"Ich bin Techno­krat"

Politik

Es schien ein Weg, der immer nur in eine Richtung zeigte: steil nach oben. Und dann kam, was eine Zeitung als „kontrollierten Abstieg“ beschrieb. Vom Direktoriumsmitglied in der Europäischen Zentralbank und damit einem der mächtigsten Männer in der internationalen Finanzwelt zurück in die zweite Reihe der Politik, als Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter Andrea Nahles. Statt Griechenland und den Rest der maroden Finanzwelt zu retten, nun also dröge Sozialpolitik, Renten, der Ärger um das Berechnungssystem für den Mindestlohn. Und Jörg Asmussen wird nicht müde zu erklären, sein abrupter EZB-Rückzug habe nun wirklich rein private Gründe („Kein Streit mit Draghi“) gehabt – nämlich vor allem seine zwei Töchter, sechs und acht Jahre alt.

Anders als im Frankfurter EZB-Job könne er die beiden jetzt morgens in die Schule bringen und dennoch um 8.15 Uhr an seinem Schreibtisch sitzen. Und brauche jetzt auch nicht mehr die Diskussion mit ihnen zu führen, warum er als Top-Banker gearbeitet hat. „Ist Deine Bank auch böse?“, habe ihn eine seiner Töchter gefragt, und er habe Schwierigkeiten gehabt, den Unterschied zwischen einer Notenbank und einer Geschäftsbank zu erklären. „Kinder challengen einen“, sagt er. Und beim Blick zurück heißt es: „Ich vermisse manchmal Europa, aber die Entscheidung war richtig.“

Eine Entscheidung, die manchem im Politikbetrieb irgendwie unverständlich, geradezu suspekt erscheint. Ein Mann mit besten Aussichten auf  (vielleicht) noch mehr, gibt den Höhenflug auf, schraubt zurück, nimmt sogar in Kauf, sein Fachgebiet, die Finanzen, zu verlassen – der Familie wegen. Normal, jedenfalls für die Politik-Junkies, ist das nicht.

Nun also wieder Berlin, wieder ein Job in einem Ministerium, wieder als Zuarbeiter, wenn auch ganz oben. „Ich verstehe mich als allererstes als Dienstleister für die Ministerin“, beschreibt er sein Selbstverständnis. Er sieht sich auch als kommunikativen Ausputzer, wenn es sein muss, etwa in TV-Talkshows. Es gehe darum, „schlechte Botschaften von der Minis­terin fernzuhalten. Dafür wird man bezahlt. Es drängt mich dazu nicht, aber es gehört heute für Spitzenbeamte dazu“. Und er will, dass die Dinge auf den Punkt kommen: „Ich gebe zu: Ich habe einen klaren Fokus auf das Produkt, also auf das Ergebnis der Arbeit. Es muss von der Qualität her stimmen, egal, ob das ein Gesetzentwurf ist oder eine Rede, denn die Ministerin hält in der Öffentlichkeit den Kopf dafür hin, und wir wissen, was passiert, wenn mal etwas nicht stimmt.“

Ein Mann der Fakten, der Zahlen, der effektiven Arbeit. So sieht er sich selbst gerne, so sehen ihn alle, die ihn näher kennen. Pragmatisch, schnelle Auffassungsgabe, so das einmütige Urteil der Insider über den Diener von fünf Finanzministern, vom Referenten bis zum Staatssekretär, egal, ob der Minister von der SPD oder der CDU war. Nach Peer Steinbrück wollte ihn auch CDU-Mann Wolfgang Schäuble an seiner Seite. Und Asmussen ist einer, auf dessen Rat auch Angela Merkel hört, genauso wie Sigmar Gabriel. Einer seiner ehemaligen Chefs, Ex-Finanzminister Hans Eichel, erinnert sich so an den Mann, den er damals zum Leiter der Abteilung für nationale und internationale Finanzmarkt- und Währungspolitik beförderte: „Er weiß unglaublich Bescheid. Er hat Kontakte in alle Welt und seine Ohren überall. Er hat sofort Einfälle, wenn Sie ein Problem haben.“ Und Steffen Kampeter, zum Zeitpunkt des Interviews noch Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesfinanzminister, stimmt zu: „Ein absoluter Profi und ein Super-Umsetzer.“

