Richard Nixon ist heute vor allem durch die Watergate-Affäre bekannt, die zu seinem Rücktritt als US-Präsident führte. Weniger bekannt, aber mindestens genauso fragwürdig, ist sein stereotypes Frauenbild: „I don’t think women should be in any government job whatever. I mean, I really don’t. The reason why I do is mainly because they are erratic. And emotional.“ Aus heutiger Sicht scheint dieses Frauenbild aus grauer Vorzeit zu stammen. Schließlich leben wir in Zeiten des „Gender Shift“ – einem vom Zukunftsinstitut identifizierten Megatrend. Tradierte Rollenmuster brechen nach und nach auf. Das Geschlecht bestimmt nicht länger die gesellschaftliche Stellung – zumindest nicht im euro-atlantischen Raum. Geschlechtliche Vielfalt in Politik und Wirtschaft ist zur Normalität geworden. Oder?
Wer denkt, dass Nixons Frauenbild tatsächlich dem letzten Jahrtausend angehört, irrt. Das zeigt bereits ein oberflächlicher Blick in die Statistik. Im Jahr 2021 waren in Deutschland nur rund 29,2 Prozent der Führungspositionen über alle Branchen hinweg mit Frauen besetzt. Im EU-Vergleich liegt Deutschland damit im unteren Drittel. Die Public-Affairs-Branche reiht sich nahtlos ein: Erhebungen ermitteln hier einen Frauenanteil zwischen zehn und 35 Prozent in den Führungsetagen. Damit steht außer Frage, dass auch diese Branche weit von einer paritätischen Besetzung in Führungspositionen entfernt ist. Gerade dieser Beruf könnte die gesellschaftliche Gleichstellung der Geschlechter wie ein Katalysator befördern. Er liegt an der Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Grund genug also, nach den Ursachen der Unterrepräsentanz zu fragen und vor allem nach Möglichkeiten zur Verbesserung dieses Missstands zu suchen.
Warum also sind Frauen in Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert, obwohl genügend qualifizierte Aspirantinnen bereitstehen? Einen möglichen Erklärungsansatz bietet die „gläserne Decke“. Diese Metapher beschreibt unsichtbare Barrieren, die vor allem Frauen daran hindern, in Führungspositionen aufzusteigen. Die Existenz der „gläsernen Decke“ wurde wiederholt branchen- und länderübergreifend in privaten und öffentlichen Organisationen weltweit nachgewiesen. Es überrascht daher kaum, dass eine Branchenstudie, die de’ge’pol W und Quadriga initiiert haben, im Jahr 2023 eine „gläserne Decke“ für Frauen auch im Bereich Public Affairs nachgewiesen hat.
In Experteninterviews mit Vertreterinnen der Public Affairs wurden unterschiedliche Merkmale der „gläsernen Decke“ abgefragt. Drei davon waren für den Nachweis des Phänomens besonders wichtig
„Männer bleiben lieber unter sich“
Am stärksten zeigten sich unsichtbare Hürden bei brancheninternen Netzwerken. Vor allem die „Boys Clubs“ haben Zugang zu Macht- und Schlüsselpositionen. Dort können sie „männliches Geklüngel“ betreiben. Die Expertinnen nannten auch gleich die Gründe, warum Frauen in der Praxis nicht zu gleichen Anteilen an diesen Netzwerken teilhaben können. Die meisten Branchenveranstaltungen finden abends statt.
Das erschwert die Teilnahme besonders für Frauen mit privaten, familiären Verpflichtungen. Die nur begrenzte zeitliche Verfügbarkeit ist für viele Frauen ein gewichtiges Hindernis auf dem beruflichen Weg nach oben. Aber auch Frauen ohne anderweitige Verpflichtungen nehmen nicht in gleichen Teilen an diesen Veranstaltungen teil. Mehrmals deuteten die Expertinnen an, dass Frauen „sich bei den Netzwerkveranstaltungen nicht wohlfühlen, da diese männlich dominiert sind“.
Entsprechend investieren sie keine Zeit darin. Dabei ist insbesondere für Public Affairs Professionals der Aufbau eines förderlichen Netzwerks eine Kernaufgabe – auch für das eigene berufliche Fortkommen. Der begrenzte Zugang zu Machtzirkeln stellt somit ein faktisches Aufstiegs- und Karrierehindernis für Frauen dar. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Die fortschreitende Digitalisierung von Netzwerken gilt als „demokratisierender Faktor“. Sie eröffnet gerade Frauen neue Möglichkeiten zur Teilhabe – in quantitativer, vor allem aber in qualitativer Hinsicht.
