Nicht im eigenen Interesse

Netzwerke

Für Lobbyistinnen und Lobbyisten im politischen Berlin gehört das eigene Netzwerk neben politischer und fachlicher Expertise zum wesentlichen Kapital. Die Inhouse-Lobbyisten von Unternehmen, Verbänden und Organisationen pflegen ihre Kontakte zu Stakeholdern und in die Politik. Der Austausch im Netz gehört zum Alltag, trotzdem zählt für den guten Kontakt weiterhin die räumliche Nähe: je näher dran, desto besser. Nicht ohne Grund setzen die großen Lobby-Player weiterhin auf Büros und Repräsentanzen in der Hauptstadt, um möglichst nah an den Institutionen der Macht zu sein.

Mit parlamentarischen Frühstücken und Abenden, Sommerfesten, Workshops, Konferenzen und Tagungen aller Art werden Netzwerke strategisch gestärkt. Ein gutes und verlässliches Netzwerk ist ein Machtfaktor im Lobbygeschäft: Wer über Netzwerke in die politischen Institutionen verfügt, kann frühzeitig Informationen beschaffen und die eigenen (interessengeleiteten) Perspektiven zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle einbringen. Je länger Lobbypersonal in der Hauptstadt aktiv ist, desto besser funktioniert das, denn Vertrauen braucht Zeit. So wird ein langjährig gepflegtes Netzwerk zum Machtfaktor.

Geld ist im Lobbyismus nicht alles, macht aber alles leichter: Ein Hauptstadtbüro, Events oder geeignetes Personal – all das ist teuer und stellt eine Eintrittshürde dar. Die exklusive Veranstaltung im Nobelclub am Pariser Platz oder die Einladung ins Sterne-Restaurant machen etwas her. Der Lobbyerfolg ist damit zwar nicht garantiert, wird aber begünstigt. Wer das nötige Kleingeld hat, kann sich die nötigen Netzwerke im politischen Berlin schlicht einkaufen: Viele der zahlreichen Lobbyagenturen und -kanzleien werben auf ihren Webseiten mit ihrem herausragenden politischen Kontaktnetzwerk.

Langfristiger Schaden

Oft ist dieses Netzwerk gerade deshalb so herausragend, weil nicht wenige ehemalige politische Entscheider die Seite gewechselt haben. Ex-Politikerinnen oder ehemalige Ministerialbeamte kennen sich selbstverständlich nicht nur bestens im politischen Betrieb aus, sondern bringen ein kaum vergleichbares Netzwerk mit. Diese Kontakte lassen sich einige nach dem Ausscheiden aus der Politik versilbern: Als ehemaligem Minister sei ihm noch nie ein Termin mit einem amtierenden Regierungsmitglied versagt worden, brüstete sich jüngst Dirk Niebel, Rheinmetall-Lobbyist und selbstständiger Berater im ZDF-Film „Das Lobby-Experiment“.

Ein häufig genannter Vorzug politischer Netzwerke ist, dass Interessenvertreterinnen Expertise in die Politik einbringen, über die der politische Betrieb selbst nicht verfügt. Einigen Gesetzen dieser Legislaturperiode hätte Fachwissen sicher nicht geschadet. Oft wollen Lobbyisten aber Wünsche einspeisen, obwohl politisch-strategische Weichenstellungen gefragt sind, zu denen sie weder berufen noch befugt sind.

Kurzfristige Lobbyerfolge können langfristig einen schlimmen Pferdefuß haben, etwa wenn sie es ermöglichen, zu lange an eigentlich überholten Geschäftsmodellen festzuhalten. Zahlreiche Beispiele zeigen, wie enge Lobbynetzwerke unausgewogene politische Entscheidungen erreichen, die einigen kurzfristige Vorteile verschaffen, aber auf lange Sicht der gesamten Gesellschaft, Umwelt oder Wirtschaft schaden. In hübschen Linkedin-Texten fordern Lobbyisten immer wieder für ihre Branche, konstruktiv und verantwortungsvoll zu arbeiten, dann klappe es auch mit der gesellschaftlichen Akzeptanz. Nun: Wer hindert sie daran?

Meinungsblasen

Jenseits der finanziellen Ressourcen und der damit einhergehenden Ungleichgewichte beim Zugang zur politischen Macht können enge und exklusive Polit-Netzwerke ansich zum Risiko werden. Zu enge Netzwerke werden in Einzelfällen zum Compliance-Problem – wenn die Verantwortlichen in der Politik sich nicht aus Verfahren heraushalten, die enge Freunde oder Verwandte betreffen. Mehrere Fälle in den Bundesministerien haben das in dieser Wahlperiode deutlich illustriert.

Aber auch in größeren Zusammenhängen kann ein Schaden entstehen, nämlich dann, wenn Netzwerke zur Bubble werden. In einer Meinungs-Blase dringen abweichende, kritische Perspektiven kaum mehr durch. Man denke etwa an das Netzwerk zwischen Gaslobby, energieintensiven Industrien und Politikern beider großer Volksparteien. Das hat unser Land in eine beinahe fatale Abhängigkeit von autoritären Regierungen gebracht, allen voran Russland.

Auch zwischen der deutschen Autolobby und der Bundespolitik gibt es eine übergroße Nähe. Die Autolobby zählt besonders viele ehemalige Topleute aus der Politik in ihren Reihen. Das hat dazu beigetragen, dass man auf der europäischen Ebene nicht mehr auf die Verlässlichkeit Deutschlands vertrauen konnte. Dass Deutschland langjährig ausgehandelte Kompromisse wieder in Frage stellte, hat bei vielen EU-Partnern zu einem nachhaltigen Ansehensverlust geführt..

Handlungsbedarf

Für die Politik muss das heißen: Kritischen Abstand halten, insbesondere zu starken Lobbygruppen. An politischen Entscheidungen müssen Interessengruppen ausgewogen und transparent beteiligt sein, gerade unterrepräsentierte Perspektiven sollten aktiv einbezogen werden. Transparenz über alle Lobbykontakte der Bundesregierung kann ein Korrektiv darstellen und Anreize setzen. Die EU-Kommission macht das seit Jahren vor. Auch die Regeln für Wechsel aus der aktiven Politik in Lobbytätigkeiten sind noch zu schwach.
In ihrem jüngsten Bericht zur Rechtsstaatlichkeit forderte eben jene EU-Kommission von Deutschland schärfere Regeln dafür. Denn wenn Ex-Minister ihre politischen Netzwerke zu Geld machen, begünstigt das nicht nur unausgewogene Entscheidungen, sondern schadet immer wieder dem Ansehen der Politik. Beschädigtes Vertrauen in integre und faire Entscheidungs- und Willensbildung in der Politik ist schwer wiederherzustellen und nutzt vor allem den Feinden der Demokratie – und das schadet langfristig auch wirtschaftlichen Interessen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 148 – Thema: Netzwerke. Das Heft können Sie hier bestellen.