Rebell auf Regierungslinie

Politik

„Zielstrebigkeit und Ehrgeiz fallen mir da als Erstes ein“, sagt Josef Barnekamp, der als Redakteur der „Borkener Zeitung“ den Aufstieg von Jens Spahn seit 15 Jahren verfolgt. „Er wusste schon relativ früh, was er wollte.“ Wie wahr. Schon mit 15 trat er der Jungen Union bei, mit 17 der CDU und mit 22 zog er in den Bundestag ein, als direkt gewählter Abgeordneter. Das ist auch im katholisch geprägten Münsterland – nach wie vor CDU-Kernland – eine stramme Karriere. Und nun hat sie ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden: Seit Juli ist Jens Spahn, inzwischen 35, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und damit ganz nah an den heißen Themen wie der Zukunft des Euro oder der Hilfe für Griechenland.

Dass er nach dem Abitur in Müns­ter eine Lehre als Bankkaufmann absolviert hat, wird man heute dennoch kaum als frühes brennendes Interesse an der großen Finanzpolitik umdeuten können. Seine Banker-Laufbahn brach er nach einem Jahr ab, zog nach Berlin und ins Parlament ein, ist seither Berufspolitiker und schloss dazu passend an der Fernuniversität Hagen ein Studium der Politologie ab. Und vergaß nie, wo er herkam.

„All politics is local“, hat mal ein US-amerikanischer Kongressabgeordneter gesagt und trotz seines frühen Aufstiegs in die Bundespolitik hat sich Spahn stets an diesen Grundsatz gehalten. Bodenhaftung behalten, auch lokal weiter mitmischen. Schon mit 19 boxte er sich an die Spitze der Jungen Union in Borken hoch, sechs Jahre später war er dort bereits Vorsitzender des CDU-Kreisverbands – eine Position, die er bis heute beibehält, eine Hausmacht, über die sich niemand in der Partei ohne Weiteres hinwegsetzen kann, wenn es um Posten und Einfluss geht. Und er achtete darauf, dass er zusätzlich zu seinen Berliner Verpflichtungen viele Jahre im Stadtrat von Ahaus und danach bis zu diesem Jahr Abgeordneter im Kreistag war.

Der Generationenkonflikt als großes Thema

Doch die Themen, die ihn bekannt machten, waren nicht die Umgehungsstraßen für den Kreis Borken oder die Müllabfuhr in Ahaus. Spahn machte das, was ihn selbst auszeichnete – jung zu sein, sich auch mit älteren Wettbewerbern anzulegen –, zu seinem Markenzeichen: der Rebell, der bewusst den Generationenkonflikt suchte und zum Sprungbrett für seine politische Karriere formte – kratzbürstig, provokativ, bis an die Schmerzgrenze, und wenn es sein musste, auch darüber hinaus.

Das trug ihm in den Zeitungen Überschriften wie „Du Rotzlöffel – Erlebnisse eines Rentenkritikers“ oder „Wenn die Alten zornig werden“ ein. Auch gab es Drohungen von den Senioren in der NRW-CDU, sich gegen seine Wiederwahl starkzumachen. Der Vorwurf: Spahn sei ein Mann, der die Gesellschaft spalte und gehöre nicht in die CDU.

Was war geschehen? 2008 erhöhte die damalige Große Koalition die Renten und Spahn kritisierte vehement, das „Wahlgeschenk an die Rentner kostet die Jungen mittel- und langfristig viel Geld“. Spahn stimmte im Bundestag prompt dagegen und löste so in der Senioren-Union einen Sturm der Entrüstung aus. Deren Bundesvorsitzender Otto Wulff fand Spahns Haltung „töricht und unangemessen“. Es entstehe der Verdacht, dass sich der junge Politiker „auf Kosten der älteren Generation profilieren“ wolle.

Foto: Julia Nimke

Als die CDU in diesem Sommer die Grundzüge einer Parteireform präsentierte, keilte Spahn noch einmal zurück: „Die CDU wird von vielen als die Partei des alten, weißen Mannes wahrgenommen“ – was bei einem Altersdurchschnitt von 59 objektiv so falsch nicht ist, wobei allerdings auch zu erwähnen lohnt, dass die Union ihre Wahlsiege ganz stark den älteren Wählern verdankt. Bis heute übernimmt Spahn konsequent die Rolle des Vertreters der Jungen. Er zählt zu der „Jungen Gruppe“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und besetzt das Thema auch über Parteigrenzen hinweg, etwa als Gründungsmitglied einer fraktionsübergreifenden Gruppe von jungen Bundestagsabgeordneten, die sich für die Verankerung der Generationengerechtigkeit als Staatsziel im Grundgesetz einsetzt. Er sei, so sagen es andere Junge in seiner Fraktion, ohne Zweifel ein Netzwerkertalent, immer präsent bei allen möglichen Themen. Aber gerade deswegen fühle sich mancher auch vor den Kopf gestoßen, weil Spahn ihnen die Themen „abgreife“.

