Der US-Präsident Dwight D. Eisenhower sagte 1957 in einer Rede: „Pläne sind wertlos, aber Vorbereitung ist alles.“ Die freien Demokraten könnten sich dieses Zitat rahmen und neben ihre Parteiahnen in den Flur des Hans-Dietrich-Genscher-Hauses in der Reinhardtstraße hängen. Denn ja, einen Plan hatten sie. In dem Papier hatte die FDP geplant, das Ende der Ampelkoalition herbeizuführen, und zwar am „D-Day“ – eine Anspielung auf die alliierte Invasion in der Normandie 1944. Eisenhower lässt grüßen.
Jetzt befinden wir uns wohl an dem Punkt, der in dem Strategiepapier in einer Pyramide (die eigentlich ein Verlaufsdiagramm hätte sein wollen) als “offene Feldschlacht” bezeichnet wird. Das Problem: Die FDP ist gar nicht vorbereitet. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann jedenfalls sind im Wahlkampf schon politisch gefallen.
Als p&k Djir-Sarai Ende November traf, um über den Wahlkampf zu sprechen, hatte der die Geschichte für den Wahlkampf eigentlich schon abgehakt. Damals schauten alle Wettbewerber schadenfroh auf die SPD. Die verstolperte ihren Kampagnenstart auf andere Weise: Tagelang zögerte die Parteiführung, Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten zu bestätigen. Während der Kanzler auf Auslandsreise in Brasilien weilte, hievte der „Stern“ den viel beliebteren Verteidigungsminister Boris Pistorius aufs Cover und fragte – so wie viele Wähler und Sozialdemokraten auch: „Warum nicht er?“
In der Kürze
Ein glücklicher Start in den Wahlkampf war wohl selten so wichtig wie jetzt. Die vorgezogene Bundestagswahl am 23. Februar 2025 stellt die Parteien vor eine beispiellose logistische Herausforderung. Üblicherweise haben die Parteien viel Zeit, um ihren Wahlkampf vorzubereiten. Für die Bundestagswahl im September 2021 nominierte die SPD ihren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz im August 2020 – etwa 13 Monate früher.
Jetzt bleiben den Wahlkampfteams nur drei Monate, um Kampagnen zu entwickeln, Kandidaten aufzustellen und Wahlprogramme zu formulieren. Diese extreme Zeitverkürzung zwingt zu radikalen Prioritätensetzungen: Welche Themen sollen gespielt werden? Welche Gesichter dürfen sich in der ersten Reihe vorzustellen? Welche Schwächen des politischen Gegners sollen wir herausstellen?
Die Bundeswahlleiterin hat bereits angekündigt, dass zahlreiche Fristen verkürzt werden müssen – von der Einreichung der Kandidatenlisten bis zur Organisation der Briefwahl. Diese extreme Verdichtung des Wahlkampfs könnte zu einer der spannendsten, aber auch hektischsten Wahlkampfphasen seit langem führen. Wem gelingt der Sprint ins Kanzleramt?
SPD: Die Geschichte vom bösen Friedrich
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch ist erst im Oktober für den erkrankten Kevin Kühnert ins Amt gekommen. Nun ist er direkt mit der Organisation des vorgezogenen Wahlkampfes betraut. Miersch betont gegenüber p&k die Herausforderungen der verkürzten Vorbereitungszeit. Die Landeslisten, vor allem aber die Wahlkreiskandidaten, seien zum Wahlkampfstart noch gar nicht alle aufgestellt gewesen. Daher lud das Willy-Brandt-Haus kurzerhand alle Bewerber zum Shooting nach Berlin ein, um im Zweifel sofort kampagnenfähig zu sein.
Die Berliner Parteizentrale sieht Miersch hingegen gut aufgestellt. Neben ihm selbst, der qua Amtes den Hut aufhat, ist auch das 2021er-Team aus Parteichef Lars Klingbeil, Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt und Agenturleiter Raphael Brinkert wieder stark in die Kampagne involviert, in enger Abstimmung mit Parteichefin Saskia Esken, Fraktionschef Rolf Mützenich und dem Bundeskanzler selbst.
