Mischt euch in die Debatte ein!

Die Zahl der Unternehmen, NGOs und Institutionen, die Redaktionen aufbauen, wächst. Der Zulieferer und Gerätehersteller Bosch zum Beispiel versteht sich seit einigen Jahren als “Publishing House“. Das Unternehmen bespielt eigene Kanäle und soziale Plattformen mit gut gemachten Geschichten über Menschen, Entwicklungen und Produkte aus dem eigenen Haus. Vermutlich spielt die Kommunikation über klassische Medien für Bosch immer noch eine Rolle. Aber das Grundverständnis lautet: Marken sind selbst Medien. Das Unternehmen überlässt das Storytelling nicht mehr nur anderen. Den Dialog mit Kunden, Stakeholdern, Nachwuchstalenten und der Öffentlichkeit führt es selbst.

Die “Publishing House”-Strategie à la Bosch funktioniert auch im öffentlichen Bereich. Unter den Bundesministerien ist das Bundesverkehrsministerium (BMVI) mit seinem “Neuigkeitenzimmer” hier vielleicht am weitesten. Das BMVI produziert neuerdings ein Ministervideo nach dem anderen, nimmt Fragen oder Kritik von Nutzern auf und stellt dem, was es für Falschmeldungen aus den Medien hält, eigene Beiträge entgegen. Mal mit mehr, mal mit weniger Resonanz.

Wo das Potenzial für diejenigen liegt, die bereit sind, sich auf die Bedingungen der digitalen Öffentlichkeit einzulassen, zeigt aber ein anderes Beispiel: Chief-Influencer und US-Präsident Donald Trump. Und dieses Beispiel muss allen Angst machen, die an der Demokratie hängen. Wer seine Botschaften konsequent auf die Erwartungen seiner Follower zuschneidet, stark vereinfacht bis verzerrt und dabei emotional auflädt, kann eine unheimliche Reichweite aufbauen. Trump gelingt es, politische Mehrheiten an den Mainstream-Medien und der eigenen Partei vorbei zu organisieren. Das schwächt Parteien und Institutionen. CNN oder die “New York Times” mögen Leitmedien für die eigene Zuschauer- und Lesergemeinde sein. Für Trump sind sie eher Klangverstärker, deren kalkulierbarer Protest das Selbstbild seiner Fangemeinde bestätigt.

Aus Sicht der Knight Commission on Trust, Media and Democracy, einer prominent besetzten Expertenrunde, ist klar: In den USA hat sich aus gesellschaftlichen, politischen und technologischen Faktoren ein “perfekter Sturm“ entwickelt, der inzwischen das Vertrauen in die Demokratie bedroht. Die USA hatten zwar noch nie eine so vielfältige Medienlandschaft wie Deutschland, aber der Zustand der Öffentlichkeit dort zeigt, was uns auch hier drohen kann. Die ausgewogene Berichterstattung könnte an Einfluss verlieren, die Polarisierung zunehmen.

Um eine ähnliche Situation in Deutschland abzuwenden, müssen sich deshalb auch die Institutionen und Akteure stärker in die öffentliche Debatte einmischen, von denen das Vertrauen in die Demokratie abhängt. Das schließt Bundes- und Länderparlamente ein, aber auch Regierungsinstanzen, Gerichte oder Behörden.

Die Chancen liegen auf der Hand: Noch nie war es so leicht, mit unterschiedlichen Zielgruppen in Kontakt zu kommen und Reichweite zu erzeugen. Noch nie ließ sich so viel über Interessen und Einstellungen dieser Nutzer erfahren. Nie war es einfacher, auf Basis dieses Wissens Anwendungen oder Inhalte zu entwickeln, die einen realen Nutzen bedeuten. Oder politische Themen und Beiträge zielgenau und effizient zu bewerben.

Das heißt umgekehrt aber auch: Es war nie so wichtig, über genau die Themen und in den Formaten zu sprechen, die die Menschen relevant finden. Das setzt voraus, dass öffentliche Einrichtungen sich stärker an Ergebnissen statt wie gewohnt an Prozessen orientieren. Und sie müssen sich trauen, in den für persönliche und emotionale Inhalte optimierten sozialen Kanälen reale Mitarbeiter für sich sprechen zu lassen.

Die Informationsangebote vieler Institutionen sind mittlerweile gut. Aber das allein reicht nicht. Der Bundestag etwa hat eine umfangreiche und gut strukturierte Website für Nutzer, die sich gezielt informieren wollen. Zudem gibt es eine App, über die man Parlamentsdebatten live mitverfolgen kann. Das ist für ein paar Tausend Polit-Nerds und Lobbyisten sicher praktisch. Für alle anderen ist das aber keine geeignete Informationsarchitektur. Präsenz in der in sozialen Medien geführten Debatte erreicht man so jedenfalls noch nicht.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Öffentliche Einrichtungen sollen die Meinungsbildung in Deutschland natürlich nicht lenken. Sie sollen nur aktiver am öffentlichen Diskurs teilnehmen. Dabei sind rechtliche und ethische Fragen zu klären. Wie sehr dürfen Regierungsinstanzen vereinfachen und emotionalisieren? Wie individuell dürfen Angebote im Web auf einzelne Nutzerprofile zugeschnitten werden, wenn Informationen immer noch öffentlich und transparent abrufbar sein müssen? Solche Fragen müssen diskutiert werden, aber sie dürfen den Versuch, jenseits der herkömmlichen Medien präsenter zu werden, nicht bremsen. Die Trumps, Salvinis oder Farages dieser Welt kümmern sich nicht um solche Bedenken. Sie sind aber die Konkurrenten im öffentlichen Diskurs, die es im Interesse der freiheitlichen Gesellschaft in Schach zu halten gilt.