Für die deutsche Politik hat das weltweite Netzwerk Linkedin in etwa eine Bedeutung wie die Lüneburger Heide. Gut, vielleicht eine geringfügig größere. Etwa 50 Berufspolitiker besitzen in Deutschland einen Linkedin-Account mit einer nennenswerten Reichweite. Wir werten das als Agentur jeden Monat mit unserem Polit-Check aus. Mit knapp 4.000 Followern schafft es Oliver Luksic, Landesvorsitzender der FDP Saar, schon in die Top 10. Mit über 7.000 Followern platziert sich der FDP-Vorsitzende Christian Lindner in den Top 5. Ganz weit vorn liegt Gerhard Schröder. Der Account des ehemaligen Bundeskanzlers wächst Woche für Woche prozentual zweistellig und vereinte schon drei Monate nach Start rund 20.000 Follower hinter sich. Ein Ex einsam an der Spitze?
Es wirkt, als hätten deutsche Politiker das Business-Netzwerk nicht auf dem Schirm. Fakt ist: Linkedin hat in der gesamten DACH-Region rund 16 Millionen Nutzer – nach soziodemografischen Kriterien wertigere als auf anderen Plattformen. Der Diskurs ist deutlich sachlicher und überwiegend fundierter als etwa auf Facebook. Es gibt weniger Hatespeech und Fake-Accounts. Die Darstellungsmöglichkeiten sind immens: Lange Artikel, kurze Beiträge, Grafiken, Bilder, Videos – alles ist möglich. Erst vor wenigen Wochen hat Linkedin das Feature Linkedin Live gelauncht, ein Videoformat, bei dem sich die User mit Fragen einschalten können. Die Premiere unter den Politikern hatte im Juli Jens Spahn. Längst ist die Plattform mehr als ein Business-Netzwerk.
Im Ausland ist Linkedin gesetzt. Spitzenpolitiker wie Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, Indiens Premierminister Narendra Modi oder der kanadische Premierminister Justin Trudeau kommen hier inzwischen auf bis zu 4,5 Millionen Follower. Und auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (über 45.000 Follower) nutzt die Plattform regelmäßig für sein Agenda Setting.
Aber wie funktioniert das in der Praxis? Wie bauen Politiker – und analog andere Personen des öffentlichen Lebens – erfolgreich ein Profil auf dem Netzwerk auf? Ein paar Faktoren gibt es, die einen Erfolg auf Linkedin begünstigen.
PR ist nicht alles. Aber ohne PR ist alles nichts.
Die Social-Media-Plattformen werden immer noch häufig als Kanäle bezeichnet. Das ist trügerisch. Weil es suggeriert, wer in dem Kanal am schnellsten schwimmt, kommt als Erstes ans Ziel. Manchmal ist es ratsam, einen Social-Media-Kanal einfach mal zu verlassen. Bei Linkedin ist das auch so. Sicher kann jeder über mehr oder weniger gezielte Anfragen sein Kontaktnetzwerk ausbauen und über pointierte Beiträge und Artikel für ausreichend Buzz sorgen. Doch sollte man nicht die Wechselwirkung von PR und Linkedin unterschätzen. Deshalb: Kanalübergreifend Themen setzen. Veröffentlichungen in den klassischen Medien parallel für Linkedin-Debatten nutzen, exklusive Linkedin-Artikel den Medien vorab stecken. Spätestens seit Donald Trump wissen wir, dass die klassischen Medien keine Berührungsängste mehr haben, Twitter & Co. als Quellen zu zitieren. Das hilft natürlich enorm, den Account bekannt zu machen. Auf diesen Mechanismus kann hierzulande natürlich auch jeder Kommunal- und Regionalpolitiker zurückgreifen. Forderungen stellen, Missstände benennen, Lösungen aufzeigen. Auf Linkedin ausführlich analysiert und für die Medien vor Ort entsprechend aufbereitet.
Auf Tuchfühlung mit Influencern
Influencer – da denkt jeder an die Teens und Twens auf Instagram und Tiktok. Vielleicht ist Multiplikator deshalb der passendere Begriff – also Fachexperten, Journalisten/Blogger, Unternehmer mit entsprechender Expertise und Followerschaft auf Linkedin.
Sicher, nicht jeder hat das Glück, Linkedin-Größen wie Carsten Maschmeyer (knapp 100.000 Follower) in seinem Bekanntenkreis zu haben. Der Unternehmer und Start-up-Investor beglückwünschte auf seinem Account etwa Ex-Kanzler Gerhard Schröder zu dessen Linkedin-Debüt, was dessen Followerzahl stark ansteigen ließ. Doch jeder kennt in seiner Region oder in seinem Fachgebiet (hoffentlich) die Meinungsmacher, die im Social Web Themen den richtigen Spin geben.
Man kann dem Zufall natürlich ein bisschen auf die Sprünge helfen. Eigene Linkedin-Artikel vorab den Influencern stecken und so eine langfristige Bindung aufbauen. Besonders gut funktioniert eine Kombination aus PR und Einbindung von Multiplikatoren – etwa wenn die klassischen Medien und die Meinungsmacher im Web gleichermaßen die eigenen auf Linkedin publizierten Thesen und Themen aufgreifen. Mit etwas Glück entwickelt sich hier eine Eigendynamik – wenn etwa klassische Medien die involvierten Multiplikatoren in die Berichterstattung einbeziehen und die die Artikel auf ihren Accounts posten.
