„Gebt den Menschen was zum Träumen!“

Kommunalpolitik

[no-lexicon]p&k: Herr Moeller, die Kommunalpolitik wird nicht immer ganz ernst genommen, sie gilt als Arena für Amateure …

Achim Moeller: … ich sehe das anders. Kommunalpolitiker gestalten in Deutschland die Zukunft von über 12.000 Kommunen. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sind konkret vor Ort sichtbar und müssen dem Bürger gegenüber verantwortet werden.

Man muss also doch ein Polit-Profi sein, um sich als Bürgermeister zu behaupten?

Aus meiner Sicht zählen vor allem fünf Voraussetzungen: Eine solide berufliche Ausbildung, Sachverstand, Führungskompetenz, persönliche Glaubwürdigkeit und die Fähigkeit, Menschen zu gewinnen.

Wie gewinnt man denn aus Ihrer Sicht Menschen?

Ein Bürgermeister sollte nicht von morgens bis abends im Rathaus sitzen. Dafür gibt es schließlich eine Verwaltung. Die Menschen wollen mit ihrem Bürgermeister reden, ihn auf der Straße, im Café oder in der Kneipe treffen. Man sagt heute gerne, dass er „zum Anfassen“ sein soll. Neben Kompetenz braucht er deshalb Charisma.

Reicht das, um gewählt zu werden?

Das sind zumindest die ersten beiden Komponenten der Wahlsiegformel, die ich entwickelt habe.

Was ist das für eine Formel?

Ich nenne sie die Coca-Cola-Formel: „Co“ steht für Kompetenz und „Ca“ für Charisma.

Und wofür steht der Rest?

Das zweite „Co“ steht für Kommunikation. Es ist wichtig, zuhören zu können, sein Gegenüber wertzuschätzen und eine energiezuführende, positive Sprache zu nutzen. Denken Sie an Obama. Die Menschen sind nach seinen Wahlveranstaltungen beinahe davongeschwebt.

Nun müssen Sie uns nur noch das „La“ erklären.

Gerne. „La“ steht für Landkarte. Im Grunde geht es darum, dass man das politische Umfeld, in dem man sich bewegt, gut kennen sollte. Zusammengenommen sind das die vier Bereiche, an denen ich mit den Kandidaten arbeite.

Wie sieht eine solche Beratung typischerweise aus?

Es gibt verschiedene Beratungsformate. Manche dauern wenige Stunden, andere beinhalten eine umfassende Betreuung. Zu Beginn machen wir immer eine ausführliche Stärkenanalyse. Das ist die Basis, von der wir einen Wahlslogan ableiten können. Später entwickeln wir dann auf der Grundlage dieses Wahlslogans die Inhalte und die Art des Wahlkampfes.
 

Foto: Julia Nimke
Foto: Julia Nimke

„Die Menschen brauchen Orientierung. Sie wollen wissen, wo es hingeht.“

 

Ist diese Reihenfolge wichtig?

Ja, weil wir so eine möglichst hohe Übereinstimmung von Kandidat, Slogan, Stadt und Inhalten erreichen. Je höher diese Übereinstimmung ist, desto größer ist auch die Authentizität. Wir gewinnen also an Glaubwürdigkeit. Das ist das zentrale Anliegen moderner Wahlkämpfe.

War das früher anders?

Selbstverständlich! Wir sind heute bereits in der fünften Generation von Wahlkämpfen angelangt – das gilt auch für Kommunalwahlkämpfe. Denken Sie mal zurück: Nach dem Zweiten Weltkrieg standen die Politiker mit Flüstertüten auf den Dächern von VW-Käfern und haben die Leute beschallt. Das war noch klassische Propa­ganda. Für heutige Wahlkämpfe ist das zu primitiv.

Was kam danach?

In den Wahlkämpfen der 60er und 70er Jahre stand die Information im Mittelpunkt. Manch einer erinnert sich vielleicht an überfüllte Tapeziertische, vollgepackt mit Material. Das hat aber nur dazu geführt, dass die Leute einen großen Bogen um die Wahlkampfstände machten. Es wird einfach als langweilig empfunden. Deshalb kam in den späten 80er Jahren und in den 90ern das Modell „Kommunikation“ auf: die Talkshows.

