Internationale Politik braucht internationale Öffentlichkeit

Serie zum Buch "Deutschlands Neue Verantwortung"

Die Medien der Mitgliedsländer betrachten die EU aus nationalen Perspektiven. Im Vordergrund steht tendenziell, ob es der eigenen Regierung gelingt, genug aus der EU herauszuholen, und nicht, wie aus der EU das meiste gemacht werden kann. Eine Idee von paneuropäischem Gemeinwohl wird kaum gepflegt.

Was in einem Land als selbstverständlich gilt, wird anderswo für ideologisch borniert gehalten. Dass die Perspektiven gefährlich weit auseinanderklaffen, ist vielen Bürgern nicht klar. Ein eklatantes Beispiel dafür ist die „schwarze Null“. In der Bundesrepublik ist weitgehend unumstritten, dass ausgeglichene Haushalte per se erstrebenswert sind – und dass folglich mit Blick auf Griechenlands Schuldenkrise im Sommer 2015 die strenge Haltung alternativlos war. In britischen Zeitungen hingegen herrschte die Einschätzung vor, die Sparpolitik sei längst gescheitert und weitere Austerität perspektivlos. So stand es zumindest im konservativen „Telegraph“, im linken „Guardian“ und in der liberalen „Financial Times“.

Ein Jahr später verabschiedeten sich die Briten per Volksentscheid aus der EU. Hätten Labour-und Gewerkschaftsanhänger die eu noch wie in den neunziger Jahren als Bastion der Sozial- gegen die Sparpolitik gesehen, wäre das knappe Ergebnis vermutlich anders ausgefallen. Das Zünglein an der Waage für das Brexit-Votum waren Austeritätsgegner aus dem Labour-Lager. Hierzulande war aber kaum jemandem bewusst, dass Euro-Skepsis im britischen Königreich nicht nur unter konservativen Hardlinern grassierte. Gemeinsame Politik kann ohne gemeinsame Öffentlichkeit nicht gelingen. Kontroverse demokratische Diskurse müssen Alternativen ausloten, Konsens und Dissens deutlich machen und Chancen für Kompromisse anbahnen. Im Nationalstaat gelingt das weitgehend, weil sich Medien an Parlamenten orientieren, die zu jeder Regierungsposition auch eine Oppositionsmeinung liefern.

Das Gemeinschaftsinteresse der EU als Ganzer kommt zu kurz

Die Berichterstattung aus Brüssel funktioniert anders. Korrespondenten schreiben meist darüber, was ihre Regierung tut. Das Gemeinschaftsinteresse der EU als ganzer kommt zu kurz. Das gilt ähnlich für die UN und multilaterale Finanzinstitutionen. Hauptkriterium für die Bewertung von Global-Governance-Perspektiven ist, was sie das eigene Land kosten.

Es ist selbstverständlich nicht die Aufgabe der Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass Medien kontrovers berichten und dabei auch die Position der Bundesregierung infrage stellen. Die Wachhundrolle der Medien erfordert Unabhängigkeit. Dennoch könnte die Bundesregierung auf zwei Ebenen schnell aktiv werden, um mehr grenzüberschreitende Öffentlichkeit zu schaffen:

Das Mandat der Deutschen Welle sollte aktualisiert werden

  • Internationale Konferenzen führen hochrangigen Meinungsaustausch gezielt herbei. Die Münchner Sicherheitskonferenz tut das, aber auch Institutionen wie das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik oder die giz haben eine beachtliche Kompetenz auf diesem Feld. Leider sorgen sie nicht immer dafür, dass Journalisten teilnehmen.
  • Das Mandat der Deutschen Welle sollte aktualisiert werden. Sie sendet vor allem deutsche Positionen in die Welt hinaus. Es wäre wichtiger, internationale Kontroversen auszutragen, bei denen auch ausländische Positionen klar formuliert werden. So wäre auch ein größeres Publikum zu erreichen – und zwar im In- und Ausland. Dem steht im Wege, dass der Bundessender ausdrücklich nur für das Ausland arbeiten soll, um den Landesrundfunkanstalten nicht in die Quere zu kommen. Die bbc, die für das In- und Ausland arbeitet, tut für die Anschlussfähigkeit ihres Landes aber deutlich mehr.

Dieser Beitrag stammt aus dem Sammelband „Deutschlands Neue Verantwortung“. Das Buch versammelt Analysen, Meinungen und Empfehlungen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und NGOs und zeigt, welchen Einfluss Deutschland in der Welt nehmen kann und sollte. Die Herausgeber sind Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik.

Im zweiten Teil veröffentlichen wir morgen einige der Schaubilder, unter anderem zur Präsenz deutscher Organisationen weltweit.