Kampagnen-Watch – Teil 3: Bündnis90/Die Grünen

Analyse

Ein Mensch. Ein Claim. – Reicht das für die Kanzlerschaft?

Anfang Januar war Robert Habeck auf dem Siegestor in München eine Stunde lang Bündniskanzler. Dann ließ die Münchner Polizei die riesige Projektion, die den grünen Spitzenkandidaten auf dem Denkmal in der Innenstadt der bayerischen Landeshauptstadt zeigte und ihn als Bündniskanzler titulierte, wegen fehlender Genehmigungen abschalten. Diese kleine Episode eines Wahlkampfs – der bei allen Parteien wenige Höhe- und dafür einige Tiefpunkte bietet – steht wie sinnbildlich für die Kampagne des Wirtschaftsministers, der ohne besonders gutes Zeugnis in der Tasche nun das höchste Regierungsamt in der drittgrößten Industrienation der Welt bekleiden will.

Angegangen wurde das gigantische Vorhaben mit einer gehörigen Portion Zuversicht. Die Wahlplakate in der ersten Welle folgten einem klaren Muster: Jedes Motiv konzentriert sich auf ein zentrales Wort – „Zuversicht“ bei Robert Habeck, „Zusammen“ bei Annalena Baerbock. Jeweils ergänzt durch den Claim „Ein Mensch. Ein Wort.“ Ein Konzept, das an Werbestrategien erinnert, die auf maximale Verständlichkeit und emotionale Assoziationen setzen. Aufgrund ihrer Zuspitzung rein auf Gefühlsebene ist die Kampagne progressiv und mutig. Sie hebt sich definitiv von den anderen ab. Aber der Charme der Grünen als nahbare Partei wird durch den neuen Professionalisierungsgrad nicht mehr transportiert. In sozialen Medien und innerhalb der Kommunikatoren-Bubble waren die Reaktionen daher gemischt. Während einige die Klarheit lobten, kritisierten andere die fehlende Innovation und die sterile Optik.

Die geteilten Meinungen gehen aber über die Frage der Ästhetik hinaus. Wahlkämpfe sind nicht nur Symbole, sondern auch ein Wettstreit der politischen Inhalte und Erzählungen. Man will nicht nur Aufmerksamkeit erzeugen, in Erinnerung bleiben, sondern man tut das, indem eine Geschichte erzählt und ein Gesamtkontext hergestellt wird. Die Grünen präsentieren sich als Partei der Verbindlichkeit, Verantwortung und Empathie. Das übergeordnete Narrativ gelingt jedoch nicht durchgehend.

Robert Habeck jedenfalls betont immer wieder das zentrale Motiv seines Wahlkampfs: „Wir können sicher durch die Krisen steuern, wenn wir der Zukunft mit Zuversicht begegnen.“ Das suggeriert Optimismus und will Aufbruch erzeugen. Zweifellos ist er ein Politiker, der mobilisieren kann, nicht nur deshalb ist es nachvollziehbar, dass die Kampagne auf ihn als Gallionsfigur zugeschnitten wurde. Seit seiner Nominierung als Kanzlerkandidat sind über 30.000 Menschen in die Partei eingetreten, 20.000 Follower:innen auf dem WhatsApp-Kanal, über 200.000 auf dem E-Mail-Verteiler, die Spendenbereitschaft für die Grünen ist laut seinem Wahlkampfstab, der über LinkedIn von 10 Millionen Euro spricht, ein großer Erfolg. Auf Instagram haben sie die meisten Follower mit insgesamt 327.000 – mehr als SPD und CDU zusammen.

Fakt ist aber auch: Seit seiner Nominierung als Kanzlerkandidat gab es nur eine leichte Bewegung bei den Umfragewerten. Zu wenig, um es ins Kanzleramt zu schaffen. Mag es mit der Mobilisierung der Stammwählerschaft, den Wohlgesonnenen klappen, funktioniert es mit dem Zuversichts-Wahlkampf offensichtlich kaum, Unentschlossene und Wechselwähler:innen von sich zu überzeugen.

Es scheint die entscheidende Schwäche des Grünen-Wahlkampfs: Er bleibt defensiv und traut sich nicht, neue Horizonte zu eröffnen. Während Barack Obamas „Believe“ mit einer klaren Vision begeisterte und in ein Change-Narrativ mit konkreten Vorhaben wie der Einführung einer Krankenversicherung für alle Bürger:innen eingebettet war, bleibt Habecks „Zuversicht“ eine vage Kategorie. Zuversicht in was, fragt man sich – in ihn als Person oder in seine Ideen? Ist es wirklich getan mit „Leben: Bezahlbar machen!“ oder „Natur und Klima: Schützen!“? Mutiger Gestaltungswille wird hier jedenfalls nicht vermittelt.

Das politische Angebot scheint ohnehin mehr auf Fehlervermeidung als auf Mut ausgelegt zu sein. Ein Beispiel für dieses zurückhaltende Vorgehen ist die jüngste Veröffentlichung der „10 Gründe, Bündnis 90/Die Grünen zu wählen“. Die Liste gibt eine Übersicht über zentrale Themen der Partei: Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Stabilität. Doch auffällig ist, dass die Punkte eher bestehende Regierungspolitik verteidigen, statt kühne neue Ideen zu präsentieren. „Warum die Grünen? Weil wir bisher einen guten Job gemacht haben.“, lautet der Subtext – es fällt schwer, hier Begeisterung zu entwickeln.

