Im Angesicht des vorläufigen amtlichen Wahlergebnisses und der Abwahl der FDP bekommt ihr Kampagnenmotto „Alles lässt sich ändern.“ eine tragische Symbolik für die Liberalen. Nach Wahlniederlagen in etlichen Bundesländern (Zweitstimmen 2024 in Brandenburg 0,8 Prozent, in Sachsen 0,9 Prozent und in Thüringen 1,1 Prozent) muss nun auch der 21. Deutsche Bundestag ohne die ehemals so stolzen Freien Demokraten auskommen. Die Wählerinnen und Wähler haben sich den Claim zu eigen gemacht und die FDP aus dem Spiel genommen. Alles geändert. Ein herber Verlust, denn wie wichtig sind liberales Denken und Handeln, liberale Werte wie Pluralismus, Toleranz, der Glaube an individuelle Freiheit für das Parlament als Abbild unserer Gesellschaft. Und wie wenig hatte der Markenkern der Lindner-FDP zuletzt etwas damit zu tun.
Dabei wäre seit dem Ende der Ampel, der Entlassung von Christian Lindner und – bis auf Volker Wissing – dem Rücktritt aller anderen FDP-Minister im Kabinett Scholz der Weg frei gewesen für eine klare, unabhängige und entschlossene Positionierung im Wahlkampf. Und zwar nicht entlang der Frage, wogegen man steht (Ampel, Linke, Mainstream), sondern warum die Liberalen eine Schlüsselrolle für die nächste Regierung hätten spielen können. Stattdessen erlebten wir eine Mitleidspose, Schuldzuweisungen und eine wochenlange Debatte über den eigentlichen Schuldigen des Ampelbruchs. Eine öffentlich geführte offene Feldschlacht. Jedoch anders als von der FDP geplant. In der Rückschau zeigt die Bundestagswahlkampagne 2025 der FDP eindrucksvoll, dass eine strategisch durchdachte Kommunikation allein nicht ausreicht. Trotz professioneller Gestaltung (mit Abstrichen), klarem Messaging (manchmal zu texterisch selbstverliebt) und hoher Investitionen in Social Media scheiterte die Partei an der Herausforderung, ihr Profil scharf genug von einer wirtschaftsnahen Merz-Union abzugrenzen und Vertrauen in ihre Kernbotschaften zu wecken – ein Lehrstück darüber, wie moderne Wahlkampagnen scheitern können.
Einer für alle. Alle gegen einen?
Christian Lindner hatte die FDP zu Erfolgen geführt. Und nun in den Niedergang. Alles an der Kampagne war auf ihn zugeschnitten. Lindner als entschlossener Erneuerer, als Macher, der mit Reformversprechen vor allem für wirtschaftliche Freiheit und Wachstum werben wollte. Der sich als Anti-Ampel-Kämpfer sah, seine persönlichen Befindlichkeiten nach der Entlassung als Vizekanzler zwar schnell unter Kontrolle brachte, aber im Umgang mit dem sogenannten „D-Day-Papier“ nicht mehr vor die Welle von Häme, Spott und Entrüstung kam, die über ihn und die Partei rollte und zum Rücktritt des Generalsekretärs Djir-Sarai führte. Dabei lief Christian Lindner immer zu voller Stärke auf, wenn ihm der Wind ins Gesicht blies. Insofern hatte ihm die „Opferrolle“ auch nie gestanden. Jedoch war durch die „D-Day-Affäre“ seine Glaubwürdigkeit erschüttert und nicht nur seine ehemaligen Koalitionspartner fragten sich, wie weit man ihm noch trauen kann in künftigen Koalitionen.
Es geht nur mit der Wirtschaft
Jahrzehnte war die Rolle der FDP – auch als Teil von Bundesregierungen – klar. Sie war oft das Zünglein an der Waage. Die Garantin für „Checks and Balances“ in der Politik. Und zwar nicht als Verhinderin, sondern als gestaltende Kraft mit prägenden Persönlichkeiten. Die Freiheit und der Erfolgsbeitrag wirtschaftlichen Handelns standen dabei immer im Fokus. Darauf konnte man sich verlassen. Die FDP war hier immer anspielbar. Und insofern war die angestrebte „Wirtschaftswende“ als Kernnarrativ konsequent, aber eben nicht konsequent durchdekliniert. Kein Interview mit Lindner kam ohne diese Botschaft aus. Die Parteikampagne hingegen verlor sich etwas in einer Themenvielzahl, bei der jedes sicher eine Berechtigung hatte, aber so eben auch nicht durchdrang. Umso mehr muss man sich fragen, wieso Lindners Narrativ der Wirtschaftswende nicht viel deutlicher in den Mittelpunkt der Kampagne gesetzt wurde.