Tatsächlich ist die SPD früher als die anderen Parteien in die heiße Phase des Wahlkampfs gestartet. Bereits Ende November – also gut eine Woche nach der Beendigung der Posse um Verteidigungsminister Pistorius – hielt Bundeskanzler Scholz auf der „Wahlsiegkonferenz“ in Berlin vor den versammelten Genossen eine kämpferische Wahlkampffrede. Ums Kämpfen geht es auch in den Sharepics (Claim: „Wir kämpfen für Dich“), die vom Bundesvorstand unmittelbar nach der Kandidatenkür von Olaf Scholz auf den sozialen Medien verbreitet wurden. Sie lassen jedoch keine Rückschlüsse auf die Plakatkampagne und die Motive der Wesselmänner ab Januar zu, sagt Miersch.
Thematisch setzt die SPD ganz auf die Polarisierung zwischen Amtsinhaber Scholz und Oppositionsführer Merz, der in Umfragen führt. „Am Ende müssen die Leute sich entscheiden, ob sie lieber einen regierungserfahrenen und krisenerprobten Olaf Scholz als Kanzler wollen oder einen Friedrich Merz ohne Regierungserfahrung, der denkt, das oberste ein Prozent sind die wahren Leistungsträger der Gesellschaft“, sagt Miersch. Gleichzeitig stellt der SPD-Generalsekretär klar, dass es SPD-seitig kein dirty campaigning geben wird. Vielmehr werde man Merz an seinen Aussagen messen und im eigenen Wahlkampf auf die Programmatik der CDU hinweisen.
In der Anlage mutet der SPD-Wahlkampf nicht wie der einer Kanzlerpartei an, die selbstbewusst mit dem in ihrer Regierungszeit Erreichten wirbt. Stattdessen ähnelt der Wahlkampf eher dem einer Oppositionspartei, die gegen einen unpopulären Amtsinhaber antritt. Tatsächlich ist die Partei in diesem Wahlkampf längst der Underdog. Die vorherrschende Meinung ist: Merz hat das Kanzleramt schon so gut wie sicher – trotz ebenfalls schlechter persönlicher Werte. Ein Stoppt-Merz-Wahlkampf scheint unter diesen Umständen erfolgsversprechender als ein Sie-kennen-mich.
Auf Inhalte will die SPD im Wahlkampf trotzdem nicht verzichten. Generalsekretär Miersch benennt die Stärkung des Wirtschaftsstandortes und die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme als Haupt-Themen, die seine Partei setzen möchte. Auf das Thema Frieden angesprochen versichert er, dass die SPD dies nicht übermäßig stark strapazieren würde – auch nachdem die starke Fokussierung auf Frieden im Europawahlkampf mäßig erfolgreich verlief. Die Reden des Bundeskanzlers lassen freilich anderes vermuten.
Insbesondere beim Blick in die sozialen Medien sorgt sich Miersch um die Hygiene im Wahlkampf. „Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass gezielte Desinformationskampagnen Teil des Wahlkampfes sein werden – auch gesteuert aus Russland“, sagt Miersch. Als Beispiel nennt er die angeblich aus dem Willy-Brandt-Haus stammende „100-Frauen-gegen-Merz“-Kampagne, die auf Twitter begierig von CDU-nahen Accounts aufgegriffen und verbreitet wurde – und sich dann ziemlich schnell als Ente herausstellte. Um solchen Missverständnissen vorzubeugen, habe Miersch selbst eine Generalsekretärs-Runde mit den anderen Parteien angeregt, um auch während des Wahlkampfs Kommunikationskanäle offen zu halten.
Sorgen, dass aus dem anvisierten Zweikampf ums Kanzleramt ein Dreikampf wird und die Grünen um Spitzenkandidat Robert Habeck an der Kanzlerpartei vorbeiziehen, hat Miersch nicht. Er sieht die SPD als klare Nummer eins der linken Mitte, wie sie es (trotz zwischendurch gegenteiliger Umfragen) bisher immer gewesen ist.