Fokus auf den Wirtschaftsminister einer krisengeschüttelten Wirtschaft

Und so befindet man sich dann auch schon mitten im Dilemma der Gallionsfigur Robert Habeck: Er ist nicht nur das Gesicht der Kampagne, der Mobilisierer, das politische Zugpferd – er ist auch amtierender Bundeswirtschaftsminister. Und, während die Partei auf das vage „Zuversicht“ als Markenkern setzt, sind die Wirtschaftsdaten für Deutschland sehr konkret und stimmen alles andere als zuversichtlich. 2024 ging die Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent zurück, 2023 um 0,3 Prozent. Die Prognose für 2025 ist ähnlich düster.

Habeck kann auf einzelne Erfolge in seiner Amtszeit verweisen, etwa bei der Stabilisierung der Energieversorgung nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine – aber immer mit dem bleiernen Gewicht des Heizungsgesetzes im Rucksack. Der große wirtschaftliche Wurf ist ihm nicht gelungen – und in einem Wahlkampf, in dem viele Menschen steigende Preise und eine stagnierende Wirtschaft spüren sowie Angst um ihre Arbeitsplätze haben, ist das ohne Frage ein Problem.

Um dieses Image aufzubessern, nutzt sein Team derzeit alle Kanäle, meldete ihn sogar auf X zurück, während andere Nutzer die Plattform wegen Elon Musk verlassen. Beeindruckend ist dabei die hohe Schlagzahl, die die Kampagneros bei YouTube, X, Insta und Co. an den Tag legen. Beeindruckend ist ebenfalls: die perfekte Nutzung von Videoformaten, um die Nahbarkeit des Kandidaten zu zeigen.

Robert Habeck hat bereits als Minister gezeigt, dass er es kann: Politik erklären, nah bei den Menschen sein. Sei es am (zugegeben etwas überinszenierten) Küchentisch oder mit Norweger-Pulli am Bach im ländlichen Raum: Er ist ein eloquenter Charismatiker, dem man gerne Aufmerksamkeit schenkt. An ihm als Politiker-Typus wird es nicht gelegen haben, wenn es am 23. Februar nur für Platz vier oder höchstens Platz drei reicht – aber eben nicht für den großen Traum das Kanzleramt zu erobern.

Handwerk: Die Handschrift von Jung von Matt – und die Erwartungen

Mit Jung von Matt setzen die Grünen auf eine der renommiertesten Kreativagenturen des Landes, die mit einer Erfolgsbilanz große Kampagnen für globale Marken und politische Bewegungen umfasst. Doch genau diese Erwartungshaltung hat die Fallhöhe des Grünen-Wahlkampfs drastisch gesteigert. Statt einer mitreißenden Erzählung liefern die Plakate reduzierte Begriffe auf monochromen Hintergründen – eine Gestaltung, die zwar klar ist, aber kaum Emotionen weckt. „Blutleer“, „freudlos“ und „ästhetisch uninspiriert“. Diese Inszenierung sei intellektuell verkopft, aber ohne die nötige Wärme oder Mobilisierungskraft, die eine Wahlkampagne brauche, hört und liest man insbesondere da, wo versucht wird Wählerinnen und Wähler zu erreichen – in den Sozialen Medien.

Plakate allein gewinnen keine Wahlen, doch sie setzen die visuelle Tonalität der Kampagne. Und genau hier entsteht das Problem: Reicht diese nüchterne, fast akademische Reduktion aus, um Wähler:innen aus der Mitte zu überzeugen? Wahlkampf ist ein Kampf um Aufmerksamkeit, Emotionen und Identifikation, doch der visuelle Auftritt der Grünen setzt eher auf Minimalismus als auf Mitreißkraft.

Zwar bespielt die Partei zahlreiche Kanäle mit beeindruckender Taktung, dennoch lassen die Umfragen darauf schließen, dass man maximal eine Bubble aus bereits Überzeugten erreicht und nicht die Breite der Gesellschaft. Ein intensiver Wahlkampf, der den Kandidaten ins Kanzleramt trägt, braucht mehr als professionelle Canva-Ästhetik. Er braucht eine Botschaft, einen Plan, ein Versprechen für die nächsten Jahre, Dinge die bleiben.

Wahlkampf der verpassten Chancen

Kampagnen leben von Klarheit und Zuspitzung. Es hilft nicht, dass der Kandidat den Anschein macht, auf allen Hochzeiten tanzen zu wollen und auf so vielen virtuellen und realen Bühnen wie möglich turnt. So gelang es zu keiner Zeit, ein Narrativ zu entwickeln, der sowohl die urbane, progressive Stammwählerschaft als auch Wechselwähler:innen anspricht. Eine solche Erzählung hätte polarisieren und der Kampagne einen bewegungsähnlichen Charakter verleihen können, um damit zu einer gewünschten Wechselstimmung zugunsten einer erstmaligen grünen Kanzlerschaft beitragen zu können.

Robert Habeck und die Grünen haben es nicht geschafft ein solches Momentum zu schaffen, und es ist fraglich, ob und wie das in den verbleibenden zwei Wochen noch gelingen kann. Die Werte steigen höchstens noch durch die Fehler der anderen, aus eigener Kraft wird es ihm nicht gelingen.