Frau Lang, Sie haben den diesjährigen Politikaward als „Aufsteigerin des Jahres“ bekommen – einen Tag nach der desaströsen Europawahl. Haben Sie sich auf die Veranstaltung überhaupt gefreut?
Ricarda Lang: Das war ein komisches Gefühl. Ich habe kurz überlegt, ob ich absage. Aber Wolfgang (Schmidt, Kanzleramtsminister, d. Red.) hatte die Laudatio schon vorbereitet und die Veranstaltung stand. Es bringt ja in so einem Moment auch nichts, sich zu Hause zu verstecken und die Decke über den Kopf zu ziehen. Trotzdem fühlte es sich nicht so feierlich an, wie sich das unter besseren Umständen angefühlt hätte.
Die Jury hat Sie für Ihre Führungsstärke ausgezeichnet. Konnte Sie das in dem Moment freuen oder hat die Niederlage alles überlagert?
Lang: Doch, das konnte ich annehmen. Auch jetzt, nach dem Rücktritt, sehe ich meine eigenen Fehler, aber ich blicke nicht mit Gram zurück. Ich habe in diesem Amt Stärke entwickelt und zusammen mit Omid Nouripour die Partei in schwierigstem Schiffwasser zusammengehalten – nichts, was selbstverständlich war. Solche Erfahrungen sollte man nie in eine Schwarz-Weiß-Schablone pressen. Aber natürlich fühlte ich mich an diesem Tag nicht sehr führungsstark, besonders mit dem Eindruck, die Partei nicht aus der Krise führen zu können.
Sie sind mit 27 Parteivorsitzende geworden. Wie haben Sie sich damals auf die Rolle vorbereitet? Wen haben Sie um Rat gefragt?
Lang: Ich hatte ein Team, mit dem ich sehr ehrlich war und das vor allem sehr ehrlich mit mir war. Das ist entscheidend. Es gibt nichts Schlimmeres, als nur von Ja-Sagern umgeben zu sein. Die geben dir zwar ein gutes Gefühl, aber keinen unverstellten Blick auf die Realität. Mein Team hat mir oft widersprochen, manchmal sogar gesagt: „Ricarda, was für ein Schwachsinn erzählst du da?“ Das hat mich geerdet. Zudem habe ich ein stabiles privates Umfeld, wo ich mir Rat holen konnte, auch mal fernab vom Politikbetrieb. Nach Interviews hieß es da manchmal: „Ricarda, du klingst gar nicht mehr wie du selbst.“
Wie klingt Ricarda Lang denn?
Lang: Wenn ich unverstellt bin: offen, ehrlich, humorvoll. Aber ich hatte auch Phasen als Parteivorsitzende, in denen ich wie ein Roboter klang. Das passiert, wenn man auf Fragen, auf die man keine Antwort hat, etwas sagt, woran man selbst nur halb glaubt. Aber Menschen spüren das sehr genau. Politik ist ein Handwerk, und Beratung ist wichtig – von Auftritt bis Styling. Doch zu viel Input von außen kann dich unkenntlich machen. Man versucht, es allen recht zu machen, und am Ende verliert man sich selbst.
Was raten Sie Nachwuchspolitikerinnen, wenn die Sie heute um Rat fragen?
Lang: Junge Frauen in der Politik können es meistens niemandem recht machen. Das hat Luisa Neubauer bei meiner Abschiedsrede auf dem Parteitag treffend gesagt. Ich hätte mir gewünscht, früher weniger Energie darauf zu verwenden, Vorurteile zu widerlegen, und stattdessen mehr zu zeigen, wer ich bin. Man spielt oft nach den Spielregeln der anderen, statt eigene zu definieren.
Angela Merkel sagte neulich in einem Interview, beim Koalitionsbruch der Ampel dachte sie sich nur: „Männer.“ Was haben Sie gedacht?
