Kampagnen-Watch – Teil 2: CDU

Analyse

Die Wellen schlagen hoch: stürmische Brandung für die Christdemokraten. Dabei sind sie spät in den Wahlkampf gestartet. Der Besuch am Grab von Konrad Adenauer, die Präsentation des Wahlprogramms, die „Agenda 2030“: Nichts davon verfing in den Medien. Das ist nicht tragisch: Auch im kürzesten (und kältesten) Wahlkampf sind die letzten Wochen entscheidend. Und genau da steht der Spitzenkandidat, wo er sein will: im Fokus der Debatte. Die Frage ist nur, ob es der richtige Fokus ist. Oder anders gesagt: Ob Friedrich Merz ein guter Surfer ist oder die falsche Welle wählt.

Zugegeben: Das Bild der „Welle“ ist in der Politik nicht ungefährlich (Grüße an den Autor Todd Strasser), aber leider aktueller denn je. Und wie beim Surfen starten alle Parteien tatsächlich im gleichen Gewässer. Sie haben andere Positionen, Teams und Techniken. Sie lauern auf eine Welle, die sie nach vorne trägt. Sie müssen aber auch darauf achten, dass die Strömung sie nicht unterspült. Beim „Zustrombegrenzungsgesetz“ konnte man dieses Gespür der CDU gerade in Frage stellen.

War das also ein Fehler im Wahlkampf der Union oder passt es zu ihrer Strategie? Wie genau inszeniert die Partei ihren Spitzenkandidaten (Surfer) Merz, wie gut ist sein Board in Form von Narrativ und Handwerk, und wie steht es um den Mut und die Resilienz, mit der die Partei auch Krisen besteht? Das zeigt ein Blick aus Sicht der Strategieberatung – jenseits der Frage, welche Politik die richtige ist.

 

  1. Kandidat

Die Kampagne der CDU zeigt Merz so, wie er wahrgenommen werden will: konservativ, bewahrend, jemand, der Dinge anpackt und ändert. Im Spot ist er in Bewegung, hin zu einem Ziel, das größer ist als sein Sieg: das Land „wieder nach vorne“ zu bringen. „Lass uns das machen, Deutschland“, sagt er. Strategisch betrachtet ist das clever, war Merz doch für sein Ego und seinen Willen zur Macht bekannt. Jetzt spricht er für Deutschland, nicht mehr so kritisch wie noch vor einigen Monaten, sondern lösungsorientiert. Er steht nicht am Rand und meckert, sondern mittendrin.

Da positioniert er sich grundsätzlich gut, auch, weil er ein guter Redner ist. Er spricht das beste Englisch aller Kandidierenden und bewegt sich souverän auf internationalem Parkett. Er war (wie Scholz und Habeck) beim Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums in Davos, doch nimmt man ihm die transatlantische Kompetenz am ehesten ab. Wenn einer „Laptop und Lederhose“ für die Union umsetzen kann, dann ist es Merz. Aus Sicht der Kampagne ist die Inszenierung gelungen. Auch verbale Pannen fehlen bislang, mit denen er sich und die Partei oft ins Straucheln bringt, wie zuletzt im November mit der Formulierung, die CDU sei die „Alternative für Deutschland mit Substanz“.

Dass er Fehler nicht eingesteht und sich nicht korrigiert, kommt jetzt aber wieder hoch. Merz bricht sein eigenes Tabu und riskiert, die Brandmauer zur AfD einzureißen. Für p&k macht ihn das in der ersten Ausgabe des Wahl-Newsletters zum „Verlierer der Woche“. Die Wende und der Zug nach vorn scheint ihm wichtiger als Absprachen und Vertrauen. Eine gefährliche Brandung für den surfenden Merz.

 

  1. Narrativ

Das Konrad-Adenauer-Haus hat die CDU zum „Haus des Politikwechsels“ ernannt. Sie will etwas verändern und das Gute im Land bewahren. Ihre Kampagne ist so konservativ, dass sie die bürgerliche Mitte nicht verschreckt, zeigt Hochglanzbilder und Heimatidyll. Sie soll positiv stimmen: Aufbruchstimmung, aber mit Sicherheit.

Um nicht zu streiten („kein Chaos“), sondern zu machen (das Grund-Credo der CDU), hat sie bewusst auf Wirtschaft gesetzt. Das ist laut Umfragen das wichtigste Thema im Wahlkampf, bei dem die Wählerinnen und Wähler der CDU auch die größte Kompetenz zuschreiben. Als „Macher“ hat Merz Konkretes zur Hand: einen 5- oder 10-Punkte-Plan sowie ein „Sofortprogramm“ für die Regierungsbeteiligung. Losgegangen ist es mit der „Agenda 2030“, eine Anlehnung an Schröders Reform für mehr Leistung, Arbeit und Wirtschaftswachstum. Ganz klar: Es geht um einen Modernisierungsauftrag.

So adressiert die Kampagne auch die konservative SPD-Klientel. Bleibt die Frage, ob das Narrativ „Wir machen die Wirtschaft stark“ reicht, um die Stimmen der AfD-Anhänger zu gewinnen. Migration wollten die etablierten Parteien eigentlich aus dem Wahlkampf raushalten, weil sie polarisiert und die Ränder (die AfD) stärkt. Im Zweifel siegt eben das Original. Doch der Wechselwille ist auch bei Asylpolitik ist groß. Die Mehrheit will eine Kurskorrektur. So bricht die CDU nach Aschaffenburg mit ihrem Vorsatz, bleibt sich im Narrativ aber treu: Sie steht für Wechsel. Nur die positive Aufbruchstimmung ist erstmal dahin.

