Gut, dass Sie fragen

Medien

Oft erblickt eine Nach­richt auf folgendem Weg das Licht der Welt: Politiker X spricht einen O-Ton in irgendein Mikrofon, alternativ wird das Zitat via Twitter gestreut oder als Pressemitteilung verschickt, woraufhin ein Journalist daraus eine Meldung macht. Auf diese reagieren Unterstützer wie Kritiker ihrerseits mit Statements, die sie in irgendein Mikrofon sprechen, via Twitter streuen oder als Presse­mitteilung verschicken, was die Journalisten dazu bringt, die Geschichte weiterzudrehen (zumal sie das Statement-­Karussell mit Anfragen à la “Was denken Sie über die Forderung, …” selbst am Laufen halten).

Zugegeben: Ganz so schlicht ist die Nachrichtengenese nicht. Ein Nachrichten-Perpetuum-Mobile entsteht so auch noch nicht. Problematisch ist aber, dass sich viele Journalisten zu oft primär an den Themen und Thesen bedienen, die ihnen die politischen Akteure auf dem Silbertablett servieren. Nun ist es nicht Aufgabe der Medien, die Agenda zu setzen oder zu korrigieren, und doch täten sie gut daran, die Politiker an jene Fragen und Probleme zu erinnern, die trotz ihrer Relevanz im Nachrichtendickicht untergehen. Dies gilt umso mehr in aufgeheizten Zeiten wie diesen, in denen sich die Politik im Dauerwahlkampf befindet und Themen strategisch gesetzt oder gemieden werden.

Das Sommerinterview von Thomas Walde ist in dieser Hinsicht beispielgebend: Der stellvertretende Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios befragte den AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland unter anderem zu den Themen Klima, Mieten, Rente und Digitalisierung – das Thema Flüchtlinge dagegen, bei dem ein geübter AfD-Funktionär auch dann nach zwei Sätzen landet, wenn es eigentlich um Wärmedämmung geht, ließ der Journalist außen vor.

Es geht darum, dass sich die Medien mehr von der Agenda der Politprofis emanzipieren

In diesem Sinne sollten Interviews viel öfter geführt werden, liegt es doch auf der Hand, dass Entscheider (Stichwort: Medientrainings!) konflikt­behaftete, zu komplexe, wenig populäre Themen nicht freiwillig ansprechen. Mal liegt es daran, dass sich das Thema nicht gut verkaufen lässt. Oft ist der Hinter­grund, dass aus einem Wahlversprechen noch nichts geworden ist, Fraktion und/oder Partei in dieser Frage im Clinch liegen – oder schlicht kein Konzept vorliegt.

Es geht nicht darum, Politiker vorzuführen, wie es nach dem Walde-­Interview aus der AfD tönte. Sondern darum, dass sich die Medien als “Vierte Gewalt” mehr von der Agenda der Politprofis emanzipieren müssen, um diese mit klugen Fragen jenseits von Tagesordnungen, Presseterminen und Statement-Routinen zu stellen. Dieses Ziel verfolgt die “Süddeutsche Zeitung” mit dem Langzeitprojekt “Koalitions­tracker”: Das Redakteurs­team hat im Koalitionsvertrag 134 selbst gesteckte Ziele identifiziert. Seit Juni und bis zum Ende der Legislaturperiode wird recherchiert und dokumentiert, wie die Bundesregierung mit ihrer To-do-Liste vorankommt.

Dieser journalistische Ansatz ist aufwändig und teuer. Aber er birgt eine große Chance für die in immer größeren Kreisen dem “Lügenpresse”-­Verdacht ausgesetzten Medien. Bei den 2019 anstehenden Wahlen auf Landes- und Europaebene steht viel auf dem Spiel. Erdrutschsiege und dramatische Einbrüche sind ebenso zu befürchten wie Wahlergebnisse, die zu gänzlich neuen Regierungs­konstellationen oder Neuwahlen führen könnten. In einem Setting, in dem sich in Teilen des Landes die Parteienlandschaft neu sortiert, wird es mehr denn je auf eine qualitativ hochwertige mediale Begleitung der Lage ankommen. Es wird Zeit, dass Journalisten sich auch im hektischen Arbeitsalltag wieder mehr ihrer system­relevanten Rolle für die liberale Demokratie bewusst werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 124 – Thema: Die Macht der Länder. Das Heft können Sie hier bestellen.