Ich bin gebeten worden, eine Einschätzung des AfD Wahlkampfes zu geben. „Ich“ – das ist ein fast 62jähriger alter weißer sozialdemokratischer Manager mit Kommunikationshintergrund. Lebend in Kiel und Berlin Mitte, viel auf Bahnhöfen und Flughäfen unterwegs. Wohl LinkedIn, aber weder Instagram noch TikTok oder Telegram nutzend. Aber mit einer klaren (aus vielen Beschreibungen Dritter sich nährenden) Erwartung, dass gemessen an der langweiligen „Wahlkampf“ Performance seiner eigenen Partei, die offensichtlich glaubt, bereits ein irgendwie halb über das Kandidatenfoto platzierter QR-Code mache ein Wahlplakat zum Ausdruck innovativer Modernität, ihn bei der AfD ein Feuerwerk an „modernem“ Wahlkampf erwartet, den ich zwar inhaltlich verachten aber kommunikativ bewundern werde.
Erstes Innehalten – AfD – wer ist das überhaupt? Personell fast komplette Fehlanzeige. Ja, eine Kandidatin, die wohl auch gleich Kanzlerin werden möchte, fällt medial sofort auf. Jede Publikation auch der von mir ausschließlich genutzten demokratischen Normalpresse schreibt über sie und im Fernsehen – dass ich zeitbedingt auch kaum nutze – soll sie auch häufiger zu Gast sein. So häufig, dass der Name „Alice Weidel“ verankert ist. Auch bei mir. Irgendwie positioniert als “normal”, “seriös”, “kompetent”, “liebt eine Frau – kann also kein Nazi sein”.
Große Überraschung dann allerdings, als ich sie das erste Mal auf einer Wirtschafts-Veranstaltung wirklich live erlebe und nur der Eindruck bleibt, ein paar Euro für Rhetoriktraining hätte der Wahlkampfetat doch noch abzweigen sollen. Sie wirkt wie eine Schauspielschülerin, die eine arg verkürzte Anleitung, ‚Wie verhalte ich mich auf gefährlichem Terrain‘ 10 Minuten vor der Veranstaltung flüchtig überflogen hat. Kanzlerin?
Draußen finde ich dafür sicher umso mehr eindrucksvolle Belege eines kraftvollen Wahlkampfes. Raus auf meine Straßen: Berlin: Friedrichstrasse hoch und runter, UdL, Dorotheenstraße – Sprung über zwei Bahnhöfe nach Kiel: Holtenauer Straße und ihre Nebenstraßen hoch und runter. Alle reden über den modernen Wahlkampf der AfD – auf der (oder jedenfalls diesen) Straßen ist er aber gar nicht. Also gar nicht! Kein einziges Plakat. Weder klein, noch groß. Wahrscheinlich wohne und arbeite ich falsch. Aber in jedem Kopf, mit dem ich rede, finde ich dennoch das Bild des tollen Wahlkampfs.
Aber: Gute Plakate (und ich) sind halt nicht mehr modern. Auf in die virtuelle Welt: Internet. Homepage. Blau. Republikanische Deutschlandfahnen (müssten die nicht Schwarz/Weiß/Rot bei denen sein? Die andere ist doch das Zeichen der Demokratie. Egal) und ein Slogan. „Zeit für Deutschland.“ Hallo, hallo….
Ich hatte in einem meiner Wahlkämpfe mal „Mein Lieblingsland“ – hab sogar gewonnen. Wäre auch gegangen. Ich bin froh, dass deren AI sich nicht dafür entscheiden wollte.
Ich will nicht meckern. „Zeit für…“ ist nicht schlechter als „Für Dich“ oder „Wieder nach vorne“ – aber auch nicht besser. Zeit für Sinnvolles sollten wir alle schließlich genauso haben wie jemanden, der sich um mich kümmert und darauf achtet, dass ich nicht hinten bleibe. Zeit ist es also. Für unsere Lieben und so. Hier ist es aber vor allem Zeit für die oben genannte Schauspielerin. Hoffe, sie redet dann nicht auch wie ein Roboter, wenn ich Zeit für sie hätte.