 

  1. Handwerk

Langweilig finden viele die Wahlkampagnen. Die der CDU ist zugegeben besonders konventionell und hätte auch mit Helmut Kohl funktioniert. Originalität ist aber nicht alles, gerade in diesem „Turbo-Wahlkampf“, der gerade erst beginnt. Bisher zumindest ist die Kampagne stringent. Die Bilder konservativ, viel Deutschland, weniger Merz. Das ist anders als bei den Grünen, bei denen Habeck absolut im Mittelpunkt steht (und am Küchentisch sitzt). Auch auf Social Media positioniert sich die CDU mit klaren Inhalten und Aussagen etwa zu 2 Prozent Wirtschaftswachstum, einer digitalen Bundesagentur für Fachkräfteeinwanderung und „weg mit dem Verbrenner-Verbot“.

Das Emotionale aber verpufft: Merz ist ein Familienmensch (drei Kinder, sieben Enkel), er zeigt sich im Spot freundlich und lächelt auf den Plakaten. Doch das ganze Potenzial bleibt liegen: Die CDU wirkt im Wahlkampf technokratisch. Die Verbindung zwischen Merz und den Menschen fehlt. Es geht um die Notwendigkeit, nicht um das Wohlgefühl. Auch im Bundestag bleibt Merz stoisch, er argumentiert nüchtern gegen die (von ihm verursachte) Debatte zum Untergang der Demokratie. Skrupellos nennen das Protestler, entscheidungsfroh die CDU.

Dieses leicht Teflonhafte stärkt in einer gewissen Weise auch die Partei: Die Reihen der Union bleiben geschlossen, trotz Kritik und dem Zwischenruf von Ex-Kanzlerin Angela Merkel. Das hat die CDU auf ihrem Parteitag am Montag wieder demonstriert. Jetzt ist nicht die Zeit, den eigenen Kandidaten in Frage zu stellen. Handwerklich verdient gerade Carsten Linnemann dafür Respekt.

 

  1. Mut

Es besteht kein Zweifel daran, dass Merz mutig ist. Nach Aschaffenburg hat er gezeigt, dass er bereit ist, die Migrationspolitik umzustellen. Für Spiegel-Kolumnist Nikolaus Blome hat er damit „die Wahl entschieden“. Auch wenn alles „nur“ Wahlkampf war, weil kein Gesetz kommt und es den Bundesrat nie passiert hätte: Der Aufschrei ist groß. Mit dem Brandbrief der Kirchen wackelt sogar das C im Namen der Partei. Glasklar: Merz geht auf Risiko. Die Frage ist nur: Lohnt sich das auch?

Es ist ein Versuch, die Ansprache zu ändern, die den Zulauf zur AfD bisher nicht stoppen konnte. Merz plädiert für ein Fernsehduell mit Weidel, ganz wie sein Kollege Mario Vogt, der in Thüringen mit Höcke debattiert hatte. Für einige war das (frei nach Hannah Arendt) die „Banalisierung des Bösen“, wirklich ausgezahlt hat es sich nicht. Unabhängig von der Kritik ist es auch persönlich riskant, sich mit Populisten auf eine Bühne zu stellen. Merz macht’s. Aus Sicht der Kampagne ist das konsequent.

Aber: Mut allein ist keine Strategie. Am Ende muss er sich auszahlen. Es geht nicht nur darum, neue Wählerinnen und Wähler zu gewinnen, man muss auch die bestehenden halten. Und: Die Partei muss in einer Regierung mehrheitsfähig sein. Dafür darf sie das Vertrauen nicht verspielen. Wenn SPD-Fraktionschef Mützenich aber vom „Sündenfall“ spricht und Grünen-Fraktionschefin Dröge in Frage stellt, ob sie Merz je wieder glauben kann, sieht es schlecht aus mit der Anschlussfähigkeit. Schön und gut, dass Merz sich auf die steilsten Wellen traut. Im Ziel ist er damit nicht.

 

  1. Resilienz

Die CDU steckt in ihrer ersten Wahlkampfkrise – und entscheidet sich für Frontalangriff. Das passt zu ihrem Narrativ vom „Wechsel“: Die CDU macht eben, und zwar anders. Ihr Vorstoß in der Migrationsdebatte widerspricht nicht ihrer Kampagne. Im Gegenteil: Es war aus Strategiesicht folgerichtig, das Thema aufzugreifen, weil es die Wählerinnen und Wähler bewegt und die CDU bei Sicherheitsfragen Glaubwürdigkeit besitzt. Nun ist es entscheidend, dass sie wieder neue Brücken baut und zu ihren eigenen Kernthemen zurückfindet: Wirtschaft und Wachstum. Der Handelsstreit mit den USA und in Person mit Donald Trump ist eine Steilvorlage für den Transatlantiker Merz. Er muss aufstehen, weitermachen und eine Welle suchen, die ihn weiter trägt – und nichts mit der Welle zu tun hat, über die Todd Strasser schreibt.

 

Sebastian Frevel ist geschäftsführender Gesellschafter der Beratungsgesellschaft von Beust & Coll. und berät seit 2004 Verbände und Unternehmen im Bereich Public Affairs.
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