Grass ätzt gegen alle

Es ist Montagmittag und die Journalisten drängen sich in der Ständigen Vertretung am Berliner Schiffbauerdamm. Der ganz eigene Charme des Lokals entsteht nicht zuletzt durch die zahlreichen Porträts an den Wänden: Konrad Adenauer, Willy Brandt, Kurt-Georg Kiesinger – eine Atmosphäre, in der sich die Größen aus Politik, Literatur und Journalismus wohlfühlen.

In der Nebensache geht es um das Buch „Was würde Bebel sagen?“, herausgegeben vom Publizisten Manfred Bissinger und vom Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, vorgestellt von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Der Hauptgrund für den Andrang ist jedoch der wohl umstrittenste Wahlkämpfer der SPD: Günter Grass. Mit dem späten Bekenntnis zu seiner Vergangenheit bei der Waffen-SS, dem Austritt aus der SPD und seinen letzten Gedichten ist der Wahlhelfer und Freund Willy Brandts bei einigen Sozialdemokraten in Ungnade gefallen. Grass wird seinem Ruf als harter Kritiker, von allem und jedem, auch an diesem Tag gerecht.

„Opfer zielgerichteter Propaganda“

Seine ersten Stiche gelten der Presse. Als „Opfer zielgerichteter Propaganda“ sieht der Literaturnobelpreisträger Steinbrück angesichts der negativen Berichterstattung über den SPD-Spitzenkandidaten. Als „wohlüberlegt und druckreif“ lobt Grass die Worte des ehemaligen Finanzministers im Kanzlerduell mit Angela Merkel, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass ihn die gute Leistung überrascht habe. Aus Sicht der SPD wohl eine harmlose Spitze gegen Steinbrück. Einige Monate zuvor musste der noch an der Seite von Grass den Kommentar erdulden, dass es einen wie Willy Brandt in der SPD ja nicht mehr gebe.  

Und Grass teilt weiter aus. Für das Kanzlerduell habe er sich andere Moderatoren gewünscht, kritisiert er Kloeppel, Will und Illner. „Warum stehen da nicht zwei gestandene Journalisten? Mathias Greffrath und noch einer von der Süddeutschen?“ Derart befangene Journalisten wie im Kanzlerduell würden zum Wohl der Quote die Berichterstattung verflachen. Raab sei dagegen erfrischend unbefangen gewesen, sagt Grass und lacht.

Immer, wenn Grass Wahlkampf macht, wird er laut und zugespitzt. Zurückhaltung ist nicht seine Stärke. Das Ausweichen dafür schon: Gefragt nach einer rot-rot-grünen Koalition wettert er zunächst gegen Gysis Arroganz, verweist dann auf die SED-Vergangenheit, um bei der dritten Nachfrage durch Buchautor Bissinger endlich klarzustellen: „Es geht nur Rot-Grün!“ Außerdem brauche die CDU „die Chance, sich als Oppositionspartei zu erneuern“.

Zum Ende hin leistet Grass sich dann doch noch einen Affront gegen die Sozialdemokraten und weist darauf hin, dass viele Nichtwähler der Wahl nicht aus Faulheit fernblieben. „Die Menschen fragen sich zu Recht, was es überhaupt bringt zu wählen, wenn die Lobbyverbände im Parlament federführend sind.“ Eine Antwort auf diese Frage hatte auch der nobelpreisgekrönte Kritiker nicht parat.