Kilmar Abrego Garcia ist ein Salvadorianer mit legalem Wohnsitz in Maryland, USA. Trotz laufendem Abschiebeschutz ist er im März 2025 von US-Behörden nach El Salvador abgeschoben worden. Dort hat man ihn direkt in ein Hochsicherheitsgefängnis gesteckt, das offiziell für Terrorverdächtige reserviert ist und als Folterknast gilt. Seine Familie und Anwälte haben vergeblich versucht, Kontakt herzustellen. Die US-Regierung hat sich derweil auf die Position zurückgezogen, dass der Fall abgeschlossen sei.
Der Fall steht exemplarisch für einen Politikstil, mit dem Donald Trump in seiner zweiten Amtszeit hartnäckige Probleme lösen will: Immigranten werden ohne Gerichtsurteil aus ihren Wohnungen, aus Schulen und Kirchen in Autos geworfen und abgeschoben. Handelsdefizite will die Trump-Regierung mit irrwitzigen Zöllen ausgleichen. Den Regierungsapparat will sie verschlanken, indem sie Zehntausende Beamte feuert. Das Problem mit der Terrorregierung im Gaza-Streifen will Trump lösen, indem er den Landstrich entvölkert und in ein Ferienresort verwandelt. Da staunte auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nicht schlecht. Da er aus ähnlichem Holz wie Trump geschnitzt ist, nahm der dessen Idee aber gern auf.
Trumps Anhänger feiern diesen Ansatz, der keine halben Sachen macht. Selbst die Zölle verteidigten seine Fans in den sozialen Netzwerken und Fernsehsendern wie „Fox News“, obwohl sie selbst dafür blechen müssen. Geht nicht? Gibt’s nicht! Doch die Realität ist störrischer als jede Parole. Im Fall Garcia hat ein US-Gericht angeordnet, dass er zurückgeholt werden muss. Die US-Regierung verweist auf die Souveränität El Salvadors, das sich weigert, Garcia freizulassen. Währenddessen wächst die Sorge, dass er in Haft misshandelt wird oder gar nicht mehr lebt.
Einfach drauflos
Was sich hier zeigt, ist das Grundprinzip populistischer Politik: die scheinbar einfache Lösung, radikal umgesetzt, ohne Rücksicht auf Konsequenzen. In den USA gibt es dafür einen prägnanten Ausdruck: „Fuck around and find out“ – probier’s aus und siehe, was passiert. Eine Politik des Experimentierens mit dem Holzhammer.
Die Verführungskraft dieses Ansatzes ist immens. Während Berufspolitiker vor lauter Bedenken, Abwägungen und Rücksichtnahmen wie gelähmt erscheinen, verspricht der Populist, den gordischen Knoten einfach durchzuschlagen. Keine langwierigen Verhandlungen, keine mühsamen Kompromisse – sondern die große Geste, die unmittelbare Tat. Das zieht gerade jene Wähler an, die sich von der etablierten Politik nicht mehr vertreten fühlen, die Frust und Enttäuschung angesammelt haben.
Für Protestwähler ist die Sache zunächst bequem: Man kann seinem Unmut Ausdruck verleihen, ohne die Konsequenzen tragen zu müssen – denn die Populisten kommen ja ohnehin nicht an die Macht. Auch für die populistischen Parteien selbst ist diese Situation komfortabel: In der Opposition lässt sich trefflich fordern, ohne je liefern zu müssen. Je markiger die Versprechen, desto besser.
Doch was geschieht, wenn der Populist plötzlich doch an der Regierung ist? Wenn aus dem großen Versprechen politische Realität werden soll? Wenn der Haudrauf plötzlich zeigen muss, dass seine einfachen Lösungen tatsächlich funktionieren? Dann schlägt die Stunde der Wahrheit – und der gordische Knoten erweist sich oft als widerstandsfähiger als gedacht.
Häfen dicht!
Der italienische Lega-Politiker Matteo Salvini war einer der ersten Rechtspopulisten Europas, die es demokratisch in höhere Ämter geschafft haben. Um der illegalen Migration Herr zu werden, hatte der italienische Innenminister 2018 eine Idee: „Die Häfen sind geschlossen!“ Als er NGO-Schiffen mit geretteten Menschen an Bord die Einfahrt in italienische Häfen verweigerte, verwandelte er das Mittelmeer in eine Bühne für sein politisches Kalkül – und die Rettungsschiffe in unfreiwillige Statisten.
Der Fall des Schiffes „Open Arms“ mit 147 Menschen an Bord wurde zum Inbegriff dieser Politik. Während die Staatsanwaltschaft Salvini den Prozess machte und sechs Jahre Haft forderte, sprach ihn ein Gericht im Dezember 2024 frei. Die Hafensperren stünden „im Einklang mit nationalem und internationalem Recht“ – ein Urteil, das Menschenrechtler fassungslos zurückließ.
Die Zahlen schienen Salvini zunächst Recht zu geben: Die Statistik sank von über 100.000 Ankommenden auf magere 11.470. Doch bei genauerem Hinsehen war dafür weniger seine Blockadepolitik verantwortlich als ein Abkommen, das die libyschen Behörden zum Abfangen der Boote verpflichtete. Ohnehin transportierten NGO-Schiffe nur jeden zehnten Geflüchteten – die meisten kamen mit italienischen Behördenschiffen. Die bittere Ironie: Trotz ähnlich harter Maßnahmen unter Giorgia Meloni kletterten die Zahlen 2023 wieder auf über 150.000 Ankommende.