Lang: Ich dachte nur: Wow, was passiert hier gerade? Am Morgen hätte ich nie gedacht, dass die Regierung zerbricht – am Tag, an dem Trump gewählt wurde. Eigentlich hätte es ein Signal von Stärke gebraucht. Aber die Regierung war in einem Zustand, in dem das nicht mehr möglich war. Ich muss aber sagen: Angela Merkel hat mir und vielen Frauen im Interview aus dem Herzen gesprochen. Das war auch eine Stärke von Angela Merkel: Auch bei harter Kritik an ihrer Person – teils inhaltlich sehr berechtigt, teils persönlich und sehr unpassend – hat sie einen kühlen Kopf bewahrt. Frauen wird oft Empfindlichkeit nachgesagt, dabei sind viele Männer in der Politik viel empfindlicher.
Hatten Sie im Koalitionsausschuss manchmal auch das Gefühl, Zeugin eines Hahnenkampfes zu sein?
Lang: Ja, das kam vor. Man hatte oft das Gefühl: Geht es hier ums Land oder um deinen Stolz und dein Ego? Wenn ich mir die Statements nach dem letzten Koalitionsausschuss anschaue: Olaf Scholz hat sich öffentlich an seinem eigenen Finanzminister abgearbeitet, und Christian Lindner hat sich als großes Opfer inszeniert – obwohl wir heute wissen, dass er den Bruch der Koalition über Monate geplant hatte. Solche Machtkämpfe tragen zur Vertrauenskrise in die Demokratie bei. Streit wirkt auf die Menschen wie ein persönliches Kräftemessen, Kompromisse wie Selbstaufgabe. Das Problem ist, dass die Leute das Gefühl haben, es geht den Politikern nicht um sie, sondern nur ums Gewinnen und Verlieren. Wenn das so bleibt, sinkt das Vertrauen in die Politik weiter.
Erfolgreiche Populisten wie Trump oder Wilders sprechen viele Menschen an, obwohl sie andere beleidigen, lügen und den Anstand mit Füßen treten. Was bedeutet es für die demokratische Mitte, wenn Regelbrecher so beliebt sind?
Lang: Diese Politiker stehen für Zerstörung und Rache. Viele Menschen wählen sie, obwohl sie gegen ihre eigenen Interessen handeln – etwa gegen ihre wirtschaftlichen Interessen oder gegen Frauenrechte. Das liegt auch daran, dass sich viele Menschen von der etablierten Politik nicht ernst genommen fühlen. Eine Ungleichheits-Forscherin sagte mir kürzlich in Bezug auf die USA und die Wahl von Donald Trump. viele haben das Gefühl, von der Politik verachtet zu werden, ihre Anliegen spielen keine Rolle, oft wird ihnen Stimmung als Politik verkauft. Die fühlen sich verarscht. Diese Menschen wählen dann lieber jemanden, von dem sie wissen, dass er sie täuscht, von dem sie sich aber wenigstens nicht verachtet fühlen. Die Demokratie muss beweisen, dass sie das Leben der Menschen konkret verbessern kann. Da kommen wir nicht raus, wenn wir nur auf „Gegen rechts“ setzen. Wir müssen zeigen, dass Demokratie das Gegenteil von Verachtung ist, die Wertschätzung jedes einzelnen Menschen.
Es ist aber doch ein Problem, dass Menschen reale Probleme wie den Klimawandel als unwichtig sehen und unwichtige Themen wie geschlechtsneutrale Toiletten für wichtig.
Lang: Wenn wir als Politiker auftreten und den Leuten erklären, was wichtig ist und was nicht, wirkt das oft belehrend. Genau das verstärkt das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Ein Beispiel: Nach Wahlniederlagen sagen wir oft, „wir müssen unsere Erfolge besser erklären“. Damit implizieren wir, dass alles gut ist und die Leute es nur nicht verstanden haben. Das blendet die realen Probleme aus. Statt Menschen zu belehren, warum sie ein Thema falsch gewichten, sollten wir die dahinterstehenden Sorgen ernst nehmen. Wenn sich jemand für einen Diesel entscheidet, dann muss ich der Person nicht erklären, wie wichtig Klimaschutz ist, sondern muss ich dafür sorgen, dass ein Elektroauto genauso bezahlbar ist.
