"Man sieht nicht recht, was man mit seiner Stimme bewirkt"

p&k: Frau Professor Holtz-Bacha, die Europawahl wird häufig als Nebenwahl, als Wahl zweiter Ordnung, bezeichnet. Gilt diese Kategorisierung 2014 noch?

Christina Holtz-Bacha: Ja, denn nach wie vor fehlt der Europawahl die Spannung, die etwa eine Bundestagswahl ausmacht. Man sieht nicht so recht, was man mit seiner Stimme bewirkt: keine Regierung, keine Kanzlerin, keine Koalition.

Aber immerhin treten jetzt erstmals europäische Spitzenkandidaten der Parteien gegeneinander an, und der Wahlsieger hat gute Chancen, Präsident der mächtigen EU-Kommission zu werden.

Stimmt, aber wer kennt denn die Spitzenkandidaten? Gut, in Deutschland dürfte Martin Schulz, der Spitzenkandidat der Europäischen Sozialdemokraten, vielen ein Begriff sein, einfach weil er ein Deutscher und zudem Präsident des Europaparlaments ist. Anders sieht es schon bei Jean-Claude Juncker aus, dem Spitzenkandidaten der EVP. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass das Namen sind, die den Leuten das Gefühl geben, dass sie mit ihrer Stimme bei der Europawahl wirklich etwas bewirken können. 

Die SPD und die Grünen haben ihre Budgets für den Europawahlkampf deutlich aufgestockt: Die Sozialdemokraten machen über zehn Millionen Euro für den Wahlkampf locker, und die Grünen haben mit 1,6 Millionen Euro einen Etat, der 20 Prozent höher ist als 2009. Nehmen zumindest die Parteien selbst die Europawahl ernster als früher?

Das muss sich erst noch zeigen im Wahlkampf. Dass die SPD in diese Europawahl mehr Geld reinbuttert als in frühere, dürfte vor allem damit zu tun haben, dass mit  Martin Schulz ein Deutscher europäischer Spitzenkandidat ist. Die Grünen wiederum sind traditionell sehr aktiv im Europawahlkampf, weil sie selbst oft davon profitiert haben, dass die Chancen kleinerer Parteien bei Wahlen auf europäischer Ebene größer sind als auf Bundes- oder Landesebene.

Trotz Heimvorteil durch Schulz und obwohl Juncker in Deutschland kaum präsent ist, liegt die SPD in Umfragen zur Europawahl recht konstant zwölf Prozent hinter der CDU. Heißt das, dass sich die Europawahl nach wie vor am nationalen politischen Spitzenpersonal und nationalen Themen entscheidet?

Ja, die Europawahl ist zu einem großen Teil eine nationale Wahl. Das wird auch diesmal nicht anders sein. Und die Wahl am 25. Mai ist ein erster Stimmungstest für die Große Koalition, obwohl dann hinterher doch alle sagen werden, die Europawahl habe ihre eigenen Gesetze.

Ist es die richtige Strategie der SPD, so stark auf ihren Spitzenkandidaten Martin Schulz zu setzen?

Ja, was sollte sie sonst tun? Sigmar Gabriel ins Feld schicken? Schulz steht für Europa – und so viele Europapolitiker mit seinem Format haben die Sozialdemokraten ja nicht. Bei der Union ist das anders, die hat mit Merkel, die in den vergangenen Jahren als Regierungschefin europapolitisch sehr präsent war und vermeintlich viel erreicht hat für Deutschland, einfach gute Karten. 

Für die SPD dürfte es also schwierig werden, den großen Abstand zur Union noch aufzuholen.

Ja. Ich glaube sogar, dass sowohl die SPD als auch die Union noch Wähler verlieren werden an die kleinen Parteien, die durch den Wegfall der Sperrklausel realistische Chancen haben, ins Europaparlament einzuziehen. 

Zeitgleich zur Europawahl am 25. Mai finden in zehn Bundesländern Kommunalwahlen statt. Wird sich das positiv auf die Wahlbeteiligung auswirken?

Da sind sich die Experten uneins. Kommunalwahlen leiden ja auch unter einer sehr schlechten Wahlbeteiligung. Aber klar, immerhin haben die Leute dadurch einen doppelten Anreiz, zur Wahl zu gehen. Insofern besteht zumindest Anlass zu der Hoffnung, dass die Wahlbeteiligung diesmal höher sein wird als 2009.

Alles in allem klingt das nicht gerade, als ob Sie davon ausgehen, dass die Europawahl diesmal auf mehr Interesse bei den Wählern stößt als bisher.

Stimmt. Bei den bisherigen Europawahlen gab es einen Teufelskreis: Weil die Politik nicht wirklich in den Europawahlkampf investiert hat, gab es keine intensive Medienberichterstattung. Und wenn die Berichterstattung fehlt, woher soll dann das Interesse der Wahlberechtigten an der Europawahl kommen? Ehrlich gesagt kann ich nicht erkennen, dass dieser Teufelskreis diesmal durchbrochen wird.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Lobbying Forte. Das Heft können Sie hier bestellen.