„Frauen – insbesondere jüngere – haben Schwierigkeiten, als seriöse Gesprächspartnerin wahrgenommen zu werden“
Gesellschaftliche Geschlechterstereotype sind ebenfalls ein hartnäckiges Karrierehindernis. Nicht nur in der Public-Affairs-Branche, aber eben auch hier, genießen Männer einen geschlechtsspezifischen Kompetenzvorschuss. Die Interviewpartnerinnen berichten: Um Kompetenz zu beweisen, müssen Frauen oftmals deutlich mehr investieren und nachweisen. Das betrifft beispielsweise die sehr gründliche und zeitintensive inhaltliche und persönliche Vorbereitung sämtlicher Termine.
Die muss in den ohnehin eng getakteten Arbeitsalltag integriert werden. Ein Beispiel einer Expertin verdeutlicht eindrucksvoll die Wirkung solcher Stereotype, bei denen Frauen vor allem anhand ihres Geschlechts beurteilt werden: Machen Männer in Gesprächsrunden unzutreffende Aussagen, dann „haben sie einen schlechten Tag“. Passiert das jedoch einer Frau, sei es eben „typisch Frau“. Das bereits in den 1970er Jahren festgestellte „Think manager – think male“-Phänomen klingt hier an.
Vereinfacht gesagt, werden Führungspositionen mehr oder weniger automatisch mit dem männlichen Geschlecht assoziiert. Das findet sich auch in der vorliegenden Studie wieder. Ungeachtet dieser Defizite gibt es aber auch hier positive Entwicklungen: Veränderungen treiben vor allem Ansprechpartner aus der Politik voran, die selbst für Diversität stehen und diese von ihren Gegenübern einfordern. Darüber hinaus sind die Public-Affairs-Abteilungen von Unternehmen aus der Tech-Branche überproportional weiblich besetzt. Das könnte Vorbildwirkung für andere Zweige haben.
„Es gibt zu wenige Vorbilder in der Branche, insbesondere in Spitzenpositionen“
Schließlich bemängelten alle Expertinnen, dass die Branche nicht über genügend weibliche Vorbilder verfügt. „Frau“ wünscht sich ausdrücklich mehr „Frauen in Führung und Verantwortung“, kurz gesagt: sichtbare Vorreiterinnen, denen es sich lohnt nachzueifern. Die bisher leider noch überschaubare Zahl weiblicher Vorbilder hat zudem nicht die gleiche Reichweite wie männliche Kollegen. Allerdings – und das sollte umso mehr zum Nachdenken anregen – sind sie überproportional häufig Angriffen in sozialen Netzwerken ausgesetzt.
Die Public-Affairs-Branche – eine Branche im Aufbruch?
Die Public-Affairs-Branche könnte bei der Herstellung von Parität in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft eine Vorreiterrolle einnehmen. Was ist also nötig, um das eingangs zitierte Frauenbild von Richard Nixon endgültig in die Vergangenheit zu verbannen? Die Interviewpartnerinnen sehen die Frauen selbst in der Pflicht, „auch mal Ja zu Anfragen zu sagen und auch den eigenen Hut in den Ring zu werfen“, um Veränderungen anzustoßen.
Die Vernetzung von Frauen untereinander gilt als wirkungsvoller Hebel, um sich „gegenseitig für Panels, Seminare, offene Stellen zu empfehlen und sich nicht zuletzt auch gegenseitig Mut zuzusprechen“. Auf Ebene der Organisation gibt es ebenfalls zahlreiche Möglichkeiten, den Gender Gap in der Branche zu verringern. An erster Stelle steht mehr Transparenz bei der geschlechtsspezifischen Verteilung von Führungspositionen, Gehältern und die Möglichkeit zum flexiblen Arbeiten.
Gerade Letzteres fordern Frauen mit familiären Verpflichtungen ein – kein Spezifikum der Public-Affairs-Branche, aber hier genauso wichtig. Fast alle interviewten Frauen waren sich einig, dass eine regulatorische Maßnahme – umgangssprachlich auch „Quote“ genannt – zumindest zeitweise unausweichlich sein dürfte, um Gleichstellung zu erwirken. Bemerkenswert an dieser Forderung ist, dass alle Frauen berichteten, am Anfang ihres Berufslebens gegen die Quote gewesen zu sein. Erst die eigenen Erfahrungen in den ersten Berufsjahren begründeten den Sinneswandel.
Weitere Studien
Die de’ge’pol W ist das Netzwerk der Politikberaterinnen. gemeinsam mit der Quadriga Hochschule hat sie eine Branchenstudie zu Repräsentanz und Karrierechancen für Frauen in der Politikberatung initiiert. Die Untersuchung von Darya Schwarz-Fradkova ist die zweite Forschungsarbeit dieser Reihe. Die Ergebnisse sind unter www.degepolw.de/branchenstudie abrufbar.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 147 – Thema: 25 Jahre Hauptstadtjournalismus. Das Heft können Sie hier bestellen.