal im Internet, sind gleichermaßen aktiv wie populär auf Facebook und nutzen ganz selbstverständlich das Handy zur Mobilisierung ihrer Anhänger. Willkommen in Afrika 2.0.
Tansania ist keine Ausnahme: In Namibia verschickt die oppositionelle Rally for Democracy and Progress (RDP) die Einladungen zu ihren Versammlungen fast ausschließlich per SMS. Die Partei, so Libolly Haufiku von der RDP, habe Zehntausende von Handynummern ihrer Anhänger erhalten und in einer Datenbank gespeichert. In der Republik Südafrika verteilte die Inkatha Freedom Party (IFP) ihr Parteiprogramm bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr auf einem Memorystick. Und in Kenia hat die Präsidentschaftskandidatin Martha Karua mehr Anhänger in den Sozialen Medien als Bundeskanzlerin Angela Merkel – obwohl es dort weniger Einwohner und Internetanschlüsse als in Deutschland gibt. Es wird deutlich: Die Kampagnen-Macher in der Region stehen vor völlig neuen Herausforderungen, wenn es um die technologischen und inhaltlichen Umbrüche geht.
„Es ist wirklich eine Revolution“, urteilt Jake Obetsebi Lamptey, Chairman der New Patriotic Party (NPP) in Ghana. Die Wahlkämpfer auf dem Kontinent diskutieren und probieren fortwährend neue Instrumente der politischen Kommunikation aus. Kampagnen, so wie man sie bisher in Afrika kannte, werden von diesen Innovationen erfasst und ­verändert.
Dies sieht im Alltag zum Beispiel so aus: In etlichen Ländern der Region kontrolliert die Regierung den wirkungsmächtigen Rundfunk. Aber im digitalen Zeitalter kann die demokratische Opposition jetzt ihre Botschaften per Youtube trotzdem zum Bürger transportieren – direkt und ungefiltert. Luke Tamborinyoka, Sprecher von Simbabwes Ministerpräsident Morgan Tsvangirai (Movement for Democratic Change), berichtet, dass es im Wahlkampf 2008 keine Zeitungsberichterstattung über die MDC gab – „und auch in Radio und Fernsehen bekamen wir keine Sekunde“. Wenn der Zugang zu traditionellen Medien versperrt sei, dann müsse man sich nach Alternativen umschauen. Folgerichtig sieht er Facebook, Twitter, Youtube und Co. als „Ersatz-Medienplattformen“, um zur Meinungsbildung beitragen zu können. Im Ergebnis fällt es den Regierenden schwer wie nie zuvor, der Öffentlichkeit relevante Informationen und Fakten vorzuenthalten. Partizipation und Mobilisierung der Bürger sind auf dem Vormarsch.