Union: Im Schlafwagen ins Kanzleramt?
Die Union startet mit komfortablen Umfragewerten von über 30 Prozent in den vorgezogenen Bundestagswahlkampf und liegt damit deutlich vor SPD und Grünen. Doch der Vorsprung scheint die CDU-Führung nervös zu machen: Für Gespräche über die Wahlkampfstrategie steht Generalsekretär Carsten Linnemann nicht zur Verfügung. Auch schriftlich möchte die Partei sich nicht zum Wahlkampf äußern. Dann stellt sie Sprecherzitate in Aussicht, lässt die Frist aber verstreichen. Offenbar will die Partei keine Fehler machen bis zum 17. Dezember, wenn CDU und CSU gemeinsam ihr Wahlprogramm beschließen.
Das klappt bislang eher mäßig. Der Wahlwerbespot mit dem Slogan „Deutschland wieder nach vorne“ zeigt neben der Parteiprominenz auch idyllische Landschaftsaufnahmen – allerdings stammen diese teils aus Dänemark. Ein „Bürofehler“, erklärt die CDU, man habe die Herkunft der von einer internationalen Bildagentur lizenzierten Aufnahmen nicht ausreichend überprüft. Das wäre eigentlich keine große Sache – hätte die Partei nicht 2023 in einem Imagespot versehentlich den georgischen Präsidentenpalast statt des deutschen Reichstags gezeigt.
Frühere Fehler zu wiederholen, davor hat die CDU am meisten Sorge. Der desaströse Wahlkampf 2021 steckt der Partei noch in den Knochen. Das führt derzeit dazu, dass die Union im Wahlkampf bislang seltsam vage bleibt. Derzeit reagiert Merz vor allem auf Vorstöße der Konkurrenz. Klar will er regieren – aber warum eigentlich? Was hat er vor? Zu Themen wie Rente, Ukraine, Koalitionsoptionen äußert er sich wolkig. Versteckt sich Merz im Schlafwagen, wie CSU-Chef Markus Söder Armin Laschets Blässe im vergangenen Wahlkampf kritisierte?
Die CDU hat sich für den Bundestagswahlkampf 2025 für die Hamburger Agenturgruppe fischerAppelt entschieden, die sich im finalen Auswahlverfahren gegen den bisherigen Partner Serviceplan durchsetzen konnte. Neben den jüngst noch gewechselten Farben soll auch hier 2021 ausgetrieben werden: da hatte die CDU noch mit Serviceplan zusammenarbeitet und wurde in der Endphase zusätzlich von Thjnk beraten.
Die größte Aufgabe der Agentur und von Wahlkampfleiter Linnemann wird es sein, das Image des Spitzenkandidaten Friedrich Merz aufzupolieren. Das ist keine leichte Sache, Merz gilt als einigermaßen beratungsresistent – und in hitzigen Momenten gehen gern die Gäule mit ihm durch. Die Konkurrenz wird deshalb versuchen, ihn zu provozieren. Kürzlich gelang das: Da vergaß Olaf Scholz nicht, darauf hinzuweisen, dass Merz ihn in einer Bundestagsrede aufgefordert habe, Russland ein Ultimatum zu stellen. Darauf angesprochen, ob er das denn tun würde, kam Merz auf einer Pressekonferenz ins Schlingern.
Dazu kommt, dass die CDU der Ära Merz in ausgeprägtes Frauenproblem hat. Das gilt für die Frauen draußen im Land – Merz ist vor allem bei jungen weiblichen Wählern unbeliebt – aber ebenso für die erste Reihe der CDU. Neben Parteichef Friedrich Merz ist die von Generalsekretär Carsten Linnemann, Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei, Parteipromis wie Jens Spahn und den Ministerpräsidenten stark männlich geprägt.
