Kampagnen-Watch – Teil 5: Die Linke

Analyse

Zwischen Krise und Comeback: Der Wahlkampf der Linken

Kaum eine Partei ging mit einer derart schwierigen Ausgangslage in die Bundestagswahl 2025 wie Die Linke. Nach jahrelangen internen Streitigkeiten, einem beständigen Mitgliederschwund und der Abspaltung des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) wurde die Partei politisch und organisatorisch auf eine harte Probe gestellt. Während viele politische Beobachter sie bereits abgeschrieben hatten, schaffte es Die Linke dennoch, einen strategisch bemerkenswerten Wahlkampf zu führen und sich mit einem überraschend starken Ergebnis im Bundestag zu behaupten. Wie kam es dazu? Welche Faktoren haben diesen Umschwung begünstigt? Und welche Rolle spielte dabei die „Aktion Silberlocke“? Ein Blick auf eine der spannendsten Kampagnen dieser Wahl.

Ein zerrissenes Erbe: Die Ausgangslage

Die Linke war über Jahre hinweg durch eine tiefgreifende innerparteiliche Spaltung gezeichnet. Während ein reformorientierter Flügel um Politiker wie Dietmar Bartsch, Gregor Gysi und Bodo Ramelow auf Regierungsfähigkeit und Pragmatismus setzte, drängte eine radikalere Strömung innerhalb der Partei auf eine konfrontativere Oppositionspolitik. Besonders kontrovers war die Rolle von Sahra Wagenknecht, die sich durch ihre migrationskritischen Positionen und eine markante Abgrenzung zur „Lifestyle-Linken“ immer weiter von der Parteiführung entfernte.

Mit der Gründung des BSW Ende 2023 eskalierte die Situation. Wichtige Mitglieder verließen die Linke, was nicht nur zu einem Vertrauensverlust bei den Wählern, sondern auch zu strukturellen Problemen innerhalb der Partei führte. Monatelang dümpelte sie in den Umfragen bei drei bis vier Prozent herum, die Fünf-Prozent-Hürde rückte in scheinbar unerreichbare Ferne. Gleichzeitig musste sich die Partei einer existenziellen Frage stellen: Was ist ihre Rolle im deutschen Parteiensystem jenseits von Protestpolitik?

Die „Aktion Silberlocke“: Eine Überlebensstrategie

Die dramatische Lage führte zu einem ungewöhnlichen Schachzug: der „Aktion Silberlocke“. In einer bewusst geplanten Strategie setzte Die Linke auf die prominenten, erfahrenen Politiker Gregor Gysi (76), Bodo Ramelow (68) und Dietmar Bartsch (66), die in ihren Wahlkreisen als Direktkandidaten antreten sollten. Ziel war es, durch mindestens drei Direktmandate den Einzug in den Bundestag zu sichern, selbst wenn die Partei bundesweit unter fünf Prozent bleiben sollte. Diese Taktik hatte sich bereits 2021 bewährt, als Die Linke mit drei Direktmandaten den Fraktionsstatus behielt.

Doch im Wahlkampfverlauf wurde deutlich: Die Partei musste nicht nur auf alte Gesichter setzen, sondern auch neue Stimmen gewinnen. Hier kam eine weitere Schlüsselfigur ins Spiel: Heidi Reichinnek.

Heidi Reichinnek: Die richtige Frau zur richtigen Zeit

Während Gysi, Ramelow und Bartsch als politische Schwergewichte agierten und Jan van Aken als Co-Parteivorsitzender Seriosität ausstrahlte, war es vor allem Heidi Reichinnek, die für frischen Wind sorgte. Die 35-jährige Bundestagsabgeordnete und ehemalige Vorsitzende der Linksjugend trat als Spitzenkandidatin an und verkörperte einen modernen, nahbaren Politikstil. Mit einer klugen Social-Media-Strategie, insbesondere auf TikTok und Instagram, erreichte sie gezielt junge Wählerinnen und Wähler. Sie sprach über Mietenpolitik, soziale Gerechtigkeit und Feminismus – Themen, die vor allem in urbanen Milieus auf Resonanz stießen.

