p&k: Zehn Jahre nach „Herr Wichmann von der CDU“ haben Sie einen neuen Film über den Politiker aus Brandenburg gedreht. Wie kamen Sie auf die Idee?
Dresen: Ich habe in den letzten Jahren nie wirklich den Kontakt zu Henryk Wichmann verloren. 2009 las ich dann plötzlich in der Zeitung, dass er als Nachrücker in den Brandenburger Landtag einzieht. Das fand ich eine interessante Ausgangssituation: Dass er nicht mehr, wie im ersten Teil, um ein Mandat kämpft, sondern eins hat.
Wie hat Herr Wichmann auf ihr Vorhaben reagiert?
Er war dazu auf Anhieb bereit, als ich ihm gesagt habe, dass ich gerne eine Langzeitdokumentation über ein Jahr machen würde. Er wusste aus den Erfahrungen des ersten Films, dass ich ihn nicht in die Pfanne hauen werde, auch wenn ich jetzt nicht gerade der klassische CDU-Wähler bin.
Inwiefern hat sich Henryk Wichmann im Vergleich zum ersten Film verändert?
Mich hat vor allem gefreut, dass er gelernt hat, sehr gut zuzuhören. Das ist schließlich für einen Politiker eine ganz wichtige Eigenschaft. Es gelingt ihm auch gut, zwischen unterschiedlichen Interessenlagen zu vermitteln. Henryk Wichmann ist zudem in seiner Heimat – der Uckermark – sehr verwurzelt. Das prägt auch die Art, wie er an Politik rangeht: Er sieht sich als „wandelndes Bürgerbüro“.
Sie haben nach den Dreharbeiten gesagt, sie seien verblüfft, wie mühsam politische Arbeit in Wirklichkeit ist. Hatten Sie manchmal Mitleid mit ihrem Protagonisten?
Politiker genießen in weiten Teilen der Gesellschaft kein besonders hohes Ansehen. Ich finde das sehr ungerecht. Ich bin persönlich der Meinung, dass 80 bis 90 Prozent der Politiker in diesem Land kleine Wichmänner sind, die sich sehr engagieren. Für mich war es manchmal schon ein mittlerer Wahnsinn, zu sehen, mit was für einer Vielzahl von Problemen Henryk Wichmann konfrontiert ist. Das fing bei einer tropfenden Heizung an…
Ist ihr Respekt vor Politikern gewachsen oder hat sich eher Ernüchterung breit gemacht?
Sowohl als auch. Ernüchterung ob der Kleinteiligkeit, die in einer Demokratie offensichtlich das Alltagsgeschäft ist. Positiv fiel mir auf, dass außerhalb des Plenums, wenn man in die Cafeteria geht, plötzlich ein ganz normaler kollegialer Ton herrscht. Es gehört zum Alltag, dass ein Abgeordneter der Opposition, wie Henryk Wichmann, mit dem Verkehrsminister der SPD einen Kaffee trinkt und über die Probleme aus seinem Wahlkreis spricht. Diese Arbeitsebene ist in der Öffentlichkeit leider viel zu wenig bekannt.
Haben Sie vielleicht auch selbst Lust bekommen, sich politisch zu engagieren?
(Lacht). Nein, auf gar keinen Fall. Ich könnte das nicht. Ich würde angesichts der Vielzahl der Probleme und des Egoismus mancher Bürger verzweifeln. Ich bewundere die Leute, die sich politisch engagieren, und dabei frei von Zynismus bleiben.
Durch ihren Film kann man auch den Eindruck gewinnen: Die Bürger nörgeln nur, wollen sich aber selbst nicht engagieren. Wie beurteilen Sie das?
Wenn die Bürger auf die Politiker zugehen, geht es meistens um die profanen Dinge des eigenen Überlebens. Beispielsweise in der Großstadt zu leben und zu sagen: Ich will den Flughafen gleich nebenan haben, aber gleichzeitig darf nirgendwo über die Häuser dieser Stadt ein Flugzeug fliegen. Das ist natürlich paradox. Ein Politiker sitzt dabei oft zwischen allen Stühlen und muss vermitteln. Mir erscheint es manchmal so, dass Politik als großer Dienstleistungsbetrieb gesehen wird. Hier muss ein Umdenken in der Bevölkerung einsetzen: Jeder Bürger sollte auch bereit sein, selbst etwas einzubringen und nicht immer nur zu fordern.
Angenommen, Sie hätten die freie Wahl: Welchen Politiker würden Sie gerne mal längere Zeit begleiten?
Ich bin ja nicht der Spezialist für Politiker-porträts. Aber mich hätte es zum Beispiel gereizt, Joachim Gauck in seinen ersten Monaten als Bundespräsident zu begleiten. Um zu sehen, wie ein „normaler Bürger“ in dieses Amt hineinwächst und sich der Alltag dieser Person verändert.
Gibt es irgendwann einen weiteren Film über Herrn Wichmann?
Das halte ich für möglich. Es hängt natürlich ganz davon ab, was das Leben so mit ihm und mir vorhat. Vielleicht sitzt er ja eines Tages im Kanzleramt…
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Minilobbyisten – Kleinstverbände im Porträt. Das Heft können Sie hier bestellen.