Zwar setzte sich Merz 2022 für die Frauenquote ein, die ab 2025 Frauen auf der Hälfte der Parteiämter vorsieht. Doch die Quote zeitigt bisher nicht die erwünschten Erfolge. Bei “ntv” kündigte Merz an, sein Kabinett nicht paritätisch besetzen zu wollen. Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht sei eine „so krasse Fehlbesetzung gewesen“, das wolle man nicht wiederholen.
Da kommt der Rückzug von vier einflussreichen CDU-Politikerinnen ungelegen: Annette Widmann-Mauz, seit 27 Jahren im Bundestag und ehemalige Staatsministerin im Kanzleramt, kehrt der Bundespolitik den Rücken, ebenso wie Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas. Nadine Schön, seit 2014 stellvertretende Fraktionsvorsitzende und wichtige Stimme in der Digitalpolitik, wird nicht mehr kandidieren. Katja Leikert, Obfrau im Familienausschuss, beschreibt ihren Exit als „klassischen Frauenabgang“: Sie möchte sich mehr um ihre Familie kümmern.
Apropos (Partei-)Familie: Immerhin gibt es Ruhe an der Südfront. CSU-Chef Markus Söder hat entschieden, sich diesmal hinter Friedrich Merz zu stellen, statt wie bei Armin Laschets Kandidatur quer zu schießen. Merz wird abwarten müssen, ob ein Söder im Rücken eher etwas Gutes oder etwas Schlechtes ist.
Grüne: Wahlkampf am Küchentisch
Die Grünen ziehen nach 2021 zum zweiten Mal mit Ambitionen aufs Kanzleramt in den Wahlkampf. Das ist mutig bei Platz 4 in den Umfragen und einem knapp zweistelligen Wert. Trotz realistischer Lageeinschätzung lässt gibt es am gestalterischen Anspruch des Kanzlerkandidaten keine Zweifel. „Es war keine Floskel, als Robert Habeck auf dem Parteitag sagte: Wenn es uns ganz weit trägt, dann auch ins Kanzleramt. Er hat das Zeug ein guter Kanzler zu sein“, sagt Andreas Audretsch, der in diesem Wahlkampf die Kampagne der Grünen leitet.
Immerhin sind die Grünen als einziger Koalitionspartner weitgehend schadlos aus dem Chaos des Ampel-Endes hervorgegangen. Das liegt allerdings auch daran, dass sie sich nach den Rücktritten der beiden Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour bereits neu aufgestellt haben und ihre Personalfragen klären konnten. So gelang es, die Bundesdelegiertenkonferenz im November zum Krönungsparteitag für Robert Habeck zu inszenieren.
Inszenierung ist überhaupt das Stichwort, wenn es um Habecks Kanzlerkandidatur geht. Kurz vor seiner Kür kehrte er öffentlichkeitswirksam auf Twitter zurück und kündigte eine Reihe von Tischgesprächen an, um mit ganz normalen Menschen ins Gespräch zu kommen. Das war der Startschuss zur ersten Phase der Kampagne, sagt Audretsch. Auf diese Art werden zusätzlich zu Habeck auch die beiden Parteivorsitzenden, die Minister der Grünen und weitere Parteimitglieder in den Wahlkampf einsteigen.
Die Küchentischgespräche sollen bis Ende des Jahres laufen und leicht in den Wahlkampf einsteigen. „Ab Januar starten wir in eine neue Phase des Wahlkampfes“, sagt Audretsch. „Dann gehen die Plakate raus, auch in den sozialen Medien werden wir dann noch präsenter sein als schon jetzt“. Dass der Neuköllner in der neu formierten Parteispitze der Grünen die Wahlkampfleitung übernimmt, will er nicht als Misstrauensvotum gegenüber der neuen Politischen Bundesgeschäftsführerin Pegah Edalatian nicht verstanden wissen. Edalatian kümmere sich um das Programm, er um die Kampagne. Klassisch grün werden die Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt. Mit Jung von Matt wird die Kampagne in diesem Wahlkampf von einer klassischen Werbeagentur betreut.