Ein entscheidender Moment in der Kampagne war ihre Reaktion auf die Zusammenarbeit von CDU und AfD bei der Bundestagsabstimmung Ende Januar 2025. Während andere Parteien noch zögerten, positionierte sich Reichinnek schnell und unmissverständlich gegen jegliche Kooperation mit der AfD. In einer kurzen, emotionalen Rede, die sich viral verbreitete, warf sie der CDU vor, „mit Rechtsextremen paktiert“ zu haben. Sie rief: „Wehrt Euch, leistet Widerstand, gegen den Faschismus in diesem Land! Auf die Barrikaden!“ Dieser Moment wurde von der Linken strategisch genutzt und half, die Wahrnehmung der Partei als eine der letzten klar antifaschistischen Kräfte zu schärfen.

Ein Wahlkampf der Wendepunkte

Neben der personellen Neuaufstellung profitierte Die Linke auch von äußeren Faktoren. Die bereits erwähnte Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD, die zu massiven Protesten führte, sorgte für eine neue Polarisierung im Parteiensystem. Viele Wählerinnen und Wähler, die vorher unschlüssig waren oder aus Frustration über die Linke zum BSW tendierten, kehrten zur Partei zurück.

Ein weiterer Punkt war die Betonung klassischer sozialer Themen. Während sich andere Parteien zunehmend auf Sicherheits- und Migrationspolitik konzentrierten, setzte Die Linke verstärkt auf Forderungen nach einer stärkeren Regulierung der Immobilienmärkte, höheren Mindestlöhnen und einer Reform der Rentenpolitik. Besonders in ostdeutschen Bundesländern, in denen soziale Unsicherheit ein großes Thema ist, konnte die Partei so punkten. In Berlin wurde zudem in einigen Wahlkreisen ein regelrechter Haustür-Wahlkampf betrieben.

Das Wahlergebnis: Ein überraschendes Comeback

Am Wahlabend kam dann die Überraschung: Mit 8,8 Prozent der Stimmen und sechs Direktmandaten – darunter erstmals auch eines im ehemaligen West-Berlin – gelang Die Linke ein unerwartet starkes Ergebnis. Dies sicherte ihr nicht nur eine solide Fraktionsstärke im Bundestag, sondern widerlegte auch die zahlreichen Prognosen über ihr nahendes Ende.

Das Wahlergebnis ist ein Lehrstück darüber, wie eine Partei durch kluge strategische Anpassungen und eine geschickte Kampagnenführung eine existenzielle Krise überwinden kann. Die Mischung aus bewährten Kräften wie Gysi, neuen Stimmen wie Reichinnek und einer klaren politischen Positionierung zahlte sich am Ende aus.

Fazit: Die Zukunft der Linken

Trotz des Wahlerfolgs bleibt die Zukunft der Partei unsicher. Der Wettbewerb mit dem BSW ist noch lange nicht entschieden, und auch die langfristige strategische Ausrichtung bleibt eine Herausforderung. Doch eines hat die Wahl 2025 gezeigt: Die Linke ist noch lange nicht am Ende. Mit einer neuen Generation von Führungspersönlichkeiten und einem klaren sozialpolitischen Profil könnte sie in den kommenden Jahren wieder zu einer relevanten politischen Kraft heranwachsen.

Ob das gelingt, hängt nun davon ab, ob es der Partei gelingt, ihre internen Differenzen endgültig zu überwinden und sich als unverzichtbare Stimme für soziale Gerechtigkeit zu etablieren. Die Bundestagswahl 2025 war dafür ein erster wichtiger Schritt.

 

David Issmer ist Rechtsanwalt und leitet als Managing Director das Berliner Büro der US-Beratung Teneo. Er vertritt Unternehmensinteressen gegenüber der Politik und berät bei Unternehmenstransaktionen.