Eine Idealbesetzung, so klingt es. Im richtigen Leben ist das natürlich auch bei Jörg Asmussen nicht durchgehend so. Wer solche Einser-Noten bekommt, der provoziert auch Kritik. „Sein Problem ist, dass er sich für besser hält als seine Chefs“, beschreibt einer die Kehrseite des Überfliegers. Und Asmussens Weg zum neuen Job im Arbeitsministerium wertet ein anderer so: „Es war ein Panne.“ Die Stellen im Finanzbereich waren vergeben. SPD-Chef Gabriel wurde von seinem EZB-Abgang überfahren, Angela Merkel fragte im Koalitonspostengeschacher nach, man schaute, wo noch etwas frei war. So gelangte Asmussen an die Seite der SPD-Vorzeigelinken Andrea Nahles. Und obwohl Parteimitglied, sei er, so der Insider, bei vielen Positionen „zwischen Baum und Borke“ und halte so manch sozialdemokratisches Gedankengut schlicht für Unsinn. Asmussen verweist auf einen eher konservativen, pragmatischen Sozialdemokraten als sein Vorbild: „Ich bin wegen Helmut Schmidt beigetreten, das ist ja auch schon mal eine Aussage.“

Kampf um die Stunden

Im Gespräch räumt er ein, in zwei Punkten alte Ansichten der vergangenen 20 Jahre korrigiert zu haben. Zum einen bei Nahles’ Lieblingsthema Mindestlohn, den er jetzt nachdrücklich verteidigt, und bei der Frauenquote. „Ich glaube, dass man dazulernen kann und muss“, verteidigt er seinen Meinungswandel. Bei der Frauenquote kommt er für seine norddeutschen Verhältnisse (Geburtsort: Flensburg) sogar richtig in Fahrt und stimmt zu, ihn als „Überzeugungstäter“ zu bezeichnen. Wenn man die gegenwärtige Geschwindigkeit beim Aufstieg der Frauen in Führungspositionen akzeptieren würde, dann käme man erst so um das Jahr 2087 ans Ziel. „Das finde ich für meine Töchter unbefriedigend.“ Die Frauenquote sei keine Allzweckwaffe, argumentiert er, aber sie könne ein Instrument sein, das Bewusstsein zu verbessern, in Wirtschaft und Verwaltung. Auf diesem Umweg kommt er wieder zu seinen eigenen Befindlichkeiten, konkret: der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ein Thema, das eben „zur Hälfte auch ein Männerthema“ sei, weil „es auch Fragen an uns stellt“. Seine Lebenspartnerin hat es geschafft, sie ist erfolgreich in einer internationalen Beratungsfirma tätig, und bei der Frauenquote ist man sich einig: „Die ist dafür“, sagt Asmussen. Der Politikbetrieb sei „besonders familienunfreundlich“. Er selbst versuche, in seinem Kalender Zeit für die Familie zu blocken. Er beschreibt das als „Kampf um die Stunden“, empfindet es als Plus, wenn er bei der Weihnachtsfeier dabei sein kann, für die die Kinder etwas einstudiert haben. Er sieht aber auch die Grenzen. „Wenn die Hütte brennt, dann geht es halt nicht.“

Dazulernen, Fehler korrigieren. In diesen Punkten führt er das selbst an. Sein gewiss größtes Thema übergeht er dagegen. Beim Blick zurück kommt von ihm in puncto persönlicher Fehleranalyse aktiv nichts. Allein: Er hat im Finanzminis­terium die Deregulierung der Märkte mit betrieben, jenes Monster, das schließlich beinahe zum Zusammenbruch des internationalen Finanzsys­tems führte. Er war, so sagt man in seinem früheren Umfeld in der Bundesregierung, einer der „Vorreiter“. Das hat man ihm oft vorgehalten, er hat darauf mehrfach geantwortet, die Finanzmarktkrise sei so tief gewesen, dass niemand dieselbe Position wie zuvor vertrete. Darauf angesprochen, sagt er heute: „Eine solche Finanzkrise hat nie vorher einer gesehen. Man muss immer lernen, man muss auch eigene Positionen hinterfragen, wenn man das einmal erlebt hat. In der Tat bin ich heute der Auffassung, dass wir eine schärfere Regulierung brauchen. Man muss sich heute aus solchen Krisen, die vermutlich nur einmal im Berufsleben auftauchen, auch kritisch selbst hinterfragen.“

Als Staatssekretär ist er im Arbeitsministerium der Top-­Manager, der der Hausherrin den Rücken freihält. Und dabei auch dafür sorgt, dass der Laden intern läuft. Qualitätssicherung, sagt er wieder, das sei sein Job, aber er sei auch jemand, der „die Verwaltung treibt“. Er verteidigt die Beamten, sei dagegen, dass sie als „faule Säcke“ beschrieben würden, sagt aber auch: „Verwaltungen sind nicht kreativ. Dafür sind die nicht konstruiert, die Anreize stimmen dafür nicht.“ Und was heißt das dann? „Wenn man vordenken will, nachdenken will, dann geht das top-down, und da muss man seine Verwaltung zum Teil treiben. Wenn ich einen Satz wirklich verabscheue, dann ist es: ‚Wir haben das schon immer so gemacht.‘ Das hat mich schon als junger Referent zur Weißglut getrieben.“