Ebenso breit wie die personelle ist auch die thematische Aufstellung der Grünen. Audretsch nennt im Gespräch mit p&k vier Haupt-Themen für den Wahlkampf: ein bezahlbares Leben in Form von niedrigen Energiepreisen und Mieten, Investitionen in Infrastruktur und Bildung, konsequenter Klimaschutz und die Sicherung von Frieden und Freiheit – letzteres ausdrücklich anders interpretiert als von anderen Fraktionen im Deutschen Bundestag.
Die Tatsache, dass nach einem vorübergehenden Fridays-For-Future-Hype das Jahrhundertthema Klimaschutz im aktuellen Wahlkampf wieder nur eine untergeordnete Rolle zu spielen droht, sieht Audretsch nicht unbedingt als Nachteil an. Vielmehr gelte es gerade jetzt, die Klimapolitik als Alleinstellungsmerkmal der Grünen herauszustellen: „In der SPD rehabilitieren sie grade den Gas-Lobbyisten und Putin-Freund Gerhard Schröder, Christian Lindner will das fossile Zeitalter verlängern und die Union will zurück zur extrem teuren Atomkraft“. Nur eine Stimme für die Grünen sei eine Stimme für den Klimaschutz – so die Logik.
Bleibt die Frage, mit welchen Koalitionspartnern die Grünen ihre Inhalte umsetzen wollen. Auf die Beteuerungen von CSU-Chef Markus Söder, er könne sich keine Koalition mit den Grünen vorstellen, gibt Audretsch nicht besonders viel und hält sie in der globalen politischen Großwetterlage auch für verantwortungslos. „Angesichts der Bedrohung durch autoritäre Regime von außen und antidemokratische Bewegungen im Inneren müssen demokratische Parteien natürlich miteinander sprechen und auch untereinander koalitionsfähig sein“, sagt Audretsch. „Das gilt natürlich auch für die Union.“
FDP: Im Startloch
Die FDP startet mit dramatisch schlechten Umfragewerten von nur vier bis fünf Prozent in den vorgezogenen Bundestagswahlkampf und kämpft damit um den Wiedereinzug in den Bundestag. Dennoch gibt sich die Parteiführung betont optimistisch: Parteichef Christian Lindner und sein Vize Wolfgang Kubicki halten sogar ein zweistelliges Ergebnis für möglich.
Umso ärgerlicher für die FDP, dass sie in ein Loch fällt, statt aus den Startlöchern zu kommen. Eine interne Präsentation, die den Tag der Vertrauensfrage als „D-Day“ bezeichnete, sorgte für einen Eklat. Schwerer noch als das Papier wog, dass die Parteispitze auch nach den ersten Enthüllungen Medien und Öffentlichkeit über dessen Existenz belogen und schließlich auch noch eine anonyme „Mitarbeiterebene“ dafür verantwortlich machten. Der neue Generalsekretär, Ex-Justizminister Marco Buschmann, muss mit der Stammagentur Heimat schleunigst die Wahlkampagne aufstellen. Vorher hat er mit Parteichef Lindner die unangenehme Aufgabe, nicht nur zu erklären, wer die Schuld am Bruch der Ampelkoalition trägt.
Die Liberalen müssen zunächst ihre schwer beschädigte Glaubwürdigkeit verteidigen – wenn es blöd läuft, bis zum Wahltag. Um aus der Defensive zu kommen, müsste die FDP fast darauf hoffen, dass die Konkurrenz sie nicht mehr ernst genug nimmt, um sich mit ihr auseinanderzusetzen. In den Medien ist das Echo verheerend. Selbst Springer-Chef Mathias Döpfner ist jüngst ein stückweit abgerückt.
Gerne möchten die Liberalen nämlich über ihre „Wirtschaftswende“ reden: Lindner will das „Erwirtschaften wieder wichtiger nehmen als das Verteilen“, plädiert für die Abschaffung des Solidaritätszuschlags und lehnt Steuererhöhungen kategorisch ab. Beim Klimaschutz setzt die Partei auf Technologie statt Verbote. Die Schuldenbremse verteidigt Lindner vehement – auch wenn das potenzielle Koalitionspartner wie die CDU unter Friedrich Merz inzwischen anders sehen.
