Muttis Abräumer

Auf dem Bundesparteitag der CDU 2006 in Dresden kommt es zum Showdown: Josef Hecken, Sozialminister im Saarland, gegen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen. Die beiden kennen sich aus der Zeit, in der von der Leyen Ministerin in Nieder­sachsen war, und sie können nicht besonders gut miteinander. Die Saar-CDU hat einen Antrag eingebracht, der verbindliche Vorsorgeuntersuchungen für Kinder fordert, denn die Republik diskutiert in diesen Tagen über vernachlässigte Kinder. Die Bundesregierung ist gegen verpflichtende Untersuchungen, und von der Leyen fährt gleich schweres Geschütz auf: Pflichtuntersuchungen würden mit dem grundgesetzlich geschützten Elternrecht kollidieren, einem „kostbaren Rechtsgut“. Der Parteitag spendet der Ministerin nur mäßigen Applaus.
 Etwas später tritt Hecken ans Rednerpult. Er hält eine recht kurze Rede, in der er einen seiner liebsten rhetorischen Kniffe anwendet, den Vergleich: „Mich als Vater von drei Kindern regt es auf, wenn der Staat zwei Mal im Jahr mit dem Bezirksschornsteinfeger in meinen Keller marschiert, um zu überwachen, ob ein Kohleofen richtig angeschlossen ist“ – dass der Staat aber nicht zugleich über das Wohlergehen von Kindern wache, könne er nicht verstehen. Beifall auch beim Parteivorstand auf dem Podium, wo wohl nicht jeder bemerkt, dass der Antrag gegen die Bundesregierung geht. Der Parteitag nimmt ihn an.
„Ich liebe es, ein bisschen zu kämpfen“, sagt Hecken, heute beamteter Staatssekretär im Bundesfamilienministerium. Er sitzt in seinem Büro, wo er bei der Arbeit gerne raucht. Unter der früheren Führung des Hauses, der Führung der gesundheitsbewussten von der Leyen, wäre das undenkbar gewesen. Doch bei 60 Zigaretten am Tag dürfte es etwas umständlich sein, zum Rauchen ständig auf den Balkon zu gehen. Hecken spricht schnell, mit einer Stimme, der man die Zigaretten anmerkt, doch er wirkt entspannt: „Ich habe heute schon drei Reden gehalten, und nach drei Reden sind Sie tiefenentspannt“, sagt er. Tiefenentspannt mit ungebrochener Mitteilungsfreude.
Kämpfen also: Zurzeit kämpft Hecken dafür, dass die einzige dem Familienministerium nachgeordnete Behörde, das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, ihre Daseinsberechtigung behält. Die Behörde ist das frühere Bundesamt für Zivildienst, das durch die Bundeswehrreform überflüssig wurde. Das neue Amt soll nun den Bundesfreiwilligendienst koordinieren, der erst schleppend anläuft; Steuerzahlerbund und Oppositions-Haushälter haben es im Visier, manch einer will es am liebsten abschaffen. Doch wie Ministerin Kristina Schröder weiß auch Hecken, dass weniger Aufgaben weniger Einfluss bedeuten. Um Einfluss geht es auch beim Kampf gegen Heckens Lieblingsgegnerin von der Leyen, die beim Thema Frauenquote seit Monaten in Schröders Revier wildert. Der Staatssekretär schrieb jüngst einen Brief an Gerd Hoofe, sein Pendant im Arbeitsministerium, in dem er „seine große Verwunderung“ zum Ausdruck brachte, dass das Arbeitsministerium eine Veranstaltung zur Frauenquote plane, ohne dafür zuständig zu sein, und zudem ausgerechnet während Schröders Babypause in diesem Sommer.
Genug zu tun also für den Politmanager, der vor der Wahl 2009 als Bundesgesundheitsminister gehandelt wurde. Hecken steht bei Bundeskanzlerin Angela Merkel hoch im Kurs, vielleicht, weil sie seine Risikobereitschaft schätzt – womöglich liebt man an anderen eben das, was einem selbst fehlt.