In seinem Studium in der Business School in Italien habe er gelernt zu fragen: „Was kann der andere wirklich leisten? Man muss versuchen, sich im Rollenspiel in die Position des anderen zu versetzen. Man muss schauen, was geht für den anderen, und was geht wirklich nicht.“ Und das könne „im Extremfall“ auch dazu führen, dass „ich mit meinen Mitarbeitern Rollenspiele mache und jemand gezielt die Verhandlungsposition eines Gegners, einer anderen Partei übernimmt“. Das Rollenspiel als Methode hilft auch, wenn man sich auf Talkshows vorbereite. „Viele finden das, wenn man das zum ersten Mal macht, komisch, aber vom Ergebnis her überzeugt es meistens.“ Die direkte Kommunikation betreibt er auch mit Mitarbeitern der unteren Ebene, meldet sich per Telefon oder Email von unterwegs, etwa bei Referenten. Vor allem die Kommunikation per Email habe vieles entscheidend verändert, sagt er. Heute wanderten die Akten nicht mehr von unten nach oben und wieder zurück, wie das früher normal war.

Keine Lust auf die Ochsentour

Denken, Nachdenken im hektischen politischen Berliner Alltagsgeschäft, wie geht das? „Wenn ich mir meinen Kalender anschaue, dann ist man fast erdrückt vom Tagesgeschäft, und deshalb muss man sich immer wieder auch Freiräume schaufeln, um mal Abstand zu gewinnen, auch von draußen auf sein eigenes System zu schauen. Wenn man mal ein, zwei Tage Workshop machen will, muss man das tapfer verteidigen. Je näher das Datum rückt, umso eher sagt das Büro, das passt nun wirklich gar nicht, dass Du mal einen ganzen Tag nur denkst.“ Aber, „da muss man ganz ehrlich sein“, das gelinge eher selten. „Was man kann, was ich mehr tue als früher, dass man sich mal ein, zwei Stunden nimmt und mit Externen Themen beleuchtet, die nicht unbedingt seine Baustelle sind, um einfach mal den Horizont zu erweitern.“ Es gehe darum, Gesetze nicht nur im luftleeren Raum zu machen, sondern zu verstehen, „wie verändert sich die reale Welt. Und das erstmal unvoreingenommen sehen“. Aber es gebe auch ein Problem, nicht zuletzt wegen der Medien: „Wenn wir anfangen zu denken und Pech haben, generiert das sofort eine Schlagzeile.“ Wenn man zum Beispiel wegen des demografischen Wandels über die Zukunft der Renten nachdenke, könne dabei in der Presse schnell die Geschichte herauskommen: Ministerium zweifelt am Rentensystem. „Das ist kein Vorwurf, das ist nur eine Beschreibung, wie das ist. Insoweit: Wenn wir vordenken, dann müssen wir das sehr für uns tun.“

Abstand findet der athletisch wirkende Asmussen durch Sport. Mehrmals in der Woche schlüpft er in seine Laufschuhe, und es kommt schon mal vor, dass ihn seine Partnerin auch abends um zehn noch zum Laufen drängt, damit er abschaltet. Diesen Abstand will er auch seinen Mitarbeitern verordnen. Er achte darauf, dass sie ihren Urlaub nähmen, möglichst am Stück. „Wenn man permanent im Hamsterrad dreht, muss man auch mal raus.“

Asmussen ist einer, der als Überflieger im politischen Berlin stärker beäugt wird als andere beamtete Staatssekretäre. Das ist ihm offensichtlich bewusst. Viele wollen nicht glauben, dass sein Job im Arbeitsminis­terium auf Dauer ist. Sollte es die SPD schaffen, beim nächsten Mal den Kanzler zu stellen, halten einige Jörg Asmussen für den Kandidaten für das Amt des Finanzministers. Er selbst ist natürlich Profi genug, mit solchen Fragen umzugehen: „Ich bin Technokrat, kein Politiker. Das bleibt auch so.“ Und bekräftigt noch einmal: „Man muss sich klar machen, was man kann und was nicht. Und für die Ochsentour durch die Partei bin ich nicht geeignet.“
Sein Ex-Chef Hans Eichel hält langfristig noch eine andere Perspektive bereit. Nachdem Asmussen bei der EZB bereits Erfahrungen im Direktorium gesammelt habe, könne er irgendwann doch auch die Führungsrolle übernehmen. Eichel: „Der Draghi braucht einen Nachfolger.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Denken. Das Heft können Sie hier bestellen.