Röter wird’s nicht

Politik

Die Partei Die Linke musste bei den Wiederholungswahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 12. Februar 2023 erneut Verluste hinnehmen. Ihr Anteil sank von 14,1 auf 12,2 Prozent. Allerdings fielen die Verluste geringer aus als bei den vorangegangenen Wahlen. Die Linke versuchte daher, das Ergebnis schönzureden. Bei der letzten Landtagswahl vor der Bundestagswahl 2021 in Sachsen-Anhalt stürzte sie von 16,3 auf 11,0 Prozent ab.

Bei dieser Bundestagswahl traf die Partei um die Spitzenkandidaten Dietmar Bartsch und Janine Wissler ein Schock: Sie erreichte bloß 4,9 Prozent (2017: 9,2 Prozent) und konnte nur dank des Gewinns von drei Direktmandaten wieder in den Bundestag einziehen.

Die Wahlen am gleichen Tag in Berlin (von 15,6 auf 14,1 Prozent) und vor allem in Mecklenburg-Vorpommern (von 13,2 auf 9,9 Prozent) bestätigten diesen negativen Trend. Und alle vier Landtagswahlen in den vier westdeutschen Flächenstaaten führten 2022 zu einem Desaster für die Partei. Zunächst fiel sie im Saarland von 12,9 auf 2,6 Prozent, dann kam sie in Schleswig-Holstein lediglich auf 1,7 Prozent (2017: 3,8 Prozent), in Nordrhein-Westfalen auf 2,1 Prozent (2017: 4,9 Prozent) und in Niedersachsen auf 2,7 Prozent (2017: 4,6 Prozent).

Die Partei profitiert weder von der großen Politik ( Corona-Politik, Migrationspolitik, Ukraine-Politik) noch von den Problemen der Bürger, etwa in der Sicherheits- oder Wohnungspolitik. Ihre Kompetenzwerte in den verschiedenen Politikfeldern sind niedrig. Der Rückgang ist also offensichtlich nicht auf spezifische politische Ereignisse oder personelle Faktoren in einzelnen Ländern zurückzuführen. Er kommt ebenso überraschend wie der Aufstieg.

Aufstieg der Partei

Die Geschichte der Partei Die Linke ist eine Integrationsgeschichte. Was 1990 als nahezu ausgeschlossen galt, ist eingetreten: die Etablierung der Partei und ihre breite Akzeptanz in Politik, Publizistik und Wissenschaft. Einerseits löste sich die politische Kraft von marxistisch-leninistischen Dogmen, andererseits kam ihr die politische Konkurrenz entgegen. Sie ist längst kein „Schmuddelkind“ mehr. Offenbar wird sie in Ostdeutschland vielfach als normale Partei wahrgenommen. Im Westen ist das ähnlich, jedenfalls gilt die Partei nicht mehr als akute Bedrohung der Demokratie, sondern eher als Kraft der sozialen Gerechtigkeit.

Die aus der SED hervorgegangene Partei heißt seit 2007, nach der Fusion mit der westdeutschen Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit (WASG), Die Linke. Sie hat sich mehrfach umbenannt – von 1990 bis 2005 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), von 2005 bis 2007 die Linkspartei – und auch inhaltlich verändert. Die PDS war in den ersten 15 Jahren mehr oder weniger eine reine Ostpartei, die den Ost-West-Gegensatz pflegte. Im Westen hatte sie vor allem bei systemfeindlich eingestellten Jugendlichen Unterstützung gefunden, weil dort das Erscheinungsbild einer zum Teil militant antikapitalistisch auftretenden Partei weitgehend ein anderes, radikaleres war als im Osten.

Die notwendig gewordenen Sozialreformen unter Bundeskanzler Gerhard Schröder („Hartz IV“), die zahlreiche Proteste im linken Milieu auslösten, veränderten die Lage gravierend zugunsten der Partei. Im Westen des Landes entstand 2005 mit der WASG eine Kraft, die gegen die als unsozial empfundene Politik Schröders aufbegehrte. Der Schulterschluss mit ihr federte die kulturelle Fremdheit der Postkommunisten im Westen ab. Bei der Bundestagswahl 2009 erzielte Die Linke mit 11,9 Prozent ihr bestes Ergebnis auf Bundesebene.

Die verbreitete Kritik an der „Hartz IV“-Gesetzgebung hat die Wählerschaft nicht nur erweitert, sondern auch sozialstrukturell verändert. Die Zahl der eher bildungsfernen Wähler stieg ebenso wie die der Arbeiter und Arbeitslosen. Nicht zuletzt dem Populismus des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine war es zu verdanken, dass Stimmen aus dem sozialdemokratischen Wählerreservoir gewonnen werden konnten. Und in den neuen Bundesländern sorgte vor allem der charismatische Gregor Gysi für weitere Zugewinne. Die Erfolge der Partei vor allem bei Landtagswahlen ermöglichten ihr sogar den Einzug in ostdeutsche Landesregierungen, zunächst 1998 in Mecklenburg-Vorpommern, dann 2002 in Berlin und schließlich 2009 in Brandenburg.