Das Blau knallt aber schön. Und irgendwo oder ab irgendwann haben die Internet-Plakate dann auch den Weg als Großplakat nach Berlin Mitte oder ins Kieler Stinkviertel gefunden.
Aber meine 3 Jungs (19-23) haben mir berichtet, die AfD sei leider sooo viel besser auf Social Media als meine müde Alte-Leute-Partei. Nur – wie gesagt – sehe ich das mangels Nutzung nicht aktiv. Nutzen in Erfurt 62jährige alle TikTok? Egal.
Internetseite tiefer durchsucht. Instagram verglichen. Weniger Follower als bei B90/Die Grünen. Komisch. Bildsprache konventionell bis albern. Nicht dramatisch schlechter – aber eben auch nicht anders. Gezeichnete Jugendliche sehen aus wie im guten alten DDR Comic Mosaik. Und man ist gerne „anti woke“ und polemisch. Aber sicher nicht origineller.
Alle Videos gesehen. Leider. Ich hoffe, die meinen die Söhne nicht mit „besser“. Könnten auch von Merz, Scholz oder Lindner sein. Langweilig, plump, öde. Und zusätzlich obendrauf noch etwas bösartig. Guckt sich niemand freiwillig zweimal an, oder? Oder reicht es schon, mir Müll immer wieder zuzusenden, um ihn irgendwann toll zu finden? Denn offensichtlich kommen Posts- berichten mir jugendlichere Adressaten – sehr viel häufiger aus der AfD Wahlkampfmaschinerie als beim demokratischen Wettbewerb.
Bei aller Begrenztheit meines ganz subjektiven Blicks, der faszinierte Außenblick auf die besondere Wahlkampagne der AfD erinnert an den Scheinriesen Tur Tur von Michael Ende. Alle fürchten sich vor ihm wegen seiner scheinbaren Größe. Aber deswegen jagen die der demokratischen Mitte die Wähler*innen ab?
Am Ende bleibt ein böser Verdacht. Brecht hatte wohl doch Recht. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Es ist gar nicht die wahnsinnig tolle Kampagne (ist sie nämlich nicht!), nicht die überragende rhetorische Power (auch nicht wirklich), die neuen tollen Slogans (gibt es gar nicht) oder der den Wahlkampf revolutionierende Social Media Auftritt (Revolution ist abgesagt).
Es sind wir!
Es brauchte nicht viel – in Wahrheit leider sehr wenig, um unsere mühsam gelernte demokratische Firnis abzukratzen und darunter sind wir (jedenfalls ein gutes Viertel von uns) wieder das, was wir als deutsche Menschen wohl immer auch waren (wie genauso Österreich, den USA, den Niederlanden, in Frankreich, Argentinien oder Ruanda): böse, engstirnige, rassistische und fremdenfeindliche Nationalisten oder wie es im 1. Buch Moses 8,21 steht: „…das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“
Es reichte, uns einfach zu erzählen, dass es sie wieder gibt – und das haben wir Demokraten bis in die jüngsten Tage ja ausgiebig getan – um das Bild bei uns allen entstehen zu lassen, sie seien eine Alternative und schon kamen sie wieder aus dem fruchtbaren Schoss gekrochen.
Denn die Wahrheit ist: Leider sind sie historisch das Original. Wir Demokraten waren die Alternative. Und sind gerade dabei, international von der Bühne zu verschwinden.
Nicht, weil wir so miese TikTok-Filmchen machten, sondern weil wir so mut- und kraftlos über uns erzählen. Weil wir dem Viertel von uns erlauben, so zu tun, als wären sie die Mehrheit. Und erschreckt vor dem Scheinriesen weglaufen, anstatt dass wir uns ihm in den Weg stellen und ihn kleiner werden lassen. (Eigentlich nett wie Tur Tur wird er aber leider dann doch nicht.)
Wir sind die Kampagne der AfD!