Gleichzeitig gibt es viele Themen, die Konsens in der Bevölkerung genießen – etwa Bildung, soziale Sicherheit oder Chancengleichheit. Diese Themen werden oft vernachlässigt, obwohl sie viele Menschen beschäftigen. Wir sollten uns auf diese gemeinsamen Anliegen konzentrieren und endlich handeln, statt jeder aufgebauschten Debatte hinterherzulaufen.
Haben Sie denn das Gefühl, wenn Sie das gefordert haben, hat Ihnen aus der Politik niemand zugehört?
Lang: Ja, und manchmal habe ich mir selbst zu wenig zugehört. Ein Rücktritt ist immer auch ein Moment des Zuruhekommens und des Ausstiegs aus dem Hamsterrad. Im politischen Betrieb hasten wir oft von Termin zu Termin. Dabei bleibt wenig Zeit zum Nachdenken. Viele der Gedanken, die ich heute äußere, hatte ich auch vor fünf Monaten. Aber sie waren nicht immer leitend für das, was ich politisch getan habe, weil mir die Zeit gefehlt hat, innezuhalten und sie wirklich umzusetzen.
Für eine ehrliche Kommunikation, die Entfremdung zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Politik überwindet, braucht es Ehrlichkeit. Wenn man sich selbst nicht glaubt, wie sollen andere einem dann glauben? Dann fehlt oft Klarheit, weil Worthülsen genutzt werden, um zu verschleiern, dass man selbst nicht genau weiß, was man eigentlich ausdrücken will. Und Zeit fehlt, um sich wirklich zu überlegen: Was will ich sagen und wie drücke ich das überzeugend aus?
Es wurde oft beklagt, dass es in der Politik zu selten Konsequenzen gibt. Finden Sie, wir könnten mehr Rücktritte in der Politik vertragen?
Lang: Unbedingt. Rücktritte werden oft als Ultima Ratio verstanden, als das Schlimmste, was passieren kann. Dabei sollte es ein normales Verfahren sein, Verantwortung zu übernehmen. Nach meinem Rücktritt wurde ich oft gefragt: Warum jetzt? Aber wir hatten acht Landtagswahlen und eine Europawahl verloren. Die Frage ist doch: Warum nicht? Wenn ich nicht mehr die Kraft oder die Ideen habe, eine Partei aus der Krise zu führen, bin ich nicht am richtigen Platz. Das Amt ist kein Selbstzweck. Leider wirkt Politik oft wie der einzige Bereich, in dem niemand Verantwortung übernimmt. Überall sonst – sei es in der Schule, im Studium oder im Beruf – trägt man Verantwortung für Fehler. Die Leute spüren diese Diskrepanz, und das verstärkt das Bild einer abgehobenen politischen Elite.
Sie haben auch das Hamsterrad der Politik angesprochen. Wie haben Sie gelernt, zwischen wichtigen und weniger wichtigen Terminen zu priorisieren?
Lang: Priorisierung ist eine 1A-Fähigkeit, die wenige besitzen. Für mich hat sich das Prinzip „urgent and important“ bewährt: Was muss heute erledigt werden und was ist langfristig entscheidend, auch wenn es nicht so dringend erscheint? Zeitkritisches bekommt Vorrang, aber die wirklich zentralen Fragen dürfen nicht untergehen.
Bei Interessenvertretern wird es komplizierter: Treffen mit den großen Verbänden sind oft wichtig, bringen aber selten Überraschungen – dort bekommt man eher Konsensmeinungen. Gespräche mit Praktikern, etwa kleinen Handwerksbetrieben, sind oft interessanter, aber zeitaufwendiger. Leider bleiben solche Termine oft oberflächlich: Interessen werden vorgetragen, man nickt, tauscht sich aus, und abends hat man die Hälfte vergessen. Ein sinnvollerer Modus wären weniger Treffen, aber intensivere Austausche – vielleicht einmal alle zwei Jahre für mehrere Stunden, dafür arbeitet man aber an gemeinsamen Texten oder Konzepten. Das würde langfristig mehr bringen.
