Kampagnen-Watch – Teil 6: SPD

Analyse

Die Entfremdung

Der Ausgang der Bundestagswahl 2025 markiert einen gravierenden Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik. Große Teile der bürgerlichen Mitte, einst tragende Säule des deutschen Wirtschaftswunders und des Aufstiegs Deutschlands zu einer der führenden Wirtschaftsmächte der Welt, später, im Wahlkampf 1998 dann wiederentdeckt von Bodo Hombach für die SPD, sind nach einem kurzen Winterwahlkampf an die Ränder des demokratischen Parteienspektrums gewandert – manche auch darüber hinaus. Das demokratische System wird von immer mehr Menschen in Frage gestellt. Gelingt es nicht, auf die zugrunde liegenden Ängste, Enttäuschungen und Illusionen konstruktiv zu antworten, wird es weiter erodieren.

Auch das ist eine, man kann es schon fast nicht mehr hören, Zeitenwende. Ausgerechnet die SPD wirkt desorientiert, ja fast gelähmt; seit längerer Zeit schon hat sie sich immer mehr von ihrer Kernklientel entfremdet: Der bildungshungrigen, aufstiegwilligen Arbeitnehmerschaft. Mit Blick auf die Regierungsbildung sind die Sozialdemokraten in einem Dilemma: Nach dem Bruch der Ampel nun als kleiner Partner in einer Regierungskoalition unter Führung eines Bundeskanzlers Friedrich Merz – das ist kaum ein Szenario, in dem die SPD eine neues (oder altes, siehe die einstige Kernklientel!) Profil unter Merz entwickeln und so zu neuer (alter!) Größe finden kann.

Wenn man den Wahlkampf im Rückblick analysiert, hat die SPD beim Thema Wirtschaft versucht, mit klaren Botschaften Themen zu setzen. Doch angesichts der katastrophalen Wirtschaftsbilanz einer Ampel-Regierung unter Führung eines SPD-Bundeskanzlers, einer Lage, die nach zwei Rezessions-Jahren in Folge möglicherweise das dritte Jahr kommen sieht, wirken Botschaften wie „Mit Sicherheit mehr Wachstum“ und „Mit Sicherheit mehr Netto“ grotesk, oder schlimmer noch: wie Ironie oder Hohn. Den Wählern war die Glaubwürdigkeit dieser Botschaften nicht mehr vermittelbar.

Das belastete auch den Haustür-Wahlkampf der SPD: Dort gab es die direkte Konfrontation der Wahlkämpfer mit den alltäglichen Herausforderungen der Bürger (z.B. steigende Mieten, Energiepreise, Lebensmittelpreise): In den drei Jahren Ampel-Koalition, herausgefordert von sich überlappender Krisen, hatten diese keine befriedigenden Antworten gefunden. Wie sollte man die Wählerinnen und Wähler davon überzeugen, dass der Kanzler in einer neuen Regierung all diese Probleme erfolgreich anpacken würde?

Auch beim Thema Migration konnte die SPD nicht punkten. Ein Thema, das zumindest gefühlt und auch angeheizt durch die Stimmung der letzten Wochen stärker in die Wahrnehmung gekommen ist, aber zuvor eben über Jahre vernachlässigt worden war. Demos gegen Rechts unter Anteilnahme von Politikern – das ist quasi das Gegenteil von gutem Regierungshandeln. Bei der eigentlichen Wahlentscheidung dann profitierten von der Positionierung gegen Rechts vor allem die Linke, das BSW und die AfD.

Die Ampel selbst wird vielleicht im Nachhinein milder bewertet werden als heute, aber das Ergebnis dieses Wahlkampfs ist sicher der Tiefpunkt für eine Partei, die 1998 das Campaigning in Deutschland neu definiert hat. Das Problem der aktuellen Kampagne war das Produkt. Nach drei Jahren Dauerstreit und nach dem Bruch der Ampel und ziemlich durchgehend schlechter Kommunikation wirkte der Kandidat wie ein Mühlstein an der Kampagne der SPD. Wenig Mut zeigte die Parteiführung angesichts einer politisch dramatischen Ausgangslage: Die steinalte Gremienlogik hatte sich zwar gegen den gesunden Menschenverstand durchsetzen können, nicht aber an der Wahlurne. Personifiziert im Spitzenkandidaten mit „Amtsbonus“ Olaf Scholz, der neben Christian Lindner eben auch das Gesicht der gescheiterten Ampel war. Man kann nicht mal sagen, dass er in den Wahlduellen nicht gut performt hätte. Sein Problem war am Ende seine Glaubwürdigkeit angesichts vielfach verschleppter Probleme. In seiner Gesamtbilanz wurde er nur als Kopf einer gescheiterten Koalition betrachtet. Er war nicht der richtige Kandidat zur richtigen Zeit.

Ich hätte mir mehr Konkretheit, mehr Mut für die wirklichen Alltagsthemen gewünscht: Wie wird die Pflege gestärkt? Wie bauen wir Kitas aus? Wie helfen wir der Industrie? Und natürlich: Wie können wir die Integration der geflüchteten Menschen verbessern?

Stattdessen haben wir eine selbstbezogene SPD gesehen, der die Verbindung zu den Wählerinnen und Wählern verloren gegangen ist. Geholfen hätte es, wenn man die Sorgen und Nöte und die Probleme der Menschen wirklich in den Mittelpunkt gestellt hätte. Vielleicht hilft das gute alte Pathos als Orientierung: den Souverän ins Zentrum zu stellen.

 

Michael Wedell ist Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter der Beratungsgesellschaft The Partners.