Als Sachgebiet entdeckte er für sich ein gesellschaftliches Megathema: die Gesundheitspolitik. Wie wenige arbeitete er sich in die Details dieses komplexen Politikfelds ein und brachte es zum gesundheitspolitischen Sprecher seiner Fraktion. Kaum eine Talkshow dazu, in der er nicht saß, kaum eine Interview­chance, die er nicht wahrnahm.

Allerdings verstolperte er sich auch auf diesem Feld. Mit seinem Bundestagsbüroleiter und einem weiteren Partner, einem Lobbyisten, gründete Spahn 2006, damals schon CDU/CSU-Obmann im Bundestagsgesundheitsausschuss, eine Gesellschaft öffentlichen Rechts, zu der wiederum die Lobby-Agentur Politas gehörte. „Focus“ berichtete, Politas habe Kunden aus dem Pharma- und Medizinsektor beraten. Spahn sagte dazu, er sei nicht am Tagesgeschäft der Firma beteiligt gewesen. Er stieg 2010 aus der Firma aus. Spahn räumte nach dem „Focus“-Bericht ein: „Bei der Zusage im Jahr 2006, einen Freund zu unterstützen, habe ich mir über mögliche Folgen und die öffentliche Wirkung nicht ausreichend Gedanken gemacht. Heute würde ich anders handeln.“

Letztendlich hat es seiner Karriere nicht geschadet. Oder doch? Als Gesundheitsexperte der Union erarbeitete sich Spahn wegen seiner unbestrittenen Kompetenz hohen Respekt in der CDU. Er sorgte dafür, dass er im Blickfeld der Medien blieb, umtriebig und dauerpräsent. Und als die Bundestagswahl 2013 anstand, schien im politischen Berlin klar, wer bei einem Sieg der Union das Gesundheitsministerium übernehmen würde. Die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) wagte diese Prognose: „Spahns Zeit wird kommen. 2013, nach der Bundestagswahl werden die Karten neu gemischt, und wie es aussieht, könnte er sogar neuer Gesundheitsminister werden.“

„Abgeordneter zu sein, das heißt unabhängig sein“

Wie man sich irren kann. Die Wahl kam, die Union siegte, stellte weiter die Kanzlerin. Und was wurde aus Spahn, von dem die „SZ“ so überzeugt war, dass sie schrieb: „In jedem Fall steht er für die nächste Generation Konservativer. Gerade frech genug, um aufzufallen, gerade angepasst genug, um durchzugehen, fachlich versiert, rhetorisch gewandt, immer auf Sendung.“ Was also wurde aus diesem Multitalent? Nichts.

Gesundheitsminister wurde Hermann Gröhe, wie Spahn aus der NRW-CDU, bisher nicht durch Kompetenz auf diesem Gebiet aufgefallen, dafür aber als CDU-Generalsekretär erfolgreicher Wahlkampfmanager und dafür von Angela Merkel mit dem Ministeramt belohnt.

Und auch die die CDU/CSU-Fraktionsführung unter Volker Kauder machte keine Anstrengung, Spahns Karriere weiter zu befördern. Der einflussreiche Posten eines stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden blieb ihm ebenfalls versperrt. Spahn blieb, was er war: gesundheitspolitischer Sprecher.

Spahn selbst spielt diese Niederlagen im Gespräch herunter. „Politik hat ihre eigenen Regeln, das ist ganz normal. Und mein Lebensglück hängt nicht davon ab, etwas zu werden oder nicht.“ Klingt irgendwie abgeklärt, ziemlich glatt, spiegelt aber nur bedingt seinen Lebensweg wieder. Der eigentlich spannende Job, sagt Spahn, sei der des Abgeordneten, der einem die innere Freiheit gebe, vor allem, wenn man ihn im Direktmandat erkämpft habe. „Abgeordneter zu sein, das heißt unabhängig sein. Denn das ist selbst erarbeitet, in der Partei und im Wahlkreis. Und Spaß macht es auch noch.“

Unabhängig sein, sich hochzuarbeiten, und sei es im parteiinternen Kampf, das spürt man, das ist sein Ding. Und da hat es Spahn seinen Widersachern am Ende doch noch gezeigt. CDU-Parteitag, Köln im Dezember 2014. Die Wahl zum CDU-Präsidium, dem wichtigsten Führungsgremium der Union, steht an. Die NRW-CDU will, dass Minister Hermann Gröhe dort den mächtigen Landesverband vertritt.