Die Linkedin- Redaktion kontaktieren
Linkedin hat eine kleine, aber sehr engagierte und professionelle Redaktion. Sie schreibt selbst Beiträge, kuratiert Artikel und stellt daraus den morgendlichen Newsletter für alle Mitglieder zusammen. Was gerade angesagt ist, wird allen Usern rechts oben auf der Linkedin-Seite in der Box „Aktuell und diskutiert“ angezeigt. Zudem arbeitet die Redaktion an neuen audiovisuellen Formaten wie eben Linkedin Live. Alles in allem ein enormer Reichweitenbooster also, wenn man es schafft, mit seinen Themen hier berücksichtigt zu werden. Zwar scannt die Redaktion selbst das Netzwerk nach interessanten Aufhängern, doch sich selbst mit seinen Themen bei der Redaktion ins Gespräch zu bringen, kann nie schaden.
Mut zur eigenen Meinung
Der FDP-Politiker Thomas Sattelberger fragte neulich (rhetorisch) auf Linkedin: „Welche Politiker wollen wir? Glatt gebügelte Homunkuli und Barbies? Sind Karrieresysteme von Parteien Windhundrennen?“ In den Sozialen Netzwerken jedenfalls haben all die blassen Technokraten mit ihrer floskelhaften Sprache keine Chance. Wer wirklich Thought Leadership beweisen möchte, muss auch mal gegen den Strom schwimmen. Positionen vertreten, die vielleicht nicht 100-prozentig auf Parteilinie sind, die viel mehr der eigenen Überzeugung entsprechen als dem gängigen Mainstream. Gerhard Schröder positioniert sich auf Linkedin klar für Autoprämien, für eine stärkere Zusammenarbeit mit Russland und für Nord Stream 2. Nur so entstehen wirklich Debatten. Nichts ist schlimmer als ein Account ohne Reaktionen. Den straft Linkedin mit seinem Algorithmus ab. Wer keinen Buzz erzeugt, taucht im Newsfeed kaum mehr auf.
Linkedin ist in weiten Teilen ein Business Netzwerk. Doch um hier im Nachrichten-Stream aufzufallen, lohnt es, hin und wieder auch etwas Privates von sich preiszugeben. Kultur, Sport, Zeitgeschehen, Literatur – was auch immer, Hauptsache, es entspricht der eigenen Persönlichkeit. Gesundheitsminister Jens Spahn begrüßte seine Community zum Linkedin-Start etwa mit einem handschriftlichen Schreiben und ermunterte hier zum Austausch und Dialog. Das Feedback war immens.
Im Gespräch mit der Community bleiben
Einer der größten Fehler auf Linkedin ist, ausschließlich in den Broadcast-Modus zu gehen – also einfach Botschaften zu senden, ohne die Tuchfühlung mit der Community aufzunehmen. Das gezielte, aktive Kommentieren ausgewählter Beiträge gehört deshalb zweifellos zu den wichtigsten Spielregeln auf Linkedin. Und auch hier gilt: Kontinuierlich alle Kommentare scannen und über die Linkedin-Rubrik „Inhalte“ checken, was ggf. über einen selbst publiziert wurde. Sachlichen Dialog mit eigenen Kommentaren fördern, Hate Speech ignorieren beziehungsweise dem Netzwerk melden.
Die Medienvielfalt nutzen
Linkedin bietet die Möglichkeit für kurze Beiträge, die häufig auf externe Inhalte verlinken und in der Regel mit einem entsprechenden Kommentar des Autors versehen sind. Politiker nutzen dies häufig für knappe, pointierte Einschätzungen zu aktuellen Ereignissen. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron postete beispielsweise kurz hintereinander zu den EU-Verhandlungen über das Corona-Rettungspaket und verzeichnete einmal etwa 4.000 und einmal 16.000 Reaktionen. Für noch mehr User-Engagement sorgen in der Regel Artikel. Das sind deutlich längere Texte, die jeder User auf der Plattform veröffentlichen kann. Über einen kurzen Teaser und ein entsprechendes Aufmacher-Bild werden sie im Nachrichten-Stream der User angerissen. Aus unserer Erfahrung verzeichnen die Artikel deutlich weniger Views als die Beiträge, proportional dazu aber deutlich mehr Reaktionen/Kommentare. Zwar beschäftigen sich offensichtlich weniger Nutzer mit diesen längeren Artikeln – die dafür umso intensiver.
Wichtig ist, die Texte mit entsprechendem Bild-/Videomaterial zu ergänzen. Fotos von Politikern wirken auf Linkedin inzwischen fast so plakativ wie Wahlplakate. Ein großes Porträtfoto und davor ein pointiertes, farblich markiertes Statement aus einem Interview/Beitrag – Hauptsache, schnell auffallen. Empfänge, Politiker-Treffen, Medien-Interviews – all das wird auf Linkedin natürlich zudem per Foto festgehalten und um die wesentlichen Aussagen der Treffen ergänzt.
Weniger Arbeitslose in der Region? Mehr Industrieansiedelung? Oder einfach ein Bevölkerungszuwachs, der auf eine steigende Attraktivität der Region hindeutet? All das lässt sich nicht nur wunderbar für den eigenen Wahlkampf nutzen, sondern auch auf Linkedin grafisch aufbereiten. Auch hier hat die filigrane Infografik längst das einfache Balkendiagramm abgelöst. Wer nicht kamerascheu ist, setzt auch auf Linkedin auf kurze, originelle Videos. Selbst mit dem Smartphone lassen sich hier inzwischen ganz respektable Ergebnisse erzielen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 132 – Thema: Warten auf grünes Licht. Das Heft können Sie hier bestellen.