Die größte Hoffnung der Liberalen ruht dennoch auf einer schwarz-gelben Koalition. Doch selbst wenn die FDP den Einzug in den Bundestag schafft, reicht es nach aktuellen Umfragen nicht für eine Mehrheit mit der Union. Eine erneute Zusammenarbeit mit SPD oder Grünen erscheint nach dem Zerwürfnis in der Ampel ausgeschlossen.
In der Bedrängnis scheint Parteichef Lindner von dem ehrgeizigen zweistelligen Prozentziel abzurücken. Das deutet seine Kommunikation an. Kürzlich sagte er vor Startup-Unternehmern, er wünsche sich mehr Disruption à la Elon Musk und Javier Milei. Das zielt direkt auf eine hardcoreliberale Zielgruppe, die der FDP über die Fünf-Prozent-Hürde helfen – und den kalkulierten Ampel-Knall als „Risikobereitschaft“ anerkennen könnte. Die forderte Lindner vor den Jungunternehmern auch.
AfD/BSW: Liebesgrüße aus Moskau
Die AfD freut sich derzeit über Umfragewerte knapp unter 20 Prozent. Für den anstehenden Bundestagswahlkampf möchte sie ihren Fokus weiten. Die Partei will sich von der reinen Migrations-Opposition lösen und gezielt ehemalige SPD-Wähler im Arbeitermilieu ansprechen. Dabei setzt sie auf konservative Gesellschaftspolitik, harte Migrationskritik und die Verteidigung der russischen Diktatur.
Beim Einsatz von KI im Wahlkampf gibt sich die Partei betont zurückhaltend. „KI wird voraussichtlich nur in sehr wenigen Bereichen eingesetzt, vorrangig bei der Erstellung weniger Grafiken sowie eventuell auch bei der Produktion ausgewählter Videoclips“, erklärt ein Parteisprecher. Allerdings: Die AfD hat die umstrittene Medienagentur Tannwald engagiert, die bereits durch ein rassistisches KI-Video Aufsehen erregte.
Die Partei versucht, sich als seriöse Alternative zu präsentieren. „Wir werden fokussiert aber gleichzeitig sachlich über unsere programmatischen Inhalte und Forderungen informieren“, heißt es. Intern macht man sich laut „Table Media“ jedoch Sorgen über „Knallköpfe“ in den eigenen Reihen, die diese Strategie gefährden könnten. Das 85-seitige Wahlprogramm soll im Januar in Riesa verabschiedet werden.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) startet als Newcomer in den Bundestagswahlkampf und muss sich erst noch organisatorisch aufstellen. „Im Gegensatz zu den gewachsenen Organisationsstäben der etablierten Parteien haben wir noch ein recht überschaubares Team, das quasi locker in einen Fahrstuhl passt“, beschreibt BSW-Schatzmeister Ralph Suikat die Situation.
Die Partei sieht sich selbst als Opfer von Desinformation. Als Vizekanzler Robert Habeck der Partei russische Finanzierung vorwarf, ging das BSW juristisch dagegen vor und erwirkte eine Unterlassungserklärung.
Allerdings staunen Experten über den Erfolg der Partei auf Social Media. Eine Analyse des Forschungsinstituts Trollrensics zeigt, dass das BSW (wie die AfD) von verdeckten Social-Media-Kampagnen profitiert. Die außergewöhnlich hohe Reichweite der Partei in sozialen Medien lässt sich laut Fachleuten nicht durch organisches Wachstum erklären. Die Analysten vermuten eine aus Russland gesteuerte Gruppierung hinter den Aktivitäten, die mindestens 5.000 Accounts umfasst. Die Partei schielt mit russlandfreundlichen Narrativen, linker Wirtschaftspolitik und strenger Migrationspolitik besonders auf Wähler aus dem sozialdemokratischen Spektrum.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 149 – Thema: Kurzwahlkampf. Das Heft können Sie hier bestellen.