Der Wow-Effekt

Eine Aufgabe, wie gemacht für Steffen Seibert. Als die Bundesregierung Mitte Oktober ihren eigenen Kanal auf der Videoplattform Youtube startet, erklärt der Regierungssprecher, was hinter der neuen Internet-Offensive des Bundespresseamts steckt. „Youtube, Facebook, Twitter: Das alles hat unseren Alltag verändert“, spricht Seibert in die Kamera, und als Zuschauer fühlt man sich an die Zeit erinnert, als der 51-Jährige noch die „Heute“-Nachrichten im ZDF moderierte. Notwendigerweise veränderten die sozialen Netzwerke auch die Art, wie die Bundesregierung mit den Bürgern kommuniziere, fährt Seibert fort. Der Youtube-Kanal sei der neueste Weg, mit der Bevölkerung in einen Dialog zu treten. Die deutsche Politik hat die Bedeutung der Internet-Clips also erkannt – nun geht es darum, diese wirkungsvoll einzusetzen. Was aber macht ein erfolgreiches Politik-Video aus?

Die Länge

„Ein Riesenthema“, sagt Oliver Röseler, der sich als Marketingchef des Konrad-Adenauer-Hauses auch darum kümmert, den Youtube-Kanal der CDU zu bespielen. „Wir wissen, dass kürzere Videos oft erfolgreicher sind. Trotzdem darf das nicht unser einziger Maßstab sein, schließlich sollen die Clips nicht inhaltsleer sein.“ Ein Blick auf den Youtube-Kanal der CDU zeigt: In den vergangenen sechs Monaten haben Röseler und seine Mitarbeiter rund 60 Videos hochgeladen. Knapp die Hälfte davon ist nicht länger als fünf Minuten. „Wir versuchen, längere Reden und Pressekonferenzen zu stückeln oder gleich redaktionell zu bearbeiten.“ Je prägnanter, desto besser, sagt Röseler. Eine aktuelle Studie der Universität Hohenheim gibt ihm Recht: Dort haben Kommunikationswissenschaftler untersucht, wie lang ein Youtube-Clip maximal sein darf, damit Nutzer ihn sich bis zum Ende anschauen. Das Ergebnis: nicht länger als anderthalb Minuten. Trotzdem stellt Röseler auch komplette Reden von CDU-Politikern und Mitschnitte von Diskussionsveranstaltungen auf Youtube online. „Die Basis will beides: kurze und lange Videos. Danach richte ich mich“, sagt Röseler. In der Tat: Das im vergangenen Halbjahr mit rund 6700 Aufrufen am häufigsten angeschaute Video des CDU-Kanals ist eine Rede von Angela Merkel auf einer Kreisvorsitzendenkonferenz Mitte Juni. Dauer: 44 Minuten.

Die Zielgruppe

Für Röseler bringt das aufwendigste Youtube-Video nichts, wenn es an der Zielgruppe vorbeigeht: der Parteibasis. „Mit der Machart unserer Videos orientieren wir uns nicht am herkömmlichen Youtube-Nutzer, sondern an unseren Anhängern. Die müssen wir erreichen.“ Was logisch klingt, schränkt die Parteien bei der Produktion neuer Web-Videos jedoch ein. Denn kurze Statements von Generalsekretären mögen dafür geeignet sein, die eigenen Anhänger auf den Parteikanal zu locken, die breite Öffentlichkeit lässt sich davon nicht begeistern. „Bei einem Web-Video kommt es vor allem auf die visuellen Effekte an“, sagt Adrian Rosenthal von der PR-Agentur Ketchum-Pleon. Dort ist er auch dafür zuständig, Youtube-Videos von Unternehmen und Verbänden im Internet zu verbreiten. „Die Parteien agieren zu sachlich“, sagt Rosenthal. Er könne verstehen, dass sie die Videos in erster Linie als Informationskanal betrachteten. Klug findet er es nicht: „Mit ein wenig mehr Aufwand könnten die Parteien nicht nur die eigene, sondern auch neue Zielgruppen erreichen.“ Als Beispiel nennt Rosenthal die Video-Reihe „Fricke & Solms“ der FDP. Zwischen 2007 und 2009 entstanden rund ein Dutzend kurze, unterhaltsame Youtube-Spots mit den beiden Finanzexperten der Liberalen, Otto Fricke und Hermann Otto Solms. 20.000 Aufrufe konnten einige der Spots erreichen – und auch die Medien griffen die Videos auf. Ein Achtungserfolg für die FDP.