Hatten Sie denn das Gefühl, zu wenig Zeit zum Nachdenken zu haben?
Lang: Als ich Parteivorsitzende wurde, erzählte man mir, dass mein Amtsvorgänger Cem Özdemir freitags keine Termine machte, um zu lesen und nachzudenken. Das hatte ich mir auch vorgenommen. Doch dann kam die Regierungszeit, der Angriff auf die Ukraine – plötzlich war alles beschleunigt. Die Dringlichkeit vieler Themen hat die wichtigen strategischen Fragen oft in den Hintergrund gedrängt.
Wenn ich noch mal in eine ähnliche Position käme, würde ich das mit mehr Härte durchsetzen: einen Tag oder wenigstens einen halben Tag pro Woche freihalten. Diese Zeit ist nicht „Chichi“ oder Nebensächlichkeit. Lesen, nachdenken, verstehen sind mindestens so wichtig wie drei Talkshow-Auftritte. Wenn wir diese Zeit nicht einplanen, laufen wir Gefahr, im Tagesgeschäft die großen Linien aus den Augen zu verlieren.
Als Parteivorsitzende mussten Sie in sehr vielen, oft hochkomplexen Themen schnell sprechfähig sein. Wie sind Sie damit umgegangen?
Lang: Mir hat es wahnsinnig Spaß gemacht, Generalistin zu sein. Man bekommt Einblicke in viele Themen und versteht, wie Interessengruppen funktionieren und wie Politik in diesen Bereichen gemacht wird. Natürlich war ich dabei nie allein: Ich hatte ein großartiges Team, das mich vorbereitet hat, und Kolleginnen und Kollegen, auf deren Expertise ich zurückgreifen konnte. Wenn ich zum Beispiel auf ein Podium zur Rentenpolitik ging, habe ich vorher den Kollegen angerufen, der sich um das Thema kümmert. Es ist wichtig, sich nicht als einsames Schiff auf weiter See zu sehen, sondern als Teil eines Netzwerks.
Trotzdem gab es Momente, in denen ich mich gefragt habe, ob ich der Komplexität eines Themas gerecht werde. Besonders zu Beginn meiner Amtszeit, als außenpolitische Fragen durch den Ukraine-Krieg plötzlich dominierend wurden, war das schwierig. Ich dachte, Außenpolitik liegt ja eher bei Omid Nouripour. Plötzlich musste ich innerhalb von zwei Tagen mitentscheiden, welche Waffensysteme geliefert werden sollen. Natürlich lag die endgültige Entscheidung nicht bei uns, aber wir hatten eine Rolle dabei.
Die Grünen trennen strikt Parteiämter von Regierungsämtern. Was sind die Vor- und Nachteile, wenn der Parteivorsitz nicht mit einem Kabinettsamt verbunden ist?
Lang: Ich sehe das als Stärke unserer Partei. Das hält die Partei unabhängig und lebendig. Wir hatten bei den Grünen immer das geflügelte Wort „Wir wollen nicht werden wie die SPD.“ Damit meinten wir, dass wir uns nicht nur über das Regieren definieren wollen. Wenn man sich ausschließlich fragt, wie man in der Regierung bleibt, verliert man schnell den Blick für langfristige Ziele. Man will ja nicht nur für vier Jahre Politik machen, sondern auch eine Vision für die Gesellschaft entwickeln.
Bei der Union hat man nach 16 Jahren Merkel gesehen, was passiert, wenn eine Partei sich inhaltlich entleert: Man wusste am Ende gar nicht mehr, wofür sie steht. Diese Gefahr wollten wir vermeiden. Gleichzeitig hätten wir unsere Rollen als Parteivorsitzende und Regierung noch klarer trennen müssen. Omid Nouripour und ich waren nicht im Kabinett, aber trotzdem zu sehr mit Regierungsarbeit beschäftigt. Wir haben dadurch zu sehr unseren Anspruch verloren, eine meinungsbildende Kraft zu sein. Statt Meinungen nur abzubilden, müssen wir aktiv um Mehrheiten kämpfen.