Deckel drauf!
Was rechts kann, kann links schon lange. Als Berlin im Februar 2020 den Mietendeckel aus der Taufe hob, war das Staunen groß. Für fünf Jahre sollten die Mieten eingefroren werden, für Altbauten gab es strikte Preisgrenzen. Das rote Berlin wagte, was sich andere nicht trauten: dem Wohnungsmarkt die Daumenschrauben anzulegen.
Die ersten Ergebnisse waren beeindruckend: Die Mieten im betroffenen Segment sanken um sieben bis elf Prozent. Doch es zeigte sich schnell die Kehrseite der Medaille – das Angebot an Mietwohnungen halbierte sich. Vermieter zogen sich zurück, wandelten Mietwohnungen in Eigentum um oder ließen sie als Ferienwohnungen besser verdienen. Im nicht regulierten Neubausektor schossen die Mieten derweil durch die Decke – der Druck fand ein Ventil.
Im April 2021 war der Spuk vorbei: Das Bundesverfassungsgericht kippte den Mietendeckel – die Länder hatten gar keine Befugnis für solche Eingriffe, weil der Bund diesen Bereich bereits regulierte. Die Bilanz der Aktion: Der Wohnungsneubau stockte, die Knappheit verschärfte sich. Eine Umfrage zeigte, dass 60 Prozent der privaten Vermieter ihre Investitionen zurückfuhren – kein gutes Zeichen für eine Stadt, die händeringend Wohnraum sucht.
Der aufschlussreichste Moment der Berliner Mietenpolitik aber dieser: die zuständige Senatorin Katrin Lompscher (Linke) riet Mietern gleich bei Einführung des Deckels, das gesparte Geld beiseitezulegen. Die Regierung rechnete offenbar selbst mit dem Scheitern der Regelung, setzte aber trotzdem auf den kurzfristigen Effekt. Fuck around, find out.
Dieses Vorgehen erinnert auffällig an Trumps Regierungsstil: Der US-Präsident feuerte 2025 Dekrete wie aus einer Maschinenpistole ab – vom Ausstieg aus dem Klimaabkommen bis zur Umbenennung vom Golf von Mexiko –, deren Verfassungsmäßigkeit oft fraglich war. Sein Dekret, mit der Geburt auf amerikanischen Boden werde man nicht mehr automatisch US-Bürger, hat ein Gericht mittlerweile gekippt. In Deutschland brauchte das Verfassungsgericht 13 Monate, um den Berliner Mietendeckel zu kippen. Trumps Haushaltssperre vom Januar 2025 überlebte gerade mal 72 Stunden, bevor Bundesgerichte sie stoppten.
Aber wo bei einer Entscheidungsflut einige Anordnungen fallen, bleiben andere stehen. Trumps Taktik, durch eine Flut von Aktionen die Öffentlichkeit zu überrumpeln (sein ehemaliger Spin-Doktor Steve Bannon nannte das einst „Flood the zone with shit“), könnte aufgehen. Selbst gescheiterte Initiativen hinterlassen Spuren: Sie verschieben die Grenzen des Sagbaren und Machbaren, sie zwingen die Gegenseite in die Verteidigung, sie bleiben als Versprechen im kollektiven Gedächtnis – eine Erkenntnis, die von Trump sowie europäischen Populisten strategisch genutzt wird.
Ein Kanzler ist kein US-Präsident
Die Erfahrung sagt also: Beim Hobeln fallen vielleicht mehr Späne, als einem lieb ist. Trotzdem macht die Kraftmeierei aus den USA jetzt Schule. Der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz setzte im Bundestagswahlkampf 2025 auf exakt jene Karte der einfachen Lösung. Nach dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg erklärte er in einem Live-Statement am 23. Januar: „Ich werde im Fall meiner Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland am ersten Tag meiner Amtszeit das Bundesinnenministerium im Wege der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen.“
Merz pochte darauf, dass „die Zeit des Taktierens vorbei“ sei und er „nach der eigenen Überzeugung“ handeln wolle. Aber: Die Richtlinienkompetenz des deutschen Bundeskanzlers ist nicht vergleichbar mit den „Executive Orders“ eines US-Präsidenten, sie ermöglicht keine direkten Anordnungen am Parlament vorbei. Zudem übersieht der Macht- und Gestaltungsanspruch des ersten Tages die Realität einer Koalitionsregierung, in der Kompromissfähigkeit mehr zählt als die heroische Einzeltat des starken Mannes. Das hat Merz schnell erfahren. Die SPD hat dafür Sorge getragen. Um Kanzler zu werden, muss Friedrich Merz zudem erst an der sozialdemokratischen Basis vorbei, die bis Ende April darüber abstimmt, ob überhaupt eine Koalition zustande kommt. Ganz schön kompliziert.
Angesichts aktueller Ereignisse wurde der Text aus dem Heft beim Einstieg und am Ende aktualisiert.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 150 – Thema: Aufbruch ins Machbare. Das Heft können Sie hier bestellen.