Der Ton verschärft sich

Politik

Nach dem Amtsantritt des neuen brasilianischen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro mag sich mancher Beobachter fast nach dem politisch-medialen Vorgehen von US-Präsident Donald Trump gesehnt haben – denn Rhetorik und Medienstrategie des frisch gewählten rechtspopulistischen Staatsoberhaupts in Brasilia erreichen seit Januar ganz neue Dimensionen. Bolsonaro lässt keine Gelegenheit aus, die frühere Militärdiktatur des Landes und auch einstige Diktatoren von Nachbarländern für ihre Foltermethoden sowie ihre Politik der eisernen Hand zu loben und ihnen in ihrem Stil nachzueifern: „Säuberung“ der Verwaltungsapparate von Andersdenkenden, Kulturkampf gegen Künstler, Änderung der Inhalte des Schulunterrichts.

Der frühere Fallschirmjäger der brasilianischen Armee verfolgte bereits im mit markigen Worten geführten Wahlkampf eine digitale Kommunikationsstrategie, die er nun im Präsidentenamt fortsetzt. Diese setzt auf Hetze gegen Minderheiten sowie Desinformation und nimmt Diffamierungskampagnen Dritter billigend in Kauf, die in den sozialen Netzwerken viral gehen – vor allem via Whatsapp. Bolsonaro ist per Livestream präsent, unliebsame Journalisten blockiert er. Kritische Lehrer sollen von ihren Schülern gefilmt und die Dateien ebenso an die Regierung geschickt werden wie Videos, in denen ganze Schulklassen Bolsonaros Wahlkampf-Slogan „Brasilien über alles und Gott über allen“ aufsagen.
Dennoch erwarteten zwei Drittel der Brasilianer beim Amtsantritt Bolsonaros, dass seine Präsidentschaft gut oder sehr gut werde. Dahinter steckt der Umstand, dass sein Wahlerfolg das Ergebnis einer enormen Enttäuschung in breiten Kreisen der Wählerschaft war. Nach erfolgreichen Jahren der Euphorie von der Fußballweltmeisterschaft bis zu den Olympischen Spielen geriet das Land in eine Wirtschaftskrise, die die Defizite in der Sicherheit und im Bildungssystem des Landes sowie die wuchernde Korruption umso mehr zum Vorschein brachte. Die Sehnsucht nach einem starken Mann wuchs – und Bolsonaro verstand es mit seinen Versprechungen, den Zorn seiner Landsleute für sich zu nutzen.

Womit ein weltweit vorkommendes Phänomen zum Vorschein tritt: Die neuen Anführer mit Hang zu autoritären Strukturen gelangen im Gegensatz zu früher nicht durch Militärputsche oder massive Wahlfälschungen an die Macht, sondern sie kommen – frei nach dem französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy – aus den Wahl­urnen. Generell spielen die neuen Möglichkeiten der sozialen Medien bei disruptiven Wahlentscheidungen eine entscheidende Rolle. Donald Trump nutzte im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 vor allem Twitter als Möglichkeit, sich mit stark polarisierenden Botschaften direkt und ungefiltert an seine Anhänger und vor allem weitere potenzielle Wählerkreise zu wenden. „Das Medium hat sich seit Obamas erstem Wahlkampf von einem Instrument der Demokratisierung eher zu einem Instrument der Spaltung entwickelt“, so Grünen-Chef Robert Habeck unlängst zu seinem Twitter-Ausstieg nach zwei umstrittenen Twitter-Videos. 

Die Härte der politischen Auseinandersetzung wächst

Nicht nur der Blick auf die politischen Anführer, auch die Perspektive der Wähler und Konsumenten bestätigt, dass der Ton schärfer wird. Auf einer Recherchereise durch 13 Länder rund um den Globus begegneten mir vielerorts Menschen, die sich von der zunehmenden Härte der politischen Auseinandersetzung in den sozialen Medien geradezu erschlagen fühlten. Allen voran in den USA, wo mir eine Frau in New York berichtete, dass sie ihren Face­book-Account kaum noch nutze, da die dort aufeinanderprallenden unterschiedlichen Sichtweisen für sie nicht zu ertragen seien. Und das, obwohl es sich bei Facebook-Kontakten bereits um eine Filterblase par excellence handelt. Einen solchen Hang zum Rückzug sah die Frau auch in ihrem analogen Lebensumfeld: Nachbarn mit unterschiedlichen politischen Ansichten würden sich im Gegensatz zu früher eher meiden – man bleibe zunehmend unter Gleichgesinnten.