Im kommenden Wahlkampf wird Migration ein zentrales Thema sein. Die Grünen werden wohl nicht so gern darüber sprechen.
Lang: Natürlich werden wir über Migration sprechen, das müssen wir auch. Ich würde mir aber wünschen, dass wir nicht nur darüber sprechen. Ich erinnere mich daran, wie ich vor den Wahlen in Brandenburg ein Interview zu Bildung geben wollte – einem zentralen Landesthema, das viele Menschen bewegt. Es war fast unmöglich, das Thema zu platzieren, weil keine Talkshow über soziale Themen oder Bildung sprechen wollte.
Migration ist eine Herausforderung, aber sie ist zu bewältigen. Wir sollten nicht so tun, als gäbe es ein Thema, das alle anderen überrollt. Für den Wahlkampf wünsche ich mir reflektiertes Selbstbewusstsein. Wir Grünen verlieren uns manchmal zwischen Selbstverleugnung oder Selbstbesoffenheit: Entweder entschuldigen wir uns, dass wir überhaupt da sind, oder klopfen uns dafür auf die Schulter, wie toll wir sind.
Beides bringt uns nicht weiter. Wir müssen selbstbewusst unsere Vision für die Zukunft zeigen – und auch die letzten drei Jahre Ampel nicht ausblenden. Wir haben große Erfolge erzielt, aber auch viel in der politischen Kultur kaputtgemacht. Jetzt müssen wir die Menschen davon überzeugen, dass wir wissen, wie es besser geht.
Der „Stern“ hat Sie als „Memequeen“ bezeichnet, weil Sie ziemlich witzig twittern. Warum haben wir davon nicht schon früher mehr gesehen?
Lang: Ich hatte lange das Gefühl, dass ich als Politikerin seriös wirken muss – und dass Humor oder zu viel Persönlichkeit auf Twitter damit nicht vereinbar sind. Wenn man wie ich mit Vorurteilen kämpft, zum Beispiel dass man zu jung sei, konzentriert man sich darauf, diese auszuräumen. Dabei habe ich vergessen, dass Humor und Persönlichkeit auch eine Stärke sein können.
Ein Schlüsselerlebnis hatte ich bei einem Essen mit einem konservativen Journalisten, der meinte: „Sie sind eigentlich total lustig, aber das merkt man in der Öffentlichkeit gar nicht.“ Stimmt, dachte ich, es ist doch schade, dass eine meiner besten Eigenschaften niemand sieht. Ich habe also beschlossen, auf meinem Kanal mehr selbst zu machen und von mir zu zeigen.
Nicht Ihr Team?
Lang: Ich mache mein Twitter-Profil komplett alleine. Ich lese viele Kommentare, die sagen: „Die hat doch eine gute neue Agentur.“ Nee, das ist einhundert Prozent Ricarda Lang.
Seltsam, dass Sie dachten, das verbiete die Seriosität. Den Grünen wird doch ständig vorgehalten, sie könnten mehr Humor vertragen.
Lang: Humor und Selbstironie tun auch uns Grünen gut. Wenn Markus Söder mal wieder Schwachsinn über uns erzählt, muss ich nicht zum 27. Mal erklären, dass so was ein ganz, ganz großes Problem für die Demokratie ist. Manchmal reicht Humor oder einfach ein GIF von Mr. Bean.
Ihr Social-Media-Account ist voller Popkultur-Referenzen. Wie entsteht das – ist das eine strategische Herangehensweise?
Lang: Nein, das basiert einfach auf echtem Interesse. Ich interessiere mich für Popkultur, schaue mir privat gerne Memes an. Natürlich ist nicht alles großartig, es gibt auch viel Mist. Aber das hilft mir, Online-Kultur zu verstehen und zu nutzen. Heute habe ich zum Beispiel ein TikTok mit Bezug zu Wicked gepostet, dem Film, der bald rauskommt und gerade für Hunderte Memes sorgt. Dann schreiben mir Leute: „Ricarda, was machst du da? Ich verstehe das überhaupt nicht.“
Ich glaube, wenn man zu etwas keinen Bezug hat und es trotzdem probiert, wirkt es oft hölzern und unecht. Das merkt man sofort. Ich empfehle das niemandem. Es gibt nicht die eine Art, wie man gut online kommunizieren kann. Das Wichtigste ist, dass es zu einem selbst passt. Man sollte mit dem beginnen, was man selbst lustig oder interessant findet, und von dort aus weiterarbeiten – statt zu versuchen, sich einem bestimmten Internet-Humor anzubiedern.