Die Emotionen

Videos können wie kein anderes Wahlkampfinstrument Emotionen transportieren – der republikanische Vorwahlkampf beweist das. In den USA veröffentlichen die einzelnen Kampagnen fast jede Woche neue Youtube-Clips, die sich in Pathos und Gefühl überbieten. Vor allem der texanische Gouverneur Rick Perry setzt zurzeit auf Videos, die in Optik und Dramaturgie mehr an Hollywood als an Washington erinnern. So zum Beispiel das rund anderthalb Minuten lange Video „Proven Leadership“, auf Deutsch: „Bewährte Führung“, das die Perry-Kampagne Mitte September veröffentlichte. Darin attackiert der Republikaner zunächst die Wirtschaftspolitik von US-Präsident Barack Obama und bezeichnet ihn als „President Zero“, als „Präsident Null“. Dann verschwinden die düsteren, beinahe apokalyptischen Bilder, die dramatische Musik hört auf – und der Zuschauer hört Perrys Stimme: „Es ist an der Zeit, Amerika zu reparieren.“ Zwar können US-Politiker traditionell mehr Geld in TV- und Web-Videos investieren als deutsche Parlamentarier, das wird deutsche Wähler jedoch nicht davon abhalten, sich an die aufwendig inszenierten Videos zu gewöhnen. Davon ist auch CDU-Mann Röseler überzeugt: „Der Anspruch an deutsche Wahlkampf-Videos wird steigen. Vor allem, was den Einsatz im Endspurt der kommenden Bundestagswahl angeht.“

Die Aktualität

Wie deutsche Parteien Youtube-Videos erfolgreich im Wahlkampf einsetzen können, haben die Grünen vor zwei Jahren bewiesen. Im Vorfeld der Europawahl veröffentlichten sie einen Spot, der heute mit über 130.000 Aufrufen eines der am häufigsten angeschauten Politik-Videos in Deutschland ist. Im Mittelpunkt: die Finanz- und Wirtschaftskrise. Diese hatte 2009, wenige Monate nach der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers, ihren Höhepunkt erreicht. Die Grünen reduzierten die Krise auf eine Reihe umfallender Dominosteine, die weltweit Häuser umstießen und Banken zum Einsturz brachten, kurz: das ganze Wirtschaftssystem bedrohten. „Youtube-Videos sind nur dann erfolgreich, wenn sie ein aktuelles Thema aufgreifen“, sagt Marko Bachl von der Universität Hohenheim. Bachl arbeitet am dortigen Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaften und hat 2010 die Erfolgsfaktoren politischer Youtube-Videos untersucht. Dass sich der Grünen-Spot im Internet so stark verbreiten konnte, hat für ihn mehrere Gründe: „Das Video thematisierte eine aktuelle Krise, es hatte eine klare Handlung und es setzte auf Humor.“ All das seien gute Voraussetzungen, damit Nutzer sich einen solchen Web-Film nicht nur anschauen, sondern Bekannte weiterleiten würden.

Die Verbreitung

Einer der Gründe, warum politische Youtube-Videos in den USA so einflussreich sind, ist die stark politisierte Öffentlichkeit – online und offline. „In der US-Blogosphäre werden die Videos diskutiert und weitergeleitet“, sagt Adrian Rosenthal. Eine solche politische Blogosphäre fehle in Deutschland. Hierzulande spiele die politische Kommunikation nur bei wenigen Blogs eine Rolle, so Rosenthal. Der öffentlich-mediale Resonanzboden fehle. Daher komme es für die Parteien darauf an, intern auf die Videos aufmerksam zu machen. Konkret heißt das: Die Parteien sollten ihre Videos nicht nur auf Youtube hochladen, sondern diese auch in ihren eigenen Online-Auftritt und in Newsletter einbauen sowie auf anderen Webseiten für sie werben. Die CDU hat hier die Nase vorn. Seit Oktober vergangenen Jahres bieten die Christdemokraten ihr Mitgliedermagazin „Union“ auch in digitaler Form an. Wesentlicher Bestandteil des „E-Magazins“: Videos mit CDU-Politikern. Zahl der Empfänger: rund 125.000.

Kurz, zielgruppengenau, emotional, aktuell und breit gestreut – fünf einfache Merkmale für politisch erfolgreiche Youtube-Videos. Auf den ersten Blick. „Denn einen Faktor können die Parteien nicht einplanen“, sagt Rosenthal: „den Wow-Effekt“. Damit meint er eine nicht planbare Aktion, durch die sich ein Video im Internet in Windeseile verbreitet.
Auch Macon Phillips, der Kommunikationschef des Weißen Hauses, hat Erfahrungen mit dem „Wow-Effekt“ gemacht. Ende Juni sprach Phillips bei einer Diskussionsveranstaltung des Washingtoner Brookings-Institut über eine neue Youtube-Initiative des Weißen Hauses. Im Mittelpunkt: Mitarbeiter der Obama-Regierung, die die Zuschauer in wenigen Minuten über die Finanz- und Wirtschaftspläne des Präsidenten aufklären. Phillips sagte, dass es für ihn ein Erfolg sei, wenn sich über 100.000 Nutzer die Videos anschauten. Glücklich wirkte er nicht. Denn zur gleichen Zeit kursierte ein von einem Obama-Anhänger hochgeladenes Video im Netz, das den Präsidenten dabei zeigte, wie er bei einem Gartenfest ein schreiendes Baby auf den Arm nimmt – und dieses sofort verstummt. Damalige Klick-Zahl: 1,2 Millionen.
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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe SPD – Eine Partei baut sich um. Das Heft können Sie hier bestellen.