In Delhi traf ich eine muslimische NGO-Aktivistin, die ihr eigenes Leben bedroht sah und von häufig vorkommenden Lynchmobs berichtete, die vor allem in ländlichen Regionen Indiens aufgrund von Gerüchten und Falschmeldungen geschehen. Letztere verbreiten sich rasend schnell von Smartphone zu Smartphone, bis der in der Regel zu Unrecht Beschuldigte von einem wütenden Mob zu Tode geprügelt oder erhängt wird. Nicht zuletzt wegen solcher Auswüchse werden weitergeleitete Whatsapp-Nachrichten seit einigen Monaten als nicht vom Sender persönlich verfasst gekennzeichnet. Eine solche Praxis zeigt jedoch eher die Hilflosigkeit der Anbieter solcher Dienste und dürfte die Massendynamik kaum bremsen – eher dient sie als moralisches Feigenblatt für jene, die vorgeben, nichts als technische Dienstleister zu sein.

In Moskau sprach ich mit einem homosexuellen Mann, der mir von Internetportalen sowie Dating-Apps für Schwule und Lesben in seiner traditionell konservativen Heimat berichtete. Es gebe Gruppierungen, die durch Lockprofile geradezu Jagd auf Homosexuelle machten. Bei fingierten Treffen werde das homosexuelle Gegenüber von den Schwulenhassern gedemütigt und etwa das Scheren seines Kopfs als Film ins Internet gestellt.

Diese unterschiedlichen und doch ähnlichen Beispiele zeigen die Zunahme von Streit, Hass und die wachsende Verbreitung von Vorurteilen im Internet, derer sich die neuen politischen Anführer aktiv bedienen oder die sie zumindest billigend in Kauf nehmen. Es kommt zu mehr Auseinandersetzungen und zunehmendem rhetorischem Säbelrasseln – in den Reden der Mächtigen, aber auch in der Kommunikation der Einzelnen, ob Wutbürger oder Wechselwähler. Beim Blick auf die politische Weltkarte fällt auf, dass die wütenden Alpha-Politiker der Vergangenheit eine Renaissance erleben. Sie schlagen nicht mehr wie einst der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow mit dem Schuh auf das Rednerpult der UN-Vollversammlung, sondern gehen trotz markanter Rhetorik smarter vor als ihre Vorgänger – beziehungsweise smartphonetauglicher.

Soziale Medien bringen eine Lawine aus Fake News ins Rollen

Ein Anhänger des hindunationalistischen indischen Premierministers Narendra Modi berichtete mir begeistert, wie sein Idol auch online zu erreichen sei – ob dabei der Regierungschef selbst antwortet oder nur sein Onlineteam einen Textbaustein verschickt, war dem Mann gleichgültig. Die sozialen Medien suggerieren denen eine neue Volksnähe, die daran glauben wollen. Die neuen Kommunikationsplattformen – bei allen Vorteilen, die sie natürlich ebenso aufweisen – bringen eine Lawine aus Hate Speech und Fake News ins Rollen und drehen damit die Spirale der Anschuldigungen immer weiter.

Dieses Klima in vielen Ländern der Welt nutzt vor allem denjenigen, die ihre Amtszeit verlängern und ihre Befugnisse ausweiten wollen, polternden Anführern von Mittel- und Osteuropa bis zu Machthabern mit starker Hand wie in Afrika, wo etwa der ruandische Staatspräsident Paul Kagame Investoren mit vermeintlicher Stabilität und Sicherheit anlockt – auf der digitalen Höhe der Zeit, doch zu einem (zu) hohen Preis für die Freiheit der Menschen, Internetnutzer sowie An­dersdenkenden. Und nachdem Twitter im vergangenen Jahr mehrere Millionen gefälschter Accounts löschte, verlor Kagame auf einen Schlag rund ein Drittel seiner Follower … 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 126 – Thema: Vor der Europawahl: Deutsche in Brüssel. Das Heft können Sie hier bestellen.