Sie haben angekündigt, im kommenden Wahlkampf aktiv zu sein. Was wird Ihre Rolle sein?
Lang: Ich sehe drei Schwerpunkte für mich, die ich auch mit meinem Wahlkreis verbinde. Erstens: Ich werde weiterhin auf Social Media aktiv sein, weil es mir Freude macht und ich damit auch anderen Freude machen kann. Zweitens: Ich will den Freiraum, den ich jetzt habe, nutzen, um langfristige Debatten zu führen. Wir drohen uns gerade in einer Hyperpolitisierung von Nebensächlichkeiten zu verlieren: Wochenlang reden wir darüber, ob der Wahltermin zwei Wochen früher oder später liegt oder ob Olaf Scholz cooler ist als Friedrich Merz. Gleichzeitig bleiben die wichtigen Fragen auf der Strecke: Wie kann Europa mit einem zweiten Trump umgehen? Wie machen wir unseren Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähig und erreichen unsere Klimaziele? Wie wird aus unserem Bildungssystem wieder ein Vorbild? Parteien wie die Grünen stehen für Veränderung – umso wichtiger ist eine klare Vision für die Zukunft.
Drittens möchte ich daran arbeiten, wie wir den Kontakt zu Bürgerinnen und Bürgern verbessern können. Viele Menschen empfinden uns Politikerinnen und Politiker als abgehoben und weit weg. Das schmerzt mich, weil ich mich selbst als offenen Menschen sehe. Aber ich weiß, dass Sätze wie „Wir müssen den Menschen zuhören“ inzwischen abgedroschen klingen. Wir haben deshalb ein neues Format gestartet: Mein Team druckt mir jede Woche 20 Bürger-Mails aus, eine Mischung aus Lob und Kritik. Und ich rufe fünf davon an, um einfach mal zuzuhören und ins Gespräch zu kommen. Das bringt mich näher an die Lebensrealität der Menschen heran.
Reicht das?
Lang: Auch Formate wie Infostände könnten außerhalb des Wahlkampfs stärker genutzt werden. Während der Wahlkampfzeit sind die Leute oft überfordert – sie haben 20 Flyer bekommen und sind genervt. Aber wenn wir zwei Jahre vor einer Wahl einen Infostand machen, fragen die Leute: „Was machen die denn hier? Ist schon wieder Wahlkampf?“ Wenn man dann sagt: „Nein, wir wollen einfach mal ins Gespräch kommen“, entsteht oft eine ganz andere Offenheit. Leider sind solche Formate jetzt durch die Neuwahl schwieriger umzusetzen, aber ich finde sie spannend.
Bei unserer Preisverleihung sagten Sie, es kommt darauf an, einmal mehr aufzustehen, als man umfällt. Sind Sie jetzt schon wieder aufgestanden?
Lang: Ja, ich fühle mich auf jeden Fall nicht am Boden liegend. Ein Rücktritt ist immer auch eine Aufgabe von Macht und Relevanz – das sollte man sich ehrlich eingestehen und nicht schönreden. Wenn ich jetzt jeden Tag versuchen würde, mich bei Illner oder dem MoMa einzuladen, wäre das ziemlich traurig.
Gleichzeitig habe ich das Gefühl, gerade eine neue Rolle zu entwickeln. Ich war in der ersten Reihe und kenne diesen politischen Betrieb gut, habe jetzt aber mehr Freiheit. Diese Zwischenposition könnte es mir ermöglichen, etwas zu bewegen, was andere vielleicht gerade nicht können.
Frau Lang, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 149 – Thema: Kurzwahlkampf. Das Heft können Sie hier bestellen.