Workshop der Grenzgänger

Angesichts dieser Transformationsprozesse entwickelte das regionale Medienprogramm der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS Medien Afrika) das bislang einzigartige Konzept der „E-lection Bridge Africa“ – einer Plattform, von der die Wahlkämpfer in der gesamten Region profitieren können. Praktiker aller demokratischen Parteien sind eingeladen, sich über Ländergrenzen hinweg auszutauschen. Die Initiative startete im Februar 2011 mit einer Webseite, auf der afrikanische und deutsche Fachleute in Interviewform ihre Erfahrungen teilen. Zur Gründungskonferenz in Accra in Ghana lud KAS Medien Afrika im Mai 2011 dann demokratische Parteienvertreter aus Angola, Ghana, Kenia, Kongo, Mosambik, Namibia, Senegal, Simbabwe, Südafrika, Tansania und Uganda. „Eine Art afrikanische Gemeinschaft des Wahlkampfs“, beschrieb ein Beobachter die Vielfalt. Die Auswahl der Teilnehmer erfolgte in Absprache mit den Länderbüros der Adenauer-Stiftung in Subsahara-Afrika. Die überwiegende Mehrheit stammt aus der Opposition.
Heute hat sich die „E-lection Bridge“ längst als Dachmarke auf dem Feld der politischen Kommunikation in Afrika etabliert. In regelmäßiger Form finden bilaterale und regionale Veranstaltungen statt. Die praktische Arbeit wird groß geschrieben. Aktuelles Beispiel: In diesem Jahr trafen sich die Mitglieder zu ihrem Gipfeltreffen im tansanischen Daressalam. Am ersten Tag beobachteten sie als Gäste eine CHADEMA-Großveranstaltung vor geschätzten 25.000 Zuschauern. Mit Blick auf das wogende Meer von blau-weiß-roten Fahnen, Transparenten und T-Shirts der CHADEMA sagte ein Teilnehmer anerkennend: „Diesen Geist kriegt keine Regierung mehr in die Flasche zurück“. Die Initiative „E-lection Bridge Africa“ will mehr als nur Tipps und (elektronische) Trends vermitteln – sondern auch als Inspiration für die mutigen demokratischen Parteien vor Ort dienen. Motto: Aus der Region, für die Region.
Ein besonderes Augenmerk gilt der mobilen Kommunikation. Überall in der Region steigen die Handy-Nutzerzahlen rasant an. Selbst in entlegenen Gebieten trifft man auf Menschen, für die ein Leben ohne Mobiltelefon unvorstellbar ist. Das Handy erweist sich als praktischer Alleskönner: Subsahara-Afrika ist beispielsweise weltweit führend auf dem Gebiet des Geldtransfers via Handy. Vorreiter und bekanntester Markenname ist M-Pesa (Kisuaheli für „Geld“) mit rund sieben Millionen Kunden in weniger als drei Jahren. Und mehr Menschen als je zuvor gehen mit dem Mobiltelefon ins Internet. In diesem Zusammenhang hört man immer wieder den Begriff „Leapfrogging“. Damit ist gemeint, dass die Afrikaner auf dem Weg ins Internet den Desktop-Computer, den Westler aus dem Büro und Arbeitszimmer zu Hause kennen, überspringen und direkt mit dem Mobiltelefon ins Netz gehen.
Die Chancen für die politische Kommunikation sind vielfältig: Es bietet sich die Gelegenheit, Menschen in entlegenen ländlichen Gebieten zu kontaktieren – dem mangelhaften Straßennetz und der bisweilen ungenügenden Infrastruktur zum Trotz. Die traditionelle Einweg-Kommunikation („top-down“) wird durch Interaktivität ergänzt, vielleicht sogar ersetzt. Partizipation und Mobilisierung sind auf einem bisher gänzlich unbekannten Level denkbar – von aktuellen Veranstaltungshinweisen über Fundraising bis zu auf diesem Wege übermittelten Vorschlägen für das Wahlprogramm. Eine neue Form der Nähe und Unmittelbarkeit wird in den medialen Alltag integriert – die politischen Akteure sind nicht mehr in gewohntem Maße an Ort und Zeit gebunden, wenn sie kommunizieren. Schließlich kann auch die Jugend, die wichtigste Zielgruppe dieser Tage in ganz Afrika, mit den neuen Kommunikationsinstrumenten anders, nämlich: zeitgenössisch und besser, angesprochen werden.

Subsahara im Sog der SMS

Die Lösungen fallen in Afrika häufig pragmatisch aus. In Mosambik schickt die demokratische Oppositionspartei Movimento Democratico de Mocambique (MDM), so erzählt der Parteivorsitzende Daviz Simango, ihre Kurzmitteilungen auf das Handy von bis zu 10.000 Bürgern. Seine Organisation nimmt bereits Rücksicht auf die Verhältnisse vor Ort und hält die versandte Datenmenge sehr klein. Die SMS bestehe manchmal „nur aus fünf oder sechs Wörtern“. Damit informiere man die Unterstützer kompakt über relevante Themen wie beispielsweise ausbleibende Lehrergehälter.
Am Ende bleibt als größte Herausforderung: Wie bindet man die Menschen in den ländlichen und armen Regionen, denen der Zugang zur modernen Technologie erschwert ist, in die Kommunikationsprozesse des 21. Jahrhunderts ein? Jake Obetsebi Lamptey aus Ghana nennt sie die „analogen Menschen“ und fordert, diese Gruppe nicht aus den Augen zu verlieren: „Da geht es immer noch um die gute alte Mund-zu-Mund-Propaganda.“ Libolly Haufiku aus Namibia warnt: „Der persönliche Kontakt ist und bleibt entscheidend“. Die beiden und ihre regionalen Kampagnen-Kollegen wissen: Nur so lässt sich eine Brücke zwischen dem analogen und digitalen Afrika bauen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Wir wollen rein – Bundestag 2013. Das Heft können Sie hier bestellen.