Foto: Julia Nimke

Doch Spahn macht seinem eigenen Heimatverband einen Strich durch die Rechnung. Er tritt gegen Gröhe an, als Kandidat der Jungen Union und der Mittelstandsvereinigung. Und erzielt mehr Stimmen als Gröhe, der auf einen zweiten Wahlgang verzichtet. Spahn überzeugt mit einer kurzen Rede, in der er vor allem die Zukunft anspricht, die Frage, wie die Union auch in zehn Jahren noch erfolgreich sein will. Er zieht, wie so oft bei öffentlichen Auftritten, sein Handy aus der Tasche und verweist auf den tiefgreifenden Wandel, den das Internet für das tägliche Leben bedeute, das mehr verändert habe als „alles andere je zuvor“.

Danach klappte es auch mit dem nächsten Karriereschritt. Als Steffen Kampeter ankündigte, aus dem Finanzministerium als Hauptgeschäftsführer zur Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zu wechseln, wollte die NRW-CDU wieder einen der Ihren auf diesem Posten – und nicht zuletzt Finanzminister Wolfgang Schäuble, der Kontroversen auch nur ungern aus dem Weg geht, sprach sich für den jungen Jens Spahn aus, der ihm als aufmüpfiger und, wenn es sein muss, unbequemer Parteifreund positiv aufgefallen war.

Jetzt also das neue Büro im architektonisch wuchtigen Finanzminis­terium im neuen Job mit den ganz anderen Themen. Spahn muss als Parlamentarischer Staatssekretär den Kontakt zum Parlament halten, auch zu vielen CDU/CSU-Fraktionskollegen, die gegen die immer neuen Hilfspakete für Griechenland sind. Er, der einstige Rebell, gibt sich hier ganz auf Regierungslinie.

„Das ist eine schwere Entscheidung, die sich keiner leicht macht.“ Deutschland dürfe sich in Europa mit einem Nein nicht isolieren und in anderen Staaten hätten die Reformen doch funktioniert. „Das ist eine Finanzfrage, eine ökonomische Frage, eine Geldfrage, aber aus meiner Sicht ganz sicher keine Gewissensfrage.“

Ein bekennender Anhänger von Schwarz-Grün

Noch mehr als eine Gewissensfrage ist für Spahn ein anderes Problem, dass auch heiß in der Union diskutiert wird – der Kampf um die Gleichstellung homosexueller Paare. Und das betrifft ihn ganz direkt. Spahn ist schwul und geht damit inzwischen politisch auch offensiv um. Er setzt sich dafür ein, „dass wir am Ende zu einer rechtlichen Gleichstellung kommen“. Es sei unheimlich viel passiert mit neuer Offenheit, stellt er fest, gerade die CDU habe sich hier bewegt, aber auch bewegen müssen.

Eigentlich sei es doch so, dass es „um die Werte geht, für die wir als CDU immer angetreten sind, Verbindlichkeit und Fürsorge. Und eben nicht zuerst den Staat fragen, sondern als Partner füreinander einstehen, wenn es zu einer schwierigen Situation kommt.“

Vielleicht ist das ja ein Feld, das sich mit einem neuen politischen Partner besser regeln ließe. Spahn ist ein bekennender Anhänger von Schwarz-Grün. Frustriert lief der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour nach der Wahl 2013, als sich diese Möglichkeit nicht ergab, über die Flure des Bundestags und traf auf Spahn, der das ebenso empfand. Seither basteln beide zusammen mit Parteifreunden am schwarz-grünen Projekt für 2017. Dabei mache, so Nouripour, ein Kuschelkurs keinen Sinn. „Nicht Gemeinsamkeiten entscheiden, sondern wie man Differenzen überwinden kann.“ Einig ist er sich auf jeden Fall mit Spahn: „Schwarz-Grün muss eine Option sein.“ Und Spahn sagt über die Stimmung in der CDU: „Das ist kein Automatismus, keine selbstverständliche Option, aber es muss endlich eine normale Option unter anderen werden. Es ist schon echt schwer, bei uns jemanden zu finden, der sich Schwarz-Grün nicht vorstellen kann.“ Und die jeweils anderen hätten verstanden, es gehe um ganz normale Menschen und nicht um Menschenfresser. „Auf jeden Fall wäre es etwas Neues, schon deshalb ist es spannend.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation III/2015 Geld. Das Heft können Sie hier bestellen.