Gründe für den Niedergang

Die Ursachen für den späteren Misserfolg hängen eng mit denen des Erfolges zusammen. Die Akzeptanz durch Medien, Konkurrenten und Wähler hatte eine Kehrseite: die Entzauberung der Postkommunisten. In den Ländern, in denen die Partei als Juniorpartner mitregierte, wurde sie bei folgenden Wahlen massiv „abgestraft“, weil sich manche Wähler mehr von ihr erhofft hatten: in Mecklenburg-Vorpommern 2002, in Berlin 2006, in Brandenburg 2014.

Im Osten hat die 2013 gegründete Alternative für Deutschland (AfD) Die Linke als Protestpartei abgelöst. Das liegt auch daran, dass hier die Parteiidentifikation geringer und damit die Wechselbereitschaft höher ist. Ein beträchtlicher Teil ihrer Wähler wanderte zu den Rechtspopulisten ab. Nicht zuletzt die teilweise ungeregelte Zuwanderung erregt Unmut. Die Linke kann diese Repräsentationslücke mit ihrer Programmatik – sie befürwortet die Aufnahme von Migranten und lehnt Abschiebungen ab – nicht schließen. Aber auch im Westen, wo Zuwanderung positiver gesehen wird, profitiert die Linke nicht. Hier verliert sie Wähler an die Grünen.

Ein weiterer Grund für den Niedergang der Partei ist der massive innerparteiliche Konflikt, der seit Jahren zwischen den „Soziallinken“ und den „Kulturlinken“ tobt: Die populäre und migrationskritische Sahra Wagenknecht, die einst der Kommunistischen Plattform angehörte und ihr Amt als Fraktionsvorsitzende im Bundestag (2015-2019) niederlegte, kritisiert die Lifestyle-Maximen ihrer Partei. Sie prangert das auf Minderheiten fixierte Identitätsdenken in den eigenen Reihen an. Soziale Gerechtigkeit sei wichtiger als ein Kulturkampf um das Gendersternchen. Ihre Gegner, die in der Partei die Mehrheit stellen, werfen ihr mangelnde Solidarität und zu große Sympathien für Putins Russland vor. Allein Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow etwa geißelt Russlands Imperialismus mit offenen Worten. Angesichts dieser inneren Zerrissenheit ist Die Linke weder kampagnenfähig noch bestimmt sie die politische Agenda. In der Öffentlichkeit wird immer wieder diskutiert, ob der Wagenknecht-Flügel, der auf eine deutlichere Abgrenzung von SPD und Grünen setzt, die Partei verlässt.

Trübe Aussichten

Was Die Linke zusätzlich schwächt: Nach dem Parteiaustritt von Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine 2022 und dem Teilrückzug Gregor Gysis, der bei der Bundestagswahl wie immer seinen Wahlkreis gewann, fehlt es der Partei an charismatischen Politikern – mit einer Ausnahme: In Thüringen stellt sie mit dem populären Bodo Ramelow seit 2014 sogar den Ministerpräsidenten.

Bisher galt das Paradox: Wer die Partei Die Linke ausgrenzen wollte, stärkte sie ungewollt. Wer sie dagegen in den politischen Diskurs einbinden wollte, schwächte sie (meist) ungewollt. In Thüringen konnte die Partei als Seniorpartner in der Regierung jedoch von 28,2 Prozent (2014) auf 31,0 Prozent im Jahr 2019 zulegen. Damit stellt Die Linke weiterhin den Ministerpräsidenten, wenn auch in einer Minderheitsregierung (mit SPD und Grünen).

Trotzdem: Die Partei befindet sich in der größten Krise ihrer Geschichte. Darüber können auch die Regierungsbeteiligungen in Thüringen, Bremen (seit 2017) und Mecklenburg-Vorpommern (seit 2021) nicht hinwegtäuschen. Obwohl Rot-Grün-Rot auch nach der Wiederholungswahl in Berlin eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus hätte, bilden nun wohl CDU und SPD eine Große Koalition. In Bremen könnte die Partei nach der Wahl am 14. Mai aus dem Senat fliegen. In Hessen, wo Die Linke seit 2008 ununterbrochen im Landtag sitzt, dürfte es nach der Wahl am 8. Oktober vorbei sein, und in Bayern, wo am selben Tag gewählt wird, ist sie ohnehin zu vernachlässigen. Wird die Partei künftig noch klare soziale Positionen finden, die sie von Grünen und SPD absetzen? Wenn die eigenartige Zuneigung für Diktatoren das augenfälligste Unterscheidungsmerkmal bleibt, sieht es düster aus für Die Linke.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 142 – Thema: Künstliche Intelligenz. Das Heft können Sie hier bestellen.