Kampf mit den Apothekern

Merkel wurde auf den Juristen aufmerksam, als dieser sich als saarländischer Gesundheitsminister mit der geballten Apotheker-Lobby anlegte. Im Jahr 2006 ließ er die erste Filiale der niederländischen Versandapotheke DocMorris in Saarbrücken zu, obwohl das deutsche Apothekerrecht vorschreibt, dass nur Apotheker, nicht aber Aktiengesellschaften Apotheken betreiben dürfen. Hecken hielt diese Regel für ein Wettbewerbshemmnis, das gegen EU-Recht verstoße und den Patienten günstigere Arzneimittelpreise vorenthalte. Die Aktion brachte dem Politiker Beifall von Krankenkassen, Verbraucherschützern und sogar vom damaligen Grünen-Chef Reinhard Bütikofer ein: Endlich traue sich einer, gegen die Privilegien der Apotheker vorzugehen. Diese aber sagten dem Minister von der Saar den Kampf an, und zwar Kampf mit allen medialen und juristischen Mitteln. Irgendjemand habe ihn damals sogar von Privatdetektiven beschatten lassen, sagt er. „Das werden langweilige Tage für die Jungs gewesen sein, denn die mussten die ganze Zeit vor meinem Büro rumsitzen“, meint Hecken. „Das Leben als Minister bringt ja nun nicht so viele Höhepunkte mit sich, als dass es Stoff für die ,Apotheken-Umschau‘ wäre.“
Die Apotheker kämpften um einen Kuchen von Umsätzen in Höhe von 30 Milliarden Euro. „Mir war klar, dass die bei solchen Summen keinen Spaß mehr verstehen“, sagt Hecken. Bei derart vorhersehbaren Konflikten dürfe ein Politiker aber nicht „angezickt“ sein, wenn es Gegenwind gibt. Die Apotheker obsiegten am Ende vor dem Europäischen Gerichtshof, der das deutsche Apothekenrecht für EU-konform befand. Diese endgültige juristische Niederlage kam erst im Mai 2009, als Hecken gar nicht mehr Minister, sondern schon Präsident des Bundesversicherungsamts war.
Merkel hatte ihn 2008 aus dem saarländischen Kabinett heraus an die Spitze der für den Gesundheitsfonds zuständigen Behörde geholt – und sorgte damit für Verärgerung bei Ministerpräsident Peter Müller, war Hecken doch ein Aktivposten in seinem Kabinett. Der Regierungschef aber stand nun vor vollendeten Tatsachen: Merkel wollte, dass Hecken die Einführung des Fonds managt, und sie setzte den CDU-Politiker als Amtschef sogar durch, obwohl damals die zuständigen Bundesministerien für Arbeit und Gesundheit SPD-geführt waren. Sie glaubte daran, dass Hecken, einer der Architekten der Gesundheitsreform, diese auch am besten umsetzen würde.

Schlaflose Nächte

Von seinem Amtsantritt im Mai 2008 bis Ende 2008 musste das Amt einen Schlüssel errechnen, nach dem die Einnahmen aus der gesetzlichen Krankenversicherung verteilt werden. Fehler hierbei hätten den Start des umstrittenen Fonds womöglich verzögert – und die Kanzlerin blamiert. Der Druck war hoch, und Merkel bestellte Hecken regelmäßig zum Rapport ins Kanzleramt. „In dieser Zeit bin ich nachts manchmal schweißgebadet aufgewacht, weil ich geträumt habe, dass wir Rechenfehler gemacht haben.“ Die Beamten im Bundesversicherungsamt, angetrieben von ihrem Chef, mussten so viel arbeiten wie selten zuvor. Die Einführung des Gesundheitsfonds erfolgte nach Plan, kostete Hecken aber „viele graue Haare und Lebensjahre“, wie er sagt. „Da halte ich lieber 500 Reden über Betreuungs- und Vorsorgevollmacht im Saarland.“
Er wäre 2009 gerne Bundesgesundheitsminister geworden, meint ein Weggefährte aus seiner Zeit im Saarland. Doch die Koalitionsarithmetik gab das nicht her; zwar stand Hecken bei der Kanzlerin hoch im Kurs, hatte aber keine Hausmacht in der Partei. Das mag an seiner direkten Art liegen: „Affenscheiße“ beispielsweise ist das Wort, mit dem er laut Kollegen alles belegt, was er für nicht so prima hält. Diese direkte Art schätzen die einen, die anderen aber nehmen Anstoß daran. „Hecken ist einer unserer Besten“, sagt ein CDU-Bundestagsabgeordneter. „Menschlich ist er sehr angenehm, allerdings ist er auch ein Freund der offenen Aussprache, und darum weiß ich nicht, ob er wirklich ein Mann der ersten Reihe wäre.“
Nach seinen beruflichen Zielen be­fragt, betont der 51-Jährige, er wisse sehr wohl, dass die Karriereleiter endlich ist, und irgendwann sei es auch gut. Dass die Kanzlerin ihm für sein Engagement beim Bundesversicherungsamt das Gesundheitsministerium in Aussicht gestellt haben soll, weist er weit von sich, er pflege keine Rituale, die früher im Viehhandel üblich gewesen seien. Der Punkt scheint ihm wichtig zu betonen: „Selbstverständlich hat es keine Zusagen oder auch nur Gespräche über so etwas gegeben.“ Noch mehr, er sei ein Anhänger klassischer Beamtentradition und preußischer Pflichterfüllung: „Wenn man irgendwo dringend gebraucht wird, dann hat man das zu tun und nicht nach dem eigenen Vorteil zu fragen.“
Der aus Neuwied am Mittelrhein stammende Politiker ist jedenfalls keiner, der die Dinge halbherzig betreiben würde, und auch Politik macht er ausschließlich mit vollem Einsatz, unerbittlich gegen sich selbst – und seine eigenen Leute. „Es war eine harte Zeit bei ihm, allerdings habe ich sehr viel gelernt“, erinnert sich ein ehemaliger Mitarbeiter. „Er war aber auch ein fürsorglicher Chef, hat manchmal sogar selbst das Geschenk besorgt, wenn jemand Geburtstag hatte.“
Politik immer am Limit zu betreiben, hat meistens seinen Preis, für den dreifachen Vater war es seine Ehe. Nach Stationen als Ministerbüroleiter von Norbert Blüm, als Landesstaatssekretär und –minister, einem Wahlkampf um das Amt des Saarbrücker Oberbürgermeisters und dem Bundesversicherungsamt ging die Beziehung in die Brüche. Er hatte seiner Frau immer wieder versprochen, dass mit dem nächsten Job geregelte Arbeitszeiten kämen – doch löste stattdessen ein heikler Einsatz den nächsten ab. Unter Blüm arbeitete er oft von 7 Uhr morgens bis 2 Uhr nachts, und als er dann am Wochenende mit seinem Sohn spielen wollte, kam dieser nach kurzer Zeit wieder zur Mutter gelaufen: Der Vater war auf dem Spielteppich eingeschlafen.
Ministerin Kristina Schröder ist diesen Sommer in der Babypause, und sie weiß ihr Haus unter der Regie eines Profis. Einer, der häufig in Besprechungen mit Hecken sitzt, warnt allerdings, dieser betrachte sich als den „eigentlichen Minister“, Schröder solle besser ein bisschen aufpassen. Doch um mehr Macht an sich zu ziehen, als ihm zusteht, dafür dürfte der Staatssekretär mit dem rheinischen Naturell zu umsichtig sein – und nach Einschätzung von Weggefährten tatsächlich zu sehr loyaler preußischer Beamter. Gegen Zoff mit einer Ministerin hat er nichts – sofern es sich um Ursula von der Leyen handelt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Querdenker – Zwischen Fraktionszwang und Gewissen. Das Heft können Sie hier bestellen.