Die gesuchte Nähe zur Union wurde zum entscheidenden Fehler
Schon in den Wochen vor dem Bruch der Ampel war die gesuchte Nähe von Lindner und der FDP zu Merz und der CDU augenfällig. Man gab sich koalitionsfähig und siegesgewiss. Nach dem Bruch der Ampel-Koalition meinte Lindner im November beim Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung, das Rennen um die Kanzlerschaft sei „in Wahrheit doch gelaufen“. Und rechnete mit einem „zweistelligen Ergebnis“ für die Freien Demokraten. Dabei war von Anfang an klar, dass die Union keine einzige Stimme zu verschenken hatte. Je mehr die FDP in den Umfragen sank, desto weniger konnte die Prophezeiung einer schwarz-gelben Koalition als Garantin gegen das „Weiter so“ der Politik von SPD und Grünen verfangen. Die endgültige Abbruchkante war erreicht, als Merz zwei Wochen vor der Wahl der Funke Mediengruppe ein Interview gab und vor allem mit Blick auf die Reform des Wahlrechts und die gestiegene Bedeutung der Zweitstimme für die Union sagte, „Vier Prozent sind vier Prozent zu viel für die FDP und vier Prozent zu wenig für die Union.“ Alles lässt sich ändern. In diesem Fall gegen die FDP. Sie verlor am 23. Februar 1,35 Millionen Wähler an die Union.
Am Ende fehlten die Nerven und die Geschlossenheit
Die sinkenden Umfragewerte der FDP und das Dümpeln unterhalb der Fünf Prozent-Hürde führten in den finalen Wochen des Wahlkampfs dazu, dass die Fliehkräfte innerhalb der Partei zunahmen. Dies stand im krassen Gegensatz zu der proklamierten Führungsstärke von Lindner, der zudem durch die Installation von seinem Vertrauten Marco Buschmann als Generalsekretär dafür sorgen wollte, dass nun nichts mehr schiefgeht. Auch der außerordentliche Bundesparteitag zwei Wochen vor der Wahl, der Ausschluss einer Koalition mit den Grünen und eine kämpferische Rede von Wolfgang Kubicki erzeugten keine Zugkraft mehr. Wenige Tage zuvor, bei der Abstimmung zur Migration im Bundestag gemeinsam mit CDU/CSU und der AfD, versagten mehrere Abgeordnete des eher sozial-liberalen Flügels Christian Lindner die Gefolgschaft. In der Partei rumorte es heftig. Das Konzept der FDP als Ein-Mann-Partei war mit deutlichen Fragezeichen versehen. Diese Unruhe war Gift für die Kampagne, die auf Geschlossenheit, Zuversicht und das Versprechen der Wirtschaftswende setzte.
Handwerk: HeimatTBWA als Haus-und Hofagentur der FDP unter Lindner
Dieser Wahlkampf sollte absehbar zu harten Auseinandersetzungen führen. Und er unterlag als verkürzter Winter-Wahlkampf herausfordernden Rahmenbedingungen. Wenn es dunkel und kalt draußen ist, folgen Dialog und Mobilisierung veränderten Regeln. Mehr oder weniger gefüllte Marktplätze liefern schon keine ansprechenden Bilder. Wenn es dann – wie bei vielen Auftritten von Christian Lindner – noch aktive, laute Störer-Gruppen gibt, man nur noch gegeneinander anbrüllt, vergrault das auch die Sympathisierenden und Interessierten. Alles lässt sich ändern. Dieses Motto hätten vielleicht auch die Liberalen beherzigen sollen in der Entscheidung gegen ein „Weiter so“ mit Bezug auf die Kampagne. Und wieso in aller Welt ein kalter, dunkler Winter-Wahlkampf mit kalten, dunklen Schwarz-Weiß Fotos des Protagonisten bestritten wird, bleibt ein Rätsel. In den sozialen Medien gehörte die FDP zu den Top-Werbetreibenden während des Wahlkampfs. Auf TikTok lag der Kandidat Christian Lindner zuletzt auf Platz 4 hinter Alice Weidel, Heidi Reichinnek und Olaf Scholz, was seine mehr als dreieinhalb Millionen Follower betrifft. Das Wahlkampf-Video der Schaumtorten-Attacke auf ihn wurde auf seinem Kanal fast 37 Millionen Mal aufgerufen. Facebook, Instagram und X wurden zentral genutzt für die diversifizierte Ansprache von Wählergruppen. In vielen „Lagen“ waren dies die Plattformen für schnelle Statements von Lindner. Das alles half nicht.
Was die Zahlen sagen
Vom Ausgang der Wahl betrachtet verlor die FDP im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 massiv bei den Jüngeren (18 bis 34 Jahre). Enttäuschte konnte sie diesmal weniger mobilisieren als 2021. Innerhalb der Beschäftigtengruppen verbuchte die FDP erhebliche Verluste bei ihrer Stammklientel, den Selbständigen, Angestellten und Beamten. Auch der Kandidat Lindner konnte weniger überzeugen als vier Jahre zuvor. Nur in Baden-Württemberg und Hessen kamen die Liberalen knapp über die Fünf-Prozent-Hürde. In Thüringen fuhren sie mit 2,8 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis ein. Der dortige Landeschef Kemmerich schloss nach der Wahl die Gründung einer neuen Partei nicht aus. Wenige Tage nach der Wahl zum 21. Deutschen Bundestag spricht gerade niemand über die FDP. Unklar ist, wer die Nachfolge von Christian Lindner antritt. Das Schicksal der Liberalen ist offen. Das lässt sich ändern. Hoffentlich! Ich bin der Meinung: Deutschland braucht eine liberale Stimme wie die FDP im Parlament. Zumindest, wenn sie sich ändert, wieder zu sich selbst findet und sich nicht in Liberalismus-Folklore verliert. Oder wie der Springer-Chef es formulieren würde: Please Stärke die FDP.