Die gibt es doch heute auch noch.

Ja, im Bundestagswahlkampf waren sie zuletzt wieder ganz prominent, vor allem bei der SPD und Peer Steinbrück. Dieses Modell gilt bis heute – warum auch immer – als unterhaltsam. Später kam dann Strategie ins Spiel. Matthias Machnig und die Kampa haben 1998 in Deutschland eine Vorreiterrolle eingenommen. Dieser Ansatz wird aber von vielen als manipulativ empfunden. Interessant ist deshalb die Frage: Was wollen die Menschen heute? Und da sind wir bei der fünften Generation: Orientierung. Die Menschen wollen wissen, wo es hingeht. Und das muss glaubwürdig angelegt sein.

Wie lässt sich Glaubwürdigkeit herstellen?

Das geht nur über die Menschen. Deshalb erkläre ich den Kandidaten auch immer, dass sie die Träger von Glaubwürdigkeit sind und das in ihr Handeln einbeziehen müssen.

Das ist alles?

Nein. Hinzu kommt, dass Politik heute partizipativ angelegt sein muss. Die Leute wollen nicht informiert, sondern befragt werden. Die Bilder von Stuttgart 21 sind noch bei vielen präsent. Und in Berlin gibt es im Mai einen Volksentscheid zur Bebauung des Tempelhofer Feldes. Es gibt jede Menge Beispiele dafür.
 


Foto: Julia Nimke

„Im Wahlkampf zeige ich die Kür: Was ist mir wirklich wahnsinnig wichtig?“

 

Ihr Ansatz konzentriert sich sehr auf die Persönlichkeit der Kandidaten. Welche Rolle spielen denn die Inhalte?

Dass Politik persönlich wird, ist seit den 70er Jahren ein ungebrochener Trend. Deshalb bin ich auch der Meinung, dass wir uns besonders um die Entwicklung des Spitzenpersonals kümmern sollten. Die Parteien konzentrieren sich dagegen meistens auf die Entwicklung des Programms.

Das klingt nicht so, als würden Sie die Programmarbeit der Parteien besonders schätzen.

Nun, es gibt schon einige Negativ-Beispiele. Renate Künast etwa hatte 2011 in Berlin ein Programm von 118 Seiten – nur Text! Damit garantiert man doch, dass es keiner liest. Trotzdem sind das die Vorbilder, an denen sich Ortsverbände und Kommunalpolitiker orientieren.

Was würden Sie stattdessen empfehlen?

Wenn ich einen Wahlkampf mache, ist das Programm nie länger als eine Seite. Es gibt in der Kommunalpolitik so etwas wie Pflicht und Kür: Ich muss mich als Bürgermeister oder Ratsmitglied um alles kümmern, was in der Kommune anliegt. Aber im Wahlkampf zeige ich die Kür, die drei Ws: Was ist mir wirklich wahnsinnig wichtig? Das kann man in der Regel auf eine Seite packen.

Man hört ja öfter, dass man die Inhalte eines Wahlkampfes auf drei Punkte eindampfen soll…

Wir sagen drei bis fünf Punkte, das ist schon schwer genug für die meisten. Wichtig ist dabei aber auch, den Wähler mithilfe des Programmes auf eine innere transderivationale Suche zu schicken.

Was heißt das?

Wenn ich zum Beispiel sage: „Wir haben alle in unserem Leben Probleme gehabt“, ist der Satz für alle objektiv richtig. Bei „Problemen“ denkt aber jeder an ganz unterschiedliche Dinge. Ob finanzielle Sorgen oder gesundheitliche Beschwerden – jeder füllt den Begriff mit eigenen Vorstellungen. Genau das muss ein Politiker erreichen: Man muss leere Projektionsflächen anbieten.

Und wie stellt man das am besten an?

Jedes gute Programm hat etwas, das ich PEP nenne: ein politisch-emotionales Projekt. Die Menschen wollen eine wünschenswerte Wirklichkeit aufgezeigt bekommen. Also keine Utopie, sondern eine Vision oder ein Leitziel. Etwas, das sie sich vorstellen können. Deshalb rate ich allen, die Bürgermeister werden wollen: Gebt den Menschen was zum Träumen![/no-lexicon]

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Lobbying Forte. Das Heft können Sie hier bestellen.