Es gibt keine politischen Shitstorms!

Praxis

Manche Tweets und Kommentare verärgern, manche verletzen auch. Es gibt auch sogenannte Trolle im Netz, deren Lebensinhalt darin besteht, zu provozieren und aufzufallen. Und ja, manche Politiker oder deren Unterstützer inszenieren im Internet Kampagnen, die an Hetzjagden erinnern: Gezielt lassen sie Hass-Kommentar auf Hass-Kommentar folgen, Schmähkritik auf Schmähkritik. Trotz alledem bin ich der Meinung: Es gibt keine politischen Shitstorms. Die Politik sollte deshalb keine Angst davor haben.

Allein der Begriff “Shitstorm” lässt englische Muttersprachler schmunzeln. Sie verwenden ihn allgemein für “unangenehme Situationen”, die sich nicht auf die digitale Sphäre beschränken. Den Shitstorm im Netz kennt außerhalb von Deutschland niemand.

In Deutschland hat das Wort allerdings eine furiose Karriere hingelegt. Seit 2006 hat er sich vor allem aufgrund der breiten Berichterstattung der Medien in den Köpfen vieler Politiker eingenistet. Oft haben politische Akteure große Scheu oder sogar Angst davor, Social Media zu nutzen. Der Hauptgrund ist oft die Furcht vor einem Shitstorm. “Könnte das meine Karriere beenden?”, fragt sich manch einer.

Diese Angst lähmt nicht nur das Kommunikationsverhalten der Politiker. Es führt auch dazu, dass jede noch so berechtigte Kritik, die über digitale Kanäle geäußert wird, vorschnell als Shitstorm eingestuft und – das ist fatal – deshalb ignoriert wird. So zu reagieren, ist der falsche Ansatz. Die Erfahrung zeigt, dass nur ein geringer Teil der Kritik an Politikern oder ihren Positionen in die Kategorie Schmähkritik fällt. Viele Äußerungen haben einen konstruktiven Kern.

So schaffen es einige wenige professionelle Provokateure – genannt Trolle – mit ihren aggressiven und beleidigenden Statements, eine politische Diskussion zum Beispiel auf Facebook abzuwürgen. Das ist sehr schade. Politiker sollten sich über kritische Töne freuen, zeigen sie doch, dass sich Bürger mit ihren Positionen und ihrer Arbeit auseinandersetzen. Das Schlimmste für die Demokratie wäre doch, würde das politische Handeln komplett an der Bevölkerung vorbeigehen. So entsteht Demokratie- und Politikverdrossenheit.

Der oft zitierte Hass, der sich im Netz schneller verbreitet als in der analogen Welt, war schon immer da. Das Internet macht ihn lediglich sichtbar. Das kann man gut oder schlecht finden, aber immerhin bekommen Politiker so einen Eindruck, wie Teile der Bevölkerung über ihre Arbeit und das Ansehen von Politik und Demokratie denken. Nicht zuletzt die durch das Netz mobilisierte Pegida-Bewegung machte deutlich, dass manche Menschen das Vertrauen in die Politik verloren haben. Auch wenn die Argumente und Sprüche auf der Straße und im Netz krude und wirr waren, so muss man sich dennoch damit auseinandersetzen.

Mehr noch: In Zukunft muss die Politik noch viel stärker die Gedanken und Gefühle der Bürger wahrnehmen – und auch auf diese eingehen. Ein gutes digitales Monitoring könnte dabei helfen. Ansonsten verliert die Demokratie ihre Basis: die Wähler.

Politik ist immer auch Kommunikation. Und Kommunikation im Jahr 2015 bedeutet nicht, dass man in eine Einbahnstraße hineinruft und hofft, dass alle die Idee gut finden. Politiker sollten sich stärker auf Dialog einlassen. Sie sollten ihren harten politischen Alltag präsentieren und zeigen, wie kräftezehrend es ist, einen Kompromiss zu finden. Sie sollten das politische System erklären – und diese Aufgabe genauso wichtig nehmen wie ihre Arbeit in Ausschüssen, ihre Treffen mit Interessenvertretern oder die Lektüre von Positionspapieren.

Jeder Dialog baut die Angst vor einem Shitstorm etwas ab. Wer es schafft, eine digitale Community an sich zu binden, kann darauf vertrauen, dass diese ihn auch in kritischen Situationen verteidigen wird. Das muss man dann gar nicht mehr selbst tun.

Zudem empfehle ich ein gewisses Maß an Souveränität im Umgang mit Kritikern: Nach einer gewissen Zeit kennt man die üblichen Verdächtigen und weiß, wer gern pöbelt oder wer eine politische Kampagne im Hintergrund hat. Man muss lernen, diese unsachliche Kritik zu ignorieren. Dabei hilft eine klar formulierte Netiquette, die auf den Social-Media-Profilen transparent präsentiert werden muss. Jeder, der dagegen verstößt, wird kommentar- und diskussionslos gelöscht. Nur so können Politiker die Diskussionskultur auf ihren Profilen individuell steuern.

Wünschenswert ist es außerdem, dass sich alle demokratischen Parteien in Deutschland zusammenschließen und eine Erklärung zur politischen Diskussionskultur formulieren. Sie sollten darin klar aufzeigen, wo die Grenzen von Kritik liegen. Bisher ist weder in der Politik noch in den Medien, die vor den gleichen Problemen stehen, eine Bereitschaft für einen solchen Schritt zu erkennen.

Kritiker müssen dabei lernen, dass sie ihre Kommentare vor dem Veröffentlichen mitunter überdenken sollten und dass nicht jede Aussage die politische Diskussion voranbringt. Diesen Lernprozess durchleben gerade Medien, Politik und andere Teile der Gesellschaft.

Ein weiterer Fortschritt wäre es, wenn auf Trolle souveräner reagiert würde. Man kann Kommentare löschen, man kann ihnen aber auch mit Ironie begegnen. Die CDU versucht gerade, die guten Erfahrungen von “Welt”, Tagesschau und anderen Medien zu nutzen und stärker mit diesem Stilmittel zu arbeiten. Nachahmenswert! Nicht zu vergessen: In Bezug auf Schmähkritik gibt es Gesetze in Deutschland. Diese sollten Betroffene auch durchaus öfter nutzen.

Und zu guter Letzt ein smarter Hinweis von Regierungssprecher Steffen Seibert. Bereits 2012 erklärte er, wie er mit allzu heftiger Kritik im Netz umgeht: Twitter aus, Rechner aus und am nächsten Tag beginnt das Leben wieder bei null. In wenigen Jahren werden wir aber hoffentlich ohnehin nicht mehr über Shitstorms reden müssen.

Mein Rat: Haben Sie keine Angst vor den Gedanken der Menschen! Wagen Sie auch weiterhin Dialoge! Es zahlt sich aus!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Denken. Das